Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.les, auszulegen, inne habe.so bißher in Schulen hindangesetzet, zur Klugheit aber höchstnöthig ist, lernen, oder durch gewisse Hülffs-Mittel, welche noch von niemand vorgeschlagen worden, selbsten erfinden. Er muß die Menschen kennen, das ist, sich selbst und andere. Vor allen Dingen muß er den genauen Unterscheid zwischen der Natur des menschlichen Verstandes und Willens wissen, und wie man den Verstand in Erfindung der Wahrheit anzuwenden habe. Ob nun wohl hier die gemeine Logica in Erfindung der Wahrheit nicht m) Descripta optime a B. Jac. Tomasio post quaestiones logicas.von sonderlichen Nutzen, doch aber die eingeführte Art zu disputiren m) zum wenigsten so viel lehret, wie in denen Vernunfftschlüssen viele unnöthige Ausschweiffungen zu vermeiden, wie ein beständiger status controversiae zu formiren und zu behalten, ingleichen auf was Art man sich vor denen täglich vorkommenden vielen betrüglichen Sophistereyen zu hüten, welches insgesammt einen redlichen Erfinder der Warheit zum wenigsten vorbereitet, dieselbe desto leichter zu erfinden; so kan man leicht ermessen, was es der Verwaltung der Justiz geschadet, daß die Studiosi Juris, (aus denen künfftig Richter, Advocaten und Räthe werden sollen,) schon seit 50. Jahren, die gantze Philosophie und absonderlich die Kunst wohl zu disputiren gäntzlich hindangesetzet und ohne Betretung dieses Vorgemachs in die Jurisprudentz gleichsam durch die Fenster einsteigen u. einbrechen wollen. Dahero man sich gar nicht zu verwundern, woher es komme, daß die Advocaten gemeiniglich Klage-Schrifften, so mit wunderlicher u. fast unglaublicher Ungeschicklichkeit verfertiget sind, übergeben, und aber, wenn sie excipiren, Articul formiren, u. über den geführten Beweiß disputiren sollen etc. die Acten mit lauter verwirreten Sachen meistens anfüllen; daß auch ingleichem die Richter in einer gantz klahren und verständl. Sache aus Unwissenheit, den statum controversiae recht zu formiren, die Urtheilsfragen n) de qua actum in cautelis circa praecogn. Jurispr. c. 10. §. 60. seqq.aus wichtigen Ursachen, wie sie schreiben, öffters an Juristen-Facultäten zu schicken pflegen, wenn schon die Partheyen selbst darein nicht consentiren oder gar darwieder protestiren; ja daß auch endlich die Räthe in ihre Consilia von Verbesserung der Justiz so viel läppisch und unbrauchbar Zeug heutiges Tages hier und da mit eimnischen. Man hat auch noch eine andere Art, die Wahrheit zu erfinde und die Unwahrheit nack end o) in memorabilibus Socratisvorzustellen, nemlich durch Fragen n) (welche Art uns von dem Xenophonte o) erhalten, hingegen von Platonep gantz albern, und wieder seines Lehrmeisters p) in singulis ejus operibusdes Socratis deutliche Manier vorgetragen, im übrigen auch von Mons. Clerc q) gelobet, und einiger maßen entworffen worden). Diese Art ist denen Richtern in peinlichen Sachen höchstnöthig, bißher aber von denen q) part. 4. c. 9.meisten nichts geachtet worden, und ob sie wohl zu der Klugheit zu rathen insonderheit nicht hilfft, dieweil sie aber doch das Judicium sehr les, auszulegen, inne habe.so bißher in Schulen hindangesetzet, zur Klugheit aber höchstnöthig ist, lernen, oder durch gewisse Hülffs-Mittel, welche noch von niemand vorgeschlagen worden, selbsten erfinden. Er muß die Menschen kennen, das ist, sich selbst und andere. Vor allen Dingen muß er den genauen Unterscheid zwischen der Natur des menschlichen Verstandes und Willens wissen, und wie man den Verstand in Erfindung der Wahrheit anzuwenden habe. Ob nun wohl hier die gemeine Logica in Erfindung der Wahrheit nicht m) Descripta optime a B. Jac. Tomasio post quaestiones logicas.von sonderlichen Nutzen, doch aber die eingeführte Art zu disputiren m) zum wenigsten so viel lehret, wie in denen Vernunfftschlüssen viele unnöthige Ausschweiffungen zu vermeiden, wie ein beständiger status controversiae zu formiren und zu behalten, ingleichẽ auf was Art man sich vor denen täglich vorkommenden vielen betrüglichen Sophistereyẽ zu hüten, welches insgesammt einẽ redlichen Erfinder der Warheit zum wenigsten vorbereitet, dieselbe desto leichter zu erfinden; so kan man leicht ermessen, was es der Verwaltung der Justiz geschadet, daß die Studiosi Juris, (aus denen künfftig Richter, Advocaten und Räthe werden sollen,) schon seit 50. Jahren, die gantze Philosophie und absonderlich die Kunst wohl zu disputiren gäntzlich hindangesetzet und ohne Betretung dieses Vorgemachs in die Jurisprudentz gleichsam durch die Fenster einsteigen u. einbrechen wollen. Dahero man sich gar nicht zu verwundern, woher es kom̃e, daß die Advocaten gemeiniglich Klage-Schrifften, so mit wunderlicher u. fast unglaublicher Ungeschicklichkeit verfertiget sind, übergeben, und aber, wenn sie excipiren, Articul formiren, u. über den geführtẽ Beweiß disputiren sollen etc. die Acten mit lauter verwirretẽ Sachen meistens anfüllen; daß auch ingleichem die Richter in einer gantz klahren und verständl. Sache aus Unwissenheit, den statum controversiae recht zu formiren, die Urtheilsfragen n) de qua actum in cautelis circa praecogn. Jurispr. c. 10. §. 60. seqq.aus wichtigen Ursachen, wie sie schreiben, öffters an Juristen-Facultäten zu schicken pflegen, wenn schon die Partheyen selbst darein nicht consentiren oder gar darwieder protestiren; ja daß auch endlich die Räthe in ihre Consilia von Verbesserung der Justiz so viel läppisch und unbrauchbar Zeug heutiges Tages hier und da mit eimnischen. Man hat auch noch eine andere Art, die Wahrheit zu erfinde und die Unwahrheit nack end o) in memorabilibus Socratisvorzustellen, nemlich durch Fragen n) (welche Art uns von dem Xenophonte o) erhalten, hingegen von Platonep gantz albern, und wieder seines Lehrmeisters p) in singulis ejus operibusdes Socratis deutliche Manier vorgetragen, im übrigen auch von Mons. Clerc q) gelobet, und einiger maßen entworffen worden). Diese Art ist denen Richtern in peinlichen Sachen höchstnöthig, bißher aber von denen q) part. 4. c. 9.meisten nichts geachtet worden, und ob sie wohl zu der Klugheit zu rathen insonderheit nicht hilfft, dieweil sie aber doch das Judicium sehr <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0178" n="170"/> les, <note place="left">auszulegen, inne habe.</note>so bißher in Schulen hindangesetzet, zur Klugheit aber höchstnöthig ist, lernen, oder durch gewisse Hülffs-Mittel, welche noch von niemand vorgeschlagen worden, selbsten erfinden. Er muß die Menschen kennen, das ist, sich selbst und andere. Vor allen Dingen muß er den genauen Unterscheid zwischen der Natur des menschlichen Verstandes und Willens wissen, und wie man den Verstand in Erfindung der Wahrheit anzuwenden habe.</p> <p>Ob nun wohl hier die gemeine Logica in Erfindung der Wahrheit nicht <note place="left">m) Descripta optime a B. Jac. Tomasio post quaestiones logicas.</note>von sonderlichen Nutzen, doch aber die eingeführte Art zu disputiren m) zum wenigsten so viel lehret, wie in denen Vernunfftschlüssen viele unnöthige Ausschweiffungen zu vermeiden, wie ein beständiger status controversiae zu formiren und zu behalten, ingleichẽ auf was Art man sich vor denen täglich vorkommenden vielen betrüglichen Sophistereyẽ zu hüten, welches insgesammt einẽ redlichen Erfinder der Warheit zum wenigsten vorbereitet, dieselbe desto leichter zu erfinden; so kan man leicht ermessen, was es der Verwaltung der Justiz geschadet, daß die Studiosi Juris, (aus denen künfftig Richter, Advocaten und Räthe werden sollen,) schon seit 50. Jahren, die gantze Philosophie und absonderlich die Kunst wohl zu disputiren gäntzlich hindangesetzet und ohne Betretung dieses Vorgemachs in die Jurisprudentz gleichsam durch die Fenster einsteigen u. einbrechen wollen. Dahero man sich gar nicht zu verwundern, woher es kom̃e, daß die Advocaten gemeiniglich Klage-Schrifften, so mit wunderlicher u. fast unglaublicher Ungeschicklichkeit verfertiget sind, übergeben, und aber, wenn sie excipiren, Articul formiren, u. über den geführtẽ Beweiß disputiren sollen etc. die Acten mit lauter verwirretẽ Sachen meistens anfüllen; daß auch ingleichem die Richter in einer gantz klahren und verständl. Sache aus Unwissenheit, den statum controversiae recht zu formiren, die Urtheilsfragen <note place="left">n) de qua actum in cautelis circa praecogn. Jurispr. c. 10. §. 60. seqq.</note>aus wichtigen Ursachen, wie sie schreiben, öffters an Juristen-Facultäten zu schicken pflegen, wenn schon die Partheyen selbst darein nicht consentiren oder gar darwieder protestiren; ja daß auch endlich die Räthe in ihre Consilia von Verbesserung der Justiz so viel läppisch und unbrauchbar Zeug heutiges Tages hier und da mit eimnischen. Man hat auch noch eine andere Art, die Wahrheit zu erfinde und die Unwahrheit nack end <note place="left">o) in memorabilibus Socratis</note>vorzustellen, nemlich durch Fragen n) (welche Art uns von dem Xenophonte o) erhalten, hingegen von Platonep gantz albern, und wieder seines Lehrmeisters <note place="left">p) in singulis ejus operibus</note>des Socratis deutliche Manier vorgetragen, im übrigen auch von Mons. Clerc q) gelobet, und einiger maßen entworffen worden). Diese Art ist denen Richtern in peinlichen Sachen höchstnöthig, bißher aber von denen <note place="left">q) part. 4. c. 9.</note>meisten nichts geachtet worden, und ob sie wohl zu der Klugheit zu rathen insonderheit nicht hilfft, dieweil sie aber doch das Judicium sehr </p> </div> </body> </text> </TEI> [170/0178]
les, so bißher in Schulen hindangesetzet, zur Klugheit aber höchstnöthig ist, lernen, oder durch gewisse Hülffs-Mittel, welche noch von niemand vorgeschlagen worden, selbsten erfinden. Er muß die Menschen kennen, das ist, sich selbst und andere. Vor allen Dingen muß er den genauen Unterscheid zwischen der Natur des menschlichen Verstandes und Willens wissen, und wie man den Verstand in Erfindung der Wahrheit anzuwenden habe.
auszulegen, inne habe. Ob nun wohl hier die gemeine Logica in Erfindung der Wahrheit nicht von sonderlichen Nutzen, doch aber die eingeführte Art zu disputiren m) zum wenigsten so viel lehret, wie in denen Vernunfftschlüssen viele unnöthige Ausschweiffungen zu vermeiden, wie ein beständiger status controversiae zu formiren und zu behalten, ingleichẽ auf was Art man sich vor denen täglich vorkommenden vielen betrüglichen Sophistereyẽ zu hüten, welches insgesammt einẽ redlichen Erfinder der Warheit zum wenigsten vorbereitet, dieselbe desto leichter zu erfinden; so kan man leicht ermessen, was es der Verwaltung der Justiz geschadet, daß die Studiosi Juris, (aus denen künfftig Richter, Advocaten und Räthe werden sollen,) schon seit 50. Jahren, die gantze Philosophie und absonderlich die Kunst wohl zu disputiren gäntzlich hindangesetzet und ohne Betretung dieses Vorgemachs in die Jurisprudentz gleichsam durch die Fenster einsteigen u. einbrechen wollen. Dahero man sich gar nicht zu verwundern, woher es kom̃e, daß die Advocaten gemeiniglich Klage-Schrifften, so mit wunderlicher u. fast unglaublicher Ungeschicklichkeit verfertiget sind, übergeben, und aber, wenn sie excipiren, Articul formiren, u. über den geführtẽ Beweiß disputiren sollen etc. die Acten mit lauter verwirretẽ Sachen meistens anfüllen; daß auch ingleichem die Richter in einer gantz klahren und verständl. Sache aus Unwissenheit, den statum controversiae recht zu formiren, die Urtheilsfragen aus wichtigen Ursachen, wie sie schreiben, öffters an Juristen-Facultäten zu schicken pflegen, wenn schon die Partheyen selbst darein nicht consentiren oder gar darwieder protestiren; ja daß auch endlich die Räthe in ihre Consilia von Verbesserung der Justiz so viel läppisch und unbrauchbar Zeug heutiges Tages hier und da mit eimnischen. Man hat auch noch eine andere Art, die Wahrheit zu erfinde und die Unwahrheit nack end vorzustellen, nemlich durch Fragen n) (welche Art uns von dem Xenophonte o) erhalten, hingegen von Platonep gantz albern, und wieder seines Lehrmeisters des Socratis deutliche Manier vorgetragen, im übrigen auch von Mons. Clerc q) gelobet, und einiger maßen entworffen worden). Diese Art ist denen Richtern in peinlichen Sachen höchstnöthig, bißher aber von denen meisten nichts geachtet worden, und ob sie wohl zu der Klugheit zu rathen insonderheit nicht hilfft, dieweil sie aber doch das Judicium sehr
m) Descripta optime a B. Jac. Tomasio post quaestiones logicas.
n) de qua actum in cautelis circa praecogn. Jurispr. c. 10. §. 60. seqq.
o) in memorabilibus Socratis
p) in singulis ejus operibus
q) part. 4. c. 9.
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/178>, abgerufen am 16.02.2025. |