Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.II. Handel. Unterscheid zwischen der Vi publica oder Srassen-Raub und sonst andern liederlichen Händeln aus der Strasse. §. I. GLeichwie ein Advocate, der nicht seinen Grund in der TheorieNutzen wenn man in Jure die praxin und Theorie mit einander conjungiren kan. wohl gelegt, mehrentheils in Rabulismum zu verfallen pfleget; Also halte ich dafür, daß es einem Lehrer grossen Nutzen schaffe, wenn er sich vorhero oder bey dem Anfang seines Lesens etwas in paxi Advocando versuchet hat. Ist er so geschickt, daß er beyde officia zugleich continuiren kan, so ist er für desto klüger zu halten; denn insgemein sind diese beyde Aemter so beschaffen, daß, weil sie mit solchen Verrichtungen zu thun haben, da die eine die andere gar offt zu hindern pfleget; ein jedes davon einen gantzen Menschen requiriret. Zu geschweigen da das Lehr-Amt sich mehr passive aufführen kan, als der Advocaten-Stand, der eine grosse Activität erfordert. Meinen Genium betreffend, bin ich jederzeit mehr zu lehren geneigt gewesen, als zu practiciren, ob es mir gleich nicht übel gefallen, wenn ich die wenige Zeit meiner praxeos erfahren, quod sit aurea praxis, und daß einen nicht allein die gemeinen Leute sehr veneriren und ehren, sonderlich wenn man gantzen Bauerschafften wieder ihre Junckern bedienet ist, sondern auch daß die praxis vielmehr Gelegenheit gebe, sich bey Hoffe bekannt zu machen, als die Theorie. Ich wolte aber doch nicht viel Geld davor genommen haben, daß ich in meiner Jugend mich nicht zugleich etliche Jahr in praxi exerciret, weil mir dieses exercitium unter andern auch darinnen genutzt, daß ich meinen Feinden und Lästerern das Maul stopffen können. Ein Specimen von meiner LeipzigerGelegenheit zu gegenwärtigen Handel. praxi habe ich bey Anfang des ersten Theils ausführlich erzehlet: Ob ich nun wohl, da ich mich nach Halle zu wenden gezwungen war, die praxin schon einige Zeit her aufgegeben hatte, und also nichts weniger intendirte, als in Halle einen Advocaten abzugeben, so geschahe es doch, daß da ich nur etliche wenige Monate allhier in Halle Anno 1690. gewesen war, durch die Brüderschafft der Halleute, die nach der vulgaren Redens-Art Hallorum pflegen genennet zu werden, per deputatos ersucht ward, einem von ihren confratibus die defension zu führen, dem allbereit die tortur II. Handel. Unterscheid zwischen der Vi publica oder Srassen-Raub und sonst andern liederlichen Händeln aus der Strasse. §. I. GLeichwie ein Advocate, der nicht seinen Grund in der TheorieNutzen wenn man in Jure die praxin und Theorie mit einander conjungiren kan. wohl gelegt, mehrentheils in Rabulismum zu verfallen pfleget; Also halte ich dafür, daß es einem Lehrer grossen Nutzen schaffe, wenn er sich vorhero oder bey dem Anfang seines Lesens etwas in paxi Advocando versuchet hat. Ist er so geschickt, daß er beyde officia zugleich continuiren kan, so ist er für desto klüger zu halten; denn insgemein sind diese beyde Aemter so beschaffen, daß, weil sie mit solchen Verrichtungen zu thun haben, da die eine die andere gar offt zu hindern pfleget; ein jedes davon einen gantzen Menschen requiriret. Zu geschweigen da das Lehr-Amt sich mehr passive aufführen kan, als der Advocaten-Stand, der eine grosse Activität erfordert. Meinen Genium betreffend, bin ich jederzeit mehr zu lehren geneigt gewesen, als zu practiciren, ob es mir gleich nicht übel gefallen, wenn ich die wenige Zeit meiner praxeos erfahren, quod sit aurea praxis, und daß einen nicht allein die gemeinen Leute sehr veneriren und ehren, sonderlich wenn man gantzen Bauerschafften wieder ihre Junckern bedienet ist, sondern auch daß die praxis vielmehr Gelegenheit gebe, sich bey Hoffe bekannt zu machen, als die Theorie. Ich wolte aber doch nicht viel Geld davor genommen haben, daß ich in meiner Jugend mich nicht zugleich etliche Jahr in praxi exerciret, weil mir dieses exercitium unter andern auch darinnen genutzt, daß ich meinen Feinden und Lästerern das Maul stopffen können. Ein Specimen von meiner LeipzigerGelegenheit zu gegenwärtigen Handel. praxi habe ich bey Anfang des ersten Theils ausführlich erzehlet: Ob ich nun wohl, da ich mich nach Halle zu wenden gezwungen war, die praxin schon einige Zeit her aufgegeben hatte, und also nichts weniger intendirte, als in Halle einen Advocaten abzugeben, so geschahe es doch, daß da ich nur etliche wenige Monate allhier in Halle Anno 1690. gewesen war, durch die Brüderschafft der Halleute, die nach der vulgarẽ Redens-Art Hallorum pflegen genennet zu werden, per deputatos ersucht ward, einem von ihren confratibus die defension zu führen, dem allbereit die tortur <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0043" n="35"/> </div> <div> <head>II. Handel. Unterscheid zwischen der Vi publica oder Srassen-Raub und sonst andern liederlichen Händeln aus der Strasse.</head><lb/> </div> <div> <head>§. 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Meinen Genium betreffend, bin ich jederzeit mehr zu lehren geneigt gewesen, als zu practiciren, ob es mir gleich nicht übel gefallen, wenn ich die wenige Zeit meiner praxeos erfahren, quod sit aurea praxis, und daß einen nicht allein die gemeinen Leute sehr veneriren und ehren, sonderlich wenn man gantzen Bauerschafften wieder ihre Junckern bedienet ist, sondern auch daß die praxis vielmehr Gelegenheit gebe, sich bey Hoffe bekannt zu machen, als die Theorie. Ich wolte aber doch nicht viel Geld davor genommen haben, daß ich in meiner Jugend mich nicht zugleich etliche Jahr in praxi exerciret, weil mir dieses exercitium unter andern auch darinnen genutzt, daß ich meinen Feinden und Lästerern das Maul stopffen können. 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II. Handel. Unterscheid zwischen der Vi publica oder Srassen-Raub und sonst andern liederlichen Händeln aus der Strasse.
§. I.
GLeichwie ein Advocate, der nicht seinen Grund in der Theorie wohl gelegt, mehrentheils in Rabulismum zu verfallen pfleget; Also halte ich dafür, daß es einem Lehrer grossen Nutzen schaffe, wenn er sich vorhero oder bey dem Anfang seines Lesens etwas in paxi Advocando versuchet hat. Ist er so geschickt, daß er beyde officia zugleich continuiren kan, so ist er für desto klüger zu halten; denn insgemein sind diese beyde Aemter so beschaffen, daß, weil sie mit solchen Verrichtungen zu thun haben, da die eine die andere gar offt zu hindern pfleget; ein jedes davon einen gantzen Menschen requiriret. Zu geschweigen da das Lehr-Amt sich mehr passive aufführen kan, als der Advocaten-Stand, der eine grosse Activität erfordert. Meinen Genium betreffend, bin ich jederzeit mehr zu lehren geneigt gewesen, als zu practiciren, ob es mir gleich nicht übel gefallen, wenn ich die wenige Zeit meiner praxeos erfahren, quod sit aurea praxis, und daß einen nicht allein die gemeinen Leute sehr veneriren und ehren, sonderlich wenn man gantzen Bauerschafften wieder ihre Junckern bedienet ist, sondern auch daß die praxis vielmehr Gelegenheit gebe, sich bey Hoffe bekannt zu machen, als die Theorie. Ich wolte aber doch nicht viel Geld davor genommen haben, daß ich in meiner Jugend mich nicht zugleich etliche Jahr in praxi exerciret, weil mir dieses exercitium unter andern auch darinnen genutzt, daß ich meinen Feinden und Lästerern das Maul stopffen können. Ein Specimen von meiner Leipziger praxi habe ich bey Anfang des ersten Theils ausführlich erzehlet: Ob ich nun wohl, da ich mich nach Halle zu wenden gezwungen war, die praxin schon einige Zeit her aufgegeben hatte, und also nichts weniger intendirte, als in Halle einen Advocaten abzugeben, so geschahe es doch, daß da ich nur etliche wenige Monate allhier in Halle Anno 1690. gewesen war, durch die Brüderschafft der Halleute, die nach der vulgarẽ Redens-Art Hallorum pflegen genennet zu werden, per deputatos ersucht ward, einem von ihren confratibus die defension zu führen, dem allbereit die tortur
Nutzen wenn man in Jure die praxin und Theorie mit einander conjungiren kan.
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/43>, abgerufen am 17.02.2025. |