Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.§. XIII. Weil aber ausser allen Zweiffel ist, daß ein solcher gerichtlicherDie Historie derer Gerichte / oder des gerichtlichen Processes. Proceß, wie wir solchen haben, weder vor Zeiten bey einem Volcke anzutreffen gewesen, noch heute zu Tage bey andern, und nicht einmahl bey allen Christlichen und Europäischen Nationen gebräuchlich ist, so wird wohl schwerlich ein Medicus der Justiz zu besserer Verwaltung derselben einen ersprießlichen Rath beytragen können, wenn er keine deutliche Historie vom Ursprung, Fortgang und Veränderung derer bürgerlichen und peinlichen Gerichte hat. Denn ich sehe nicht, wie ohne dergleichen Historie ein Jurist sich eine vernünfftige Art zu richten vorstellen, und sich wahre Begriffe von denen rechten Ursachen des Verderbs machen könne. Allein auch diese Historie gehöret unter die Dinge, die man bey der Lehre der Klugheit noch wünschet. Wolte sich jemand über solche Arbeit machen, so müste er erstlich handeln von der Proceß-Ordnung bey denen Juden, und von der Einfalt und Gerechtigkeit derjenigen, so GOtt in der Mosaischen Republique angeordnet; ingleichen von denen Gerichten derer Griechen, Römer und Teutschen, von jeden besonders nach Veränderung derer Zeiten, und endlich von denen mancherley Gerichten derer Völcker in Asien, Africa, Europa und America, von deren Gebräuchen wenig geschrieben worden. Allein auch diese Historie will einen Menschen haben, der Verstand und Gedult zu schwerer Arbeit hat: Denn er wird in allen Büchern und Capiteln genug finden, welches Fleiß und grosse Mühe erfordert. Was nun den Römischen Proceß anlanget, so ist schon von denen Zeiten der freyen Republique viel nutzbahres aus dem Cicerone und andern Römern zu nehmen; doch finden sich bey denen Veränderungen, so unter denen Käysern vorgegangen, viele Schwierigkeiten, ja es ist Tribonianus nebst denen übrigen Räthen des Justiniani so unachtsam gewesen, daß die LL. und Constitutiones in denen Institutionibus, Pandectis, Codice und Noellis, so vom gerichtlichen Processe handeln, kaum den dreyßigsten Theil davon entwerfen, und solche Abhandlung einem Gemählde gleichet, worauf der Mahler das wahrhafte Ebenbild eines Menschen vorzustellen versprochen, da doch nichts mehr als die Augenbraunen, ein Stückgen von der Nase, das Kinn, und einige Stoppel-Haare zu sehen. Es können zwar Francisci Polleti Historia fori Romani und Georgii Obrechti Exercitium Juris antiqui de rei vindicatione eines und das andere zu solcher Historie beytragen, doch wird ein curieuser Erforscher der Antiquität in beyden viele Lücken und vieles zu verbessern antreffen. Die Teutschen anlangend, so ist die Historie der teutschen Gerichte noch unbekannter, und über dieses noch in viel §. XIII. Weil aber ausser allen Zweiffel ist, daß ein solcher gerichtlicherDie Historie derer Gerichte / oder des gerichtlichen Processes. Proceß, wie wir solchen haben, weder vor Zeiten bey einem Volcke anzutreffen gewesen, noch heute zu Tage bey andern, und nicht einmahl bey allen Christlichen und Europäischen Nationen gebräuchlich ist, so wird wohl schwerlich ein Medicus der Justiz zu besserer Verwaltung derselben einen ersprießlichen Rath beytragen können, wenn er keine deutliche Historie vom Ursprung, Fortgang und Veränderung derer bürgerlichen und peinlichen Gerichte hat. Denn ich sehe nicht, wie ohne dergleichen Historie ein Jurist sich eine vernünfftige Art zu richten vorstellen, und sich wahre Begriffe von denen rechten Ursachen des Verderbs machen könne. Allein auch diese Historie gehöret unter die Dinge, die man bey der Lehre der Klugheit noch wünschet. Wolte sich jemand über solche Arbeit machen, so müste er erstlich handeln von der Proceß-Ordnung bey denen Juden, und von der Einfalt und Gerechtigkeit derjenigen, so GOtt in der Mosaischen Republique angeordnet; ingleichen von denen Gerichten derer Griechen, Römer und Teutschen, von jeden besonders nach Veränderung derer Zeiten, und endlich von denen mancherley Gerichten derer Völcker in Asien, Africa, Europa und America, von deren Gebräuchen wenig geschrieben worden. Allein auch diese Historie will einen Menschen haben, der Verstand und Gedult zu schwerer Arbeit hat: Denn er wird in allen Büchern und Capiteln genug finden, welches Fleiß und grosse Mühe erfordert. Was nun den Römischen Proceß anlanget, so ist schon von denen Zeiten der freyen Republique viel nutzbahres aus dem Cicerone und andern Römern zu nehmen; doch finden sich bey denen Veränderungen, so unter denen Käysern vorgegangen, viele Schwierigkeiten, ja es ist Tribonianus nebst denen übrigen Räthen des Justiniani so unachtsam gewesen, daß die LL. und Constitutiones in denen Institutionibus, Pandectis, Codice und Noellis, so vom gerichtlichen Processe handeln, kaum den dreyßigsten Theil davon entwerfen, und solche Abhandlung einem Gemählde gleichet, worauf der Mahler das wahrhafte Ebenbild eines Menschen vorzustellen versprochen, da doch nichts mehr als die Augenbraunen, ein Stückgen von der Nase, das Kinn, und einige Stoppel-Haare zu sehen. Es können zwar Francisci Polleti Historia fori Romani und Georgii Obrechti Exercitium Juris antiqui de rei vindicatione eines und das andere zu solcher Historie beytragen, doch wird ein curieuser Erforscher der Antiquität in beyden viele Lücken und vieles zu verbessern antreffen. Die Teutschen anlangend, so ist die Historie der teutschen Gerichte noch unbekannter, und über dieses noch in viel <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0185" n="177"/> <p>§. XIII. 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Wolte sich jemand über solche Arbeit machen, so müste er erstlich handeln von der Proceß-Ordnung bey denen Juden, und von der Einfalt und Gerechtigkeit derjenigen, so GOtt in der Mosaischen Republique angeordnet; ingleichen von denen Gerichten derer Griechen, Römer und Teutschen, von jeden besonders nach Veränderung derer Zeiten, und endlich von denen mancherley Gerichten derer Völcker in Asien, Africa, Europa und America, von deren Gebräuchen wenig geschrieben worden. Allein auch diese Historie will einen Menschen haben, der Verstand und Gedult zu schwerer Arbeit hat: Denn er wird in allen Büchern und Capiteln genug finden, welches Fleiß und grosse Mühe erfordert. Was nun den Römischen Proceß anlanget, so ist schon von denen Zeiten der freyen Republique viel nutzbahres aus dem Cicerone und andern Römern zu nehmen; doch finden sich bey denen Veränderungen, so unter denen Käysern vorgegangen, viele Schwierigkeiten, ja es ist Tribonianus nebst denen übrigen Räthen des Justiniani so unachtsam gewesen, daß die LL. und Constitutiones in denen Institutionibus, Pandectis, Codice und Noellis, so vom gerichtlichen Processe handeln, kaum den dreyßigsten Theil davon entwerfen, und solche Abhandlung einem Gemählde gleichet, worauf der Mahler das wahrhafte Ebenbild eines Menschen vorzustellen versprochen, da doch nichts mehr als die Augenbraunen, ein Stückgen von der Nase, das Kinn, und einige Stoppel-Haare zu sehen. Es können zwar Francisci Polleti Historia fori Romani und Georgii Obrechti Exercitium Juris antiqui de rei vindicatione eines und das andere zu solcher Historie beytragen, doch wird ein curieuser Erforscher der Antiquität in beyden viele Lücken und vieles zu verbessern antreffen. Die Teutschen anlangend, so ist die Historie der teutschen Gerichte noch unbekannter, und über dieses noch in viel </p> </div> </body> </text> </TEI> [177/0185]
§. XIII. Weil aber ausser allen Zweiffel ist, daß ein solcher gerichtlicher Proceß, wie wir solchen haben, weder vor Zeiten bey einem Volcke anzutreffen gewesen, noch heute zu Tage bey andern, und nicht einmahl bey allen Christlichen und Europäischen Nationen gebräuchlich ist, so wird wohl schwerlich ein Medicus der Justiz zu besserer Verwaltung derselben einen ersprießlichen Rath beytragen können, wenn er keine deutliche Historie vom Ursprung, Fortgang und Veränderung derer bürgerlichen und peinlichen Gerichte hat. Denn ich sehe nicht, wie ohne dergleichen Historie ein Jurist sich eine vernünfftige Art zu richten vorstellen, und sich wahre Begriffe von denen rechten Ursachen des Verderbs machen könne. Allein auch diese Historie gehöret unter die Dinge, die man bey der Lehre der Klugheit noch wünschet. Wolte sich jemand über solche Arbeit machen, so müste er erstlich handeln von der Proceß-Ordnung bey denen Juden, und von der Einfalt und Gerechtigkeit derjenigen, so GOtt in der Mosaischen Republique angeordnet; ingleichen von denen Gerichten derer Griechen, Römer und Teutschen, von jeden besonders nach Veränderung derer Zeiten, und endlich von denen mancherley Gerichten derer Völcker in Asien, Africa, Europa und America, von deren Gebräuchen wenig geschrieben worden. Allein auch diese Historie will einen Menschen haben, der Verstand und Gedult zu schwerer Arbeit hat: Denn er wird in allen Büchern und Capiteln genug finden, welches Fleiß und grosse Mühe erfordert. Was nun den Römischen Proceß anlanget, so ist schon von denen Zeiten der freyen Republique viel nutzbahres aus dem Cicerone und andern Römern zu nehmen; doch finden sich bey denen Veränderungen, so unter denen Käysern vorgegangen, viele Schwierigkeiten, ja es ist Tribonianus nebst denen übrigen Räthen des Justiniani so unachtsam gewesen, daß die LL. und Constitutiones in denen Institutionibus, Pandectis, Codice und Noellis, so vom gerichtlichen Processe handeln, kaum den dreyßigsten Theil davon entwerfen, und solche Abhandlung einem Gemählde gleichet, worauf der Mahler das wahrhafte Ebenbild eines Menschen vorzustellen versprochen, da doch nichts mehr als die Augenbraunen, ein Stückgen von der Nase, das Kinn, und einige Stoppel-Haare zu sehen. Es können zwar Francisci Polleti Historia fori Romani und Georgii Obrechti Exercitium Juris antiqui de rei vindicatione eines und das andere zu solcher Historie beytragen, doch wird ein curieuser Erforscher der Antiquität in beyden viele Lücken und vieles zu verbessern antreffen. Die Teutschen anlangend, so ist die Historie der teutschen Gerichte noch unbekannter, und über dieses noch in viel
Die Historie derer Gerichte / oder des gerichtlichen Processes.
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