Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.Das Recht der natürlichen gesunden Vernunfft stacke zu selbigen Zeiten unter der Banck, und die Canonisten wusten ihre Tendeleyen in Ehesachen aus der Heiligen Schrifft, und zwar nach der Auslegung der ersten so genannten Kirch-Väter zu bemänteln. Ja, was das vornehmste war, die ihnen wiedersprechende und es mit Luthero haltende Theologi klebten an den heiligen Vätern, und sonderlich an dem Augustino, noch wie eine Klette am Kleide; und obschon zum öfftern auch die Theologi oder gantze Theologische Facultäten in Ehe-Sachen zu rathe gezogen wurden, so mangelte es doch auch diesen, als denen das Recht der Natur und eine ächte Morale damahls eben so unbekannt, als denen Juristen war, an einem gewissen und deutlichem Grunde, nach welchen sie sich in decidirung der Ehe-Sachen gerichtet hätten. Die meisten, so das Päpstliche Recht verwurffen, bezogen sich auf die heilige Schrifft, auf die Israelitischen Gesetze in Ehe-Sachen, auf des HErrn CHristi Lehren, sonderlich, da er die ihn in der Lehre von der Ehe-Scheidung fangen wollenden Pharisaeer ablauffen liesse: Aber sie wusten nicht gründlich zu unterscheiden, was in dem Israelitischen Gesetze aus dem natürlichen Recht wiederholet worden, und was als absonderlich auf den Nutzen der Jüdischen Republique sehend, die Israeliten allein angienge; sie verstunden auch die Jüdischen Antiquitäten wenig oder gar nicht. Ja wie das Päpstische Recht seinen Sauerteig mit den dictis der Kirch-Väter bemäntelte, so sahen auch die Evangelischen Theologi in Ehe-Sachen mehr auf die autorität derselben, als auf vernünfftige und gegründete rationes; Sie schwatzten zwar auch viel von dem natürlichen Recht, aber worinnen dieses natürliche Recht bestünde, war niemand da, der solches lehrete; ja die / so am meisten davon schwatzten, hatten das Recht der Natur selbst nicht gelernet, vielweniger aus ihrem eigenen ingenio es in gewisse Lehr-Sätze gebracht, sondern ein jeder urtheilte hiervon nach seinem Gutdüncken, und verfielen gar öffters in grosse Vorurtheile, sowohl menschlicher autorität, wenn sie sich nehmlich hinter die dicta Augustini, Hieronymi u s. w. (die auch, wie bekannt, entweder einander gar offt wiedersprachen, oder auch öffters ihre eigene Meynungen änderten, u. also gar leicht sowohl von denen Canonisten, als denen ihnen wiedersprechenden Theologis konten allegiret werden) versteckten, als in das Vorurtheil der Ubereilung, wenn sie sich ihre affecten der Liebe, Hasses, Rechthaberey, u. s. w. allzusehr einnehmen liessen / wie dann der gute Lutherus als ein Mensch davon nicht befreyet war, sondern bey allen dem Streit mit den Juristen über das Jus Canonicum, sonderlich bey Verbrennung desselben, viel Das Recht der natürlichen gesunden Vernunfft stacke zu selbigen Zeiten unter der Banck, und die Canonisten wusten ihre Tendeleyen in Ehesachen aus der Heiligen Schrifft, und zwar nach der Auslegung der ersten so genannten Kirch-Väter zu bemänteln. Ja, was das vornehmste war, die ihnen wiedersprechende und es mit Luthero haltende Theologi klebten an den heiligen Vätern, und sonderlich an dem Augustino, noch wie eine Klette am Kleide; und obschon zum öfftern auch die Theologi oder gantze Theologische Facultäten in Ehe-Sachen zu rathe gezogen wurden, so mangelte es doch auch diesen, als denen das Recht der Natur und eine ächte Morale damahls eben so unbekannt, als denen Juristen war, an einem gewissen und deutlichem Grunde, nach welchen sie sich in decidirung der Ehe-Sachen gerichtet hätten. Die meisten, so das Päpstliche Recht verwurffen, bezogen sich auf die heilige Schrifft, auf die Israelitischen Gesetze in Ehe-Sachen, auf des HErrn CHristi Lehren, sonderlich, da er die ihn in der Lehre von der Ehe-Scheidung fangen wollenden Pharisaeer ablauffen liesse: Aber sie wusten nicht gründlich zu unterscheiden, was in dem Israelitischen Gesetze aus dem natürlichen Recht wiederholet worden, und was als absonderlich auf den Nutzen der Jüdischen Republique sehend, die Israeliten allein angienge; sie verstunden auch die Jüdischen Antiquitäten wenig oder gar nicht. Ja wie das Päpstische Recht seinen Sauerteig mit den dictis der Kirch-Väter bemäntelte, so sahen auch die Evangelischen Theologi in Ehe-Sachen mehr auf die autorität derselben, als auf vernünfftige und gegründete rationes; Sie schwatzten zwar auch viel von dem natürlichen Recht, aber worinnen dieses natürliche Recht bestünde, war niemand da, der solches lehrete; ja die / so am meisten davon schwatzten, hatten das Recht der Natur selbst nicht gelernet, vielweniger aus ihrem eigenen ingenio es in gewisse Lehr-Sätze gebracht, sondern ein jeder urtheilte hiervon nach seinem Gutdüncken, und verfielen gar öffters in grosse Vorurtheile, sowohl menschlicher autorität, wenn sie sich nehmlich hinter die dicta Augustini, Hieronymi u s. w. (die auch, wie bekannt, entweder einander gar offt wiedersprachen, oder auch öffters ihre eigene Meynungen änderten, u. also gar leicht sowohl von denen Canonisten, als denen ihnen wiedersprechenden Theologis konten allegiret werden) versteckten, als in das Vorurtheil der Ubereilung, wenn sie sich ihre affecten der Liebe, Hasses, Rechthaberey, u. s. w. allzusehr einnehmen liessen / wie dann der gute Lutherus als ein Mensch davon nicht befreyet war, sondern bey allen dem Streit mit den Juristen über das Jus Canonicum, sonderlich bey Verbrennung desselben, viel <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0270" n="262"/> Das Recht der natürlichen gesunden Vernunfft stacke zu selbigen Zeiten unter der Banck, und die Canonisten wusten ihre Tendeleyen in Ehesachen aus der Heiligen Schrifft, und zwar nach der Auslegung der ersten so genannten Kirch-Väter zu bemänteln. Ja, was das vornehmste war, die ihnen wiedersprechende und es mit Luthero haltende Theologi klebten an den heiligen Vätern, und sonderlich an dem Augustino, noch wie eine Klette am Kleide; und obschon zum öfftern auch die Theologi oder gantze Theologische Facultäten in Ehe-Sachen zu rathe gezogen wurden, so mangelte es doch auch diesen, als denen das Recht der Natur und eine ächte Morale damahls eben so unbekannt, als denen Juristen war, an einem gewissen und deutlichem Grunde, nach welchen sie sich in decidirung der Ehe-Sachen gerichtet hätten. Die meisten, so das Päpstliche Recht verwurffen, bezogen sich auf die heilige Schrifft, auf die Israelitischen Gesetze in Ehe-Sachen, auf des HErrn CHristi Lehren, sonderlich, da er die ihn in der Lehre von der Ehe-Scheidung fangen wollenden Pharisaeer ablauffen liesse: Aber sie wusten nicht gründlich zu unterscheiden, was in dem Israelitischen Gesetze aus dem natürlichen Recht wiederholet worden, und was als absonderlich auf den Nutzen der Jüdischen Republique sehend, die Israeliten allein angienge; sie verstunden auch die Jüdischen Antiquitäten wenig oder gar nicht. Ja wie das Päpstische Recht seinen Sauerteig mit den dictis der Kirch-Väter bemäntelte, so sahen auch die Evangelischen Theologi in Ehe-Sachen mehr auf die autorität derselben, als auf vernünfftige und gegründete rationes; Sie schwatzten zwar auch viel von dem natürlichen Recht, aber worinnen dieses natürliche Recht bestünde, war niemand da, der solches lehrete; ja die / so am meisten davon schwatzten, hatten das Recht der Natur selbst nicht gelernet, vielweniger aus ihrem eigenen ingenio es in gewisse Lehr-Sätze gebracht, sondern ein jeder urtheilte hiervon nach seinem Gutdüncken, und verfielen gar öffters in grosse Vorurtheile, sowohl menschlicher autorität, wenn sie sich nehmlich hinter die dicta Augustini, Hieronymi u s. w. (die auch, wie bekannt, entweder einander gar offt wiedersprachen, oder auch öffters ihre eigene Meynungen änderten, u. also gar leicht sowohl von denen Canonisten, als denen ihnen wiedersprechenden Theologis konten allegiret werden) versteckten, als in das Vorurtheil der Ubereilung, wenn sie sich ihre affecten der Liebe, Hasses, Rechthaberey, u. s. w. allzusehr einnehmen liessen / wie dann der gute Lutherus als ein Mensch davon nicht befreyet war, sondern bey allen dem Streit mit den Juristen über das Jus Canonicum, sonderlich bey Verbrennung desselben, viel </p> </div> </body> </text> </TEI> [262/0270]
Das Recht der natürlichen gesunden Vernunfft stacke zu selbigen Zeiten unter der Banck, und die Canonisten wusten ihre Tendeleyen in Ehesachen aus der Heiligen Schrifft, und zwar nach der Auslegung der ersten so genannten Kirch-Väter zu bemänteln. Ja, was das vornehmste war, die ihnen wiedersprechende und es mit Luthero haltende Theologi klebten an den heiligen Vätern, und sonderlich an dem Augustino, noch wie eine Klette am Kleide; und obschon zum öfftern auch die Theologi oder gantze Theologische Facultäten in Ehe-Sachen zu rathe gezogen wurden, so mangelte es doch auch diesen, als denen das Recht der Natur und eine ächte Morale damahls eben so unbekannt, als denen Juristen war, an einem gewissen und deutlichem Grunde, nach welchen sie sich in decidirung der Ehe-Sachen gerichtet hätten. Die meisten, so das Päpstliche Recht verwurffen, bezogen sich auf die heilige Schrifft, auf die Israelitischen Gesetze in Ehe-Sachen, auf des HErrn CHristi Lehren, sonderlich, da er die ihn in der Lehre von der Ehe-Scheidung fangen wollenden Pharisaeer ablauffen liesse: Aber sie wusten nicht gründlich zu unterscheiden, was in dem Israelitischen Gesetze aus dem natürlichen Recht wiederholet worden, und was als absonderlich auf den Nutzen der Jüdischen Republique sehend, die Israeliten allein angienge; sie verstunden auch die Jüdischen Antiquitäten wenig oder gar nicht. Ja wie das Päpstische Recht seinen Sauerteig mit den dictis der Kirch-Väter bemäntelte, so sahen auch die Evangelischen Theologi in Ehe-Sachen mehr auf die autorität derselben, als auf vernünfftige und gegründete rationes; Sie schwatzten zwar auch viel von dem natürlichen Recht, aber worinnen dieses natürliche Recht bestünde, war niemand da, der solches lehrete; ja die / so am meisten davon schwatzten, hatten das Recht der Natur selbst nicht gelernet, vielweniger aus ihrem eigenen ingenio es in gewisse Lehr-Sätze gebracht, sondern ein jeder urtheilte hiervon nach seinem Gutdüncken, und verfielen gar öffters in grosse Vorurtheile, sowohl menschlicher autorität, wenn sie sich nehmlich hinter die dicta Augustini, Hieronymi u s. w. (die auch, wie bekannt, entweder einander gar offt wiedersprachen, oder auch öffters ihre eigene Meynungen änderten, u. also gar leicht sowohl von denen Canonisten, als denen ihnen wiedersprechenden Theologis konten allegiret werden) versteckten, als in das Vorurtheil der Ubereilung, wenn sie sich ihre affecten der Liebe, Hasses, Rechthaberey, u. s. w. allzusehr einnehmen liessen / wie dann der gute Lutherus als ein Mensch davon nicht befreyet war, sondern bey allen dem Streit mit den Juristen über das Jus Canonicum, sonderlich bey Verbrennung desselben, viel
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Obrigkeitskritik und Fürstenberatung: Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568-1714: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI.
(2013-02-15T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss. Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-02-15T13:54:31Z)
Marcus Baumgarten, Frederike Neuber, Frank Wiegand: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription.
(2013-02-15T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |