Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.Rechts, ingleichen der Politic, und in der allzuabergläubischen u. fast abgöttischer Verehrung des Canonischen Rechts zu suchen sey, absonderlich da bereits etliche der Protestantischen Juristen das aus dem Canonischen Rechte entstandene Unheil fast gezwungen zu bekennen angefangen. Und wenn dieses gründlich und deutlich erwiesen, so wird er zugleich zeigen, daß die meisten Protestanten, obwohl nicht Theologischer, doch Politischer Weise noch tief im Pabstthum stecken, und es also einmahl hohe Zeit sey, daß nach instehenden Jubilaeo wegen der vor 200 Jahren geschehenen geistlichen Reformation auch eine Reformation des Politisch-Juristischen Pabststhums anhebe oder mehrern Fortgang habe. §. XXII. Wenn der Artzt die Ursache der Kranckheit weiß, so muß14) Von denen Mitteln / wodurch man dieses Ubel nicht heben kan. er denn auf geschickte Hülffs-Mittel dencken. Bey diesen nun wird er desto mehrere Vorsichtigkeit und Sorgfalt anwenden, jemehr er wahrnehmen wird, daß die bisher angewandten Mittel die Kranckheit mehr verschlimmert als gehoben. Dieses findet sich absonderlich bey uns; sintemahl die meisten, so bisanhero Rathschläge zu Verbesserung der Justiz-Verwaltung gegeben, weil sie theils die dazu nöthigen Wissenschafften und einen rechten Begriff einer geschwinden und doch billigen Art zu richten nicht gehabt, theils den Schaden nur so obenhin angesehen, und also auch nach dessen Haupt-Ursache nicht gefraget, freylich keine tüchtige und zum rechten Zweck dienende Mittel vorschlagen können. Sie haben zwar alle den Proceß verkürtzen wollen, viele Juristen haben es mit grosser Mühe durch neue Vorschläge, Ordnungen und Abschiede dahin zu bringen getrachtet, und dennoch hat man nicht die geringste Verbesserung gespühret. Gleichwie aber sonst die Erkäntniß der Narrheit der Weißheit Anfang ist, also führet eine deutliche Erkäntniß ungeschickter Hülffs-Mittel gleichsam zu Erfindung geschickter an. Allhier muß aber nach Anleitung der leiblichen Artzney Kunst mit wenigen zum Grunde geleget werden, welche Artzneyen überhaupt vor nützlich oder vor schädlich gehalten werden. Der Artzt ist ein Diener der Natur. Die menschliche Natur aber pflegt bißweilen dem Leibe selbst zu helffen, durch Auswerffung böser Feuchtigkeiten, welches durch die Kranckheiten selbst geschehen muß, z. E. durch Fieber und dergleichen. Ist diese Auswerffung allzuhefftig und zu gewaltsam, daß sie den gantzen Leib verderben oder gar aufreiben könte, so muß ein kluger Artzt solche durch seine Geschick ligkeit zu mäßigen wissen. Will aber ein anderer Schaden des Leibes diese von der Natur gesuchte Auswerffung hindern, so sucht sie der Artzt zu befördern, und das Hinderniß wegzuschaffen. Andere Kranckheiten, die eine Verderbniß derer Rechts, ingleichen der Politic, und in der allzuabergläubischen u. fast abgöttischer Verehrung des Canonischen Rechts zu suchen sey, absonderlich da bereits etliche der Protestantischen Juristen das aus dem Canonischen Rechte entstandene Unheil fast gezwungen zu bekennen angefangen. Und wenn dieses gründlich und deutlich erwiesen, so wird er zugleich zeigen, daß die meisten Protestanten, obwohl nicht Theologischer, doch Politischer Weise noch tief im Pabstthum stecken, und es also einmahl hohe Zeit sey, daß nach instehenden Jubilaeo wegen der vor 200 Jahren geschehenen geistlichen Reformation auch eine Reformation des Politisch-Juristischen Pabststhums anhebe oder mehrern Fortgang habe. §. XXII. Wenn der Artzt die Ursache der Kranckheit weiß, so muß14) Von denen Mitteln / wodurch man dieses Ubel nicht heben kan. er denn auf geschickte Hülffs-Mittel dencken. Bey diesen nun wird er desto mehrere Vorsichtigkeit und Sorgfalt anwenden, jemehr er wahrnehmen wird, daß die bisher angewandten Mittel die Kranckheit mehr verschlimmert als gehoben. Dieses findet sich absonderlich bey uns; sintemahl die meisten, so bisanhero Rathschläge zu Verbesserung der Justiz-Verwaltung gegeben, weil sie theils die dazu nöthigen Wissenschafften und einen rechten Begriff einer geschwinden und doch billigen Art zu richten nicht gehabt, theils den Schaden nur so obenhin angesehen, und also auch nach dessen Haupt-Ursache nicht gefraget, freylich keine tüchtige und zum rechten Zweck dienende Mittel vorschlagen können. Sie haben zwar alle den Proceß verkürtzen wollen, viele Juristen haben es mit grosser Mühe durch neue Vorschläge, Ordnungen und Abschiede dahin zu bringen getrachtet, und dennoch hat man nicht die geringste Verbesserung gespühret. Gleichwie aber sonst die Erkäntniß der Narrheit der Weißheit Anfang ist, also führet eine deutliche Erkäntniß ungeschickter Hülffs-Mittel gleichsam zu Erfindung geschickter an. Allhier muß aber nach Anleitung der leiblichen Artzney Kunst mit wenigen zum Grunde geleget werden, welche Artzneyen überhaupt vor nützlich oder vor schädlich gehalten werden. Der Artzt ist ein Diener der Natur. Die menschliche Natur aber pflegt bißweilen dem Leibe selbst zu helffen, durch Auswerffung böser Feuchtigkeiten, welches durch die Kranckheiten selbst geschehen muß, z. E. durch Fieber und dergleichen. Ist diese Auswerffung allzuhefftig und zu gewaltsam, daß sie den gantzen Leib verderben oder gar aufreiben könte, so muß ein kluger Artzt solche durch seine Geschick ligkeit zu mäßigen wissen. Will aber ein anderer Schaden des Leibes diese von der Natur gesuchte Auswerffung hindern, so sucht sie der Artzt zu befördern, und das Hinderniß wegzuschaffen. 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Wenn der Artzt die Ursache der Kranckheit weiß, so muß<note place="right">14) Von denen Mitteln / wodurch man dieses Ubel nicht heben kan.</note> er denn auf geschickte Hülffs-Mittel dencken. Bey diesen nun wird er desto mehrere Vorsichtigkeit und Sorgfalt anwenden, jemehr er wahrnehmen wird, daß die bisher angewandten Mittel die Kranckheit mehr verschlimmert als gehoben. Dieses findet sich absonderlich bey uns; sintemahl die meisten, so bisanhero Rathschläge zu Verbesserung der Justiz-Verwaltung gegeben, weil sie theils die dazu nöthigen Wissenschafften und einen rechten Begriff einer geschwinden und doch billigen Art zu richten nicht gehabt, theils den Schaden nur so obenhin angesehen, und also auch nach dessen Haupt-Ursache nicht gefraget, freylich keine tüchtige und zum rechten Zweck dienende Mittel vorschlagen können. Sie haben zwar alle den Proceß verkürtzen wollen, viele Juristen haben es mit grosser Mühe durch neue Vorschläge, Ordnungen und Abschiede dahin zu bringen getrachtet, und dennoch hat man nicht die geringste Verbesserung gespühret. Gleichwie aber sonst die Erkäntniß der Narrheit der Weißheit Anfang ist, also führet eine deutliche Erkäntniß ungeschickter Hülffs-Mittel gleichsam zu Erfindung geschickter an. Allhier muß aber nach Anleitung der leiblichen Artzney Kunst mit wenigen zum Grunde geleget werden, welche Artzneyen überhaupt vor nützlich oder vor schädlich gehalten werden. Der Artzt ist ein Diener der Natur. Die menschliche Natur aber pflegt bißweilen dem Leibe selbst zu helffen, durch Auswerffung böser Feuchtigkeiten, welches durch die Kranckheiten selbst geschehen muß, z. E. durch Fieber und dergleichen. Ist diese Auswerffung allzuhefftig und zu gewaltsam, daß sie den gantzen Leib verderben oder gar aufreiben könte, so muß ein kluger Artzt solche durch seine Geschick ligkeit zu mäßigen wissen. Will aber ein anderer Schaden des Leibes diese von der Natur gesuchte Auswerffung hindern, so sucht sie der Artzt zu befördern, und das Hinderniß wegzuschaffen. Andere Kranckheiten, die eine Verderbniß derer </p> </div> </body> </text> </TEI> [191/0199]
Rechts, ingleichen der Politic, und in der allzuabergläubischen u. fast abgöttischer Verehrung des Canonischen Rechts zu suchen sey, absonderlich da bereits etliche der Protestantischen Juristen das aus dem Canonischen Rechte entstandene Unheil fast gezwungen zu bekennen angefangen. Und wenn dieses gründlich und deutlich erwiesen, so wird er zugleich zeigen, daß die meisten Protestanten, obwohl nicht Theologischer, doch Politischer Weise noch tief im Pabstthum stecken, und es also einmahl hohe Zeit sey, daß nach instehenden Jubilaeo wegen der vor 200 Jahren geschehenen geistlichen Reformation auch eine Reformation des Politisch-Juristischen Pabststhums anhebe oder mehrern Fortgang habe.
§. XXII. Wenn der Artzt die Ursache der Kranckheit weiß, so muß er denn auf geschickte Hülffs-Mittel dencken. Bey diesen nun wird er desto mehrere Vorsichtigkeit und Sorgfalt anwenden, jemehr er wahrnehmen wird, daß die bisher angewandten Mittel die Kranckheit mehr verschlimmert als gehoben. Dieses findet sich absonderlich bey uns; sintemahl die meisten, so bisanhero Rathschläge zu Verbesserung der Justiz-Verwaltung gegeben, weil sie theils die dazu nöthigen Wissenschafften und einen rechten Begriff einer geschwinden und doch billigen Art zu richten nicht gehabt, theils den Schaden nur so obenhin angesehen, und also auch nach dessen Haupt-Ursache nicht gefraget, freylich keine tüchtige und zum rechten Zweck dienende Mittel vorschlagen können. Sie haben zwar alle den Proceß verkürtzen wollen, viele Juristen haben es mit grosser Mühe durch neue Vorschläge, Ordnungen und Abschiede dahin zu bringen getrachtet, und dennoch hat man nicht die geringste Verbesserung gespühret. Gleichwie aber sonst die Erkäntniß der Narrheit der Weißheit Anfang ist, also führet eine deutliche Erkäntniß ungeschickter Hülffs-Mittel gleichsam zu Erfindung geschickter an. Allhier muß aber nach Anleitung der leiblichen Artzney Kunst mit wenigen zum Grunde geleget werden, welche Artzneyen überhaupt vor nützlich oder vor schädlich gehalten werden. Der Artzt ist ein Diener der Natur. Die menschliche Natur aber pflegt bißweilen dem Leibe selbst zu helffen, durch Auswerffung böser Feuchtigkeiten, welches durch die Kranckheiten selbst geschehen muß, z. E. durch Fieber und dergleichen. Ist diese Auswerffung allzuhefftig und zu gewaltsam, daß sie den gantzen Leib verderben oder gar aufreiben könte, so muß ein kluger Artzt solche durch seine Geschick ligkeit zu mäßigen wissen. Will aber ein anderer Schaden des Leibes diese von der Natur gesuchte Auswerffung hindern, so sucht sie der Artzt zu befördern, und das Hinderniß wegzuschaffen. Andere Kranckheiten, die eine Verderbniß derer
14) Von denen Mitteln / wodurch man dieses Ubel nicht heben kan.
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/199>, abgerufen am 16.07.2024. |