Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.der Poete die Rathschläge allein bey denen Männern suchet, und alte Leute gleichsam davon ausschliesset, kan ich nicht sehen. Ich wolte lieber sagen, die Jugend tauge nicht zum Rathgeben, aber zum Vollbringen: Hingegen sey es bey denen Alten gerade umgekehrt; und die Männer könten sowohl denen Verrichtungen junger Leute mit einem gescheiden Rath beystehen, als auch ihre eigene Geschäffte nach alter Leute Vorschrifft besorgen. Denn Männer haben einige Erfahrung nebst Hurtigkeit des ingenii, und können sich auf ihre Leibes-Kräffte verlassen, doch gehen ihnen die Alten in der Lehre und Erfahrung noch vor. Hinwieder gehen denen Alten die Leibes-Kräffte ab, daß sie wenig mehr thun können, aber eine lange Erfahrung macht sie um so viel behutsamer. Eine kluge Behutsamkeit aber ist die Seele eines Rathschlags. Es ist mir bekannt, daß das hohe Alter feige oder doch wenigstens furchtsamer als das männliche ist. Im Rathgeben aber muß man öffters etwas wagen, und darum hält vielleicht der Poet die Männer nur vor geschickt dazu. Doch ist hierbey zu mercken, daß unterm Rathgeben in Kriegs- und Friedens-Zeiten ein grosser Unterscheid sey. Im Kriege muß freylich offt viel hazardiret werden, weswegen ich auch nicht behaupten wolte, daß alte Leuthe so gut als die Männer zu Kriegs-Räthen taugen. Allein bey Rathschlägen, so eine friedliche Reipublique anbetreffen, ist eigentlich keine Kühnheit und Eilfertigkeit nöthig, wohl aber eine Behutsamkeit, die der Furchtsamkeit sehr nahe kömmt. Der Friede aber ist der ordentliche Zustand einer Republick und müssen alle Kriege um des Friedens willen geführet, auch mitten unter denen Waffen auf den Frieden gedacht werden. Und weil in Kriegs-Wesen die Gesetze nichts gelten, auch der Grund und die Absicht einer geschwinden Verwaltung der Justiz der Friedens-Stand ist, als folget von selbsten, daß junge Leute zu denen Rathschlägen von Verkürtzung derer Processe nicht geschickt; alte Leute aber, wenn sie nur nicht schon wieder kindisch werden, die Männer hierinne weit übertreffen. §. VII. Von der Lehre wird mehr zu erinnern seyn, weil bißher in4) Daß man die Lehre / die Wahrheit zu erfinden und die Schriften wohl denen meisten Schulen fast nur dergleichen Lehren vorgetragen worden, aus welchen man entweder gar keinen gescheiden Rath geben können, oder welche doch nicht zulänglich gewesen, einem die Kunst sich und andern wohl zu rathen recht beyzubringen. Die muß nun also ein Artzt der in letzten Zügen liegenden Justiz wohl verstehen, auf daß er das jenige, so von solcher Lehren Einfalt und Unzulänglichkeit geschrieben worden, nicht nur andern glauben, sondern selbst bemercken könne. Uber dieses soll er noch vie der Poete die Rathschläge allein bey denen Männern suchet, und alte Leute gleichsam davon ausschliesset, kan ich nicht sehen. Ich wolte lieber sagen, die Jugend tauge nicht zum Rathgeben, aber zum Vollbringen: Hingegen sey es bey denen Alten gerade umgekehrt; und die Männer könten sowohl denen Verrichtungen junger Leute mit einem gescheiden Rath beystehen, als auch ihre eigene Geschäffte nach alter Leute Vorschrifft besorgen. Denn Männer haben einige Erfahrung nebst Hurtigkeit des ingenii, und können sich auf ihre Leibes-Kräffte verlassen, doch gehen ihnen die Alten in der Lehre und Erfahrung noch vor. Hinwieder gehen denen Alten die Leibes-Kräffte ab, daß sie wenig mehr thun können, aber eine lange Erfahrung macht sie um so viel behutsamer. Eine kluge Behutsamkeit aber ist die Seele eines Rathschlags. Es ist mir bekannt, daß das hohe Alter feige oder doch wenigstens furchtsamer als das männliche ist. Im Rathgeben aber muß man öffters etwas wagen, und darum hält vielleicht der Poet die Männer nur vor geschickt dazu. Doch ist hierbey zu mercken, daß unterm Rathgeben in Kriegs- und Friedens-Zeiten ein grosser Unterscheid sey. Im Kriege muß freylich offt viel hazardiret werden, weswegen ich auch nicht behaupten wolte, daß alte Leuthe so gut als die Männer zu Kriegs-Räthen taugen. Allein bey Rathschlägen, so eine friedliche Reipublique anbetreffen, ist eigentlich keine Kühnheit und Eilfertigkeit nöthig, wohl aber eine Behutsamkeit, die der Furchtsamkeit sehr nahe kömmt. Der Friede aber ist der ordentliche Zustand einer Republick und müssen alle Kriege um des Friedens willen geführet, auch mitten unter denen Waffen auf den Frieden gedacht werden. Und weil in Kriegs-Wesen die Gesetze nichts gelten, auch der Grund und die Absicht einer geschwinden Verwaltung der Justiz der Friedens-Stand ist, als folget von selbsten, daß junge Leute zu denen Rathschlägen von Verkürtzung derer Processe nicht geschickt; alte Leute aber, wenn sie nur nicht schon wieder kindisch werden, die Männer hierinne weit übertreffen. §. VII. Von der Lehre wird mehr zu erinnern seyn, weil bißher in4) Daß man die Lehre / die Wahrheit zu erfinden und die Schriften wohl denen meisten Schulen fast nur dergleichen Lehren vorgetragen worden, aus welchen man entweder gar keinen gescheiden Rath geben können, oder welche doch nicht zulänglich gewesen, einem die Kunst sich und andern wohl zu rathen recht beyzubringen. Die muß nun also ein Artzt der in letzten Zügen liegenden Justiz wohl verstehen, auf daß er das jenige, so von solcher Lehren Einfalt und Unzulänglichkeit geschrieben worden, nicht nur andern glauben, sondern selbst bemercken könne. 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Es ist mir bekannt, daß das hohe Alter feige oder doch wenigstens furchtsamer als das männliche ist. Im Rathgeben aber muß man öffters etwas wagen, und darum hält vielleicht der Poet die Männer nur vor geschickt dazu. Doch ist hierbey zu mercken, daß unterm Rathgeben in Kriegs- und Friedens-Zeiten ein grosser Unterscheid sey. Im Kriege muß freylich offt viel hazardiret werden, weswegen ich auch nicht behaupten wolte, daß alte Leuthe so gut als die Männer zu Kriegs-Räthen taugen. Allein bey Rathschlägen, so eine friedliche Reipublique anbetreffen, ist eigentlich keine Kühnheit und Eilfertigkeit nöthig, wohl aber eine Behutsamkeit, die der Furchtsamkeit sehr nahe kömmt. Der Friede aber ist der ordentliche Zustand einer Republick und müssen alle Kriege um des Friedens willen geführet, auch mitten unter denen Waffen auf den Frieden gedacht werden. Und weil in Kriegs-Wesen die Gesetze nichts gelten, auch der Grund und die Absicht einer geschwinden Verwaltung der Justiz der Friedens-Stand ist, als folget von selbsten, daß junge Leute zu denen Rathschlägen von Verkürtzung derer Processe nicht geschickt; alte Leute aber, wenn sie nur nicht schon wieder kindisch werden, die Männer hierinne weit übertreffen.</p> <p>§. VII. Von der Lehre wird mehr zu erinnern seyn, weil bißher in<note place="right">4) Daß man die Lehre / die Wahrheit zu erfinden und die Schriften wohl</note> denen meisten Schulen fast nur dergleichen Lehren vorgetragen worden, aus welchen man entweder gar keinen gescheiden Rath geben können, oder welche doch nicht zulänglich gewesen, einem die Kunst sich und andern wohl zu rathen recht beyzubringen. 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der Poete die Rathschläge allein bey denen Männern suchet, und alte Leute gleichsam davon ausschliesset, kan ich nicht sehen. Ich wolte lieber sagen, die Jugend tauge nicht zum Rathgeben, aber zum Vollbringen: Hingegen sey es bey denen Alten gerade umgekehrt; und die Männer könten sowohl denen Verrichtungen junger Leute mit einem gescheiden Rath beystehen, als auch ihre eigene Geschäffte nach alter Leute Vorschrifft besorgen. Denn Männer haben einige Erfahrung nebst Hurtigkeit des ingenii, und können sich auf ihre Leibes-Kräffte verlassen, doch gehen ihnen die Alten in der Lehre und Erfahrung noch vor. Hinwieder gehen denen Alten die Leibes-Kräffte ab, daß sie wenig mehr thun können, aber eine lange Erfahrung macht sie um so viel behutsamer. Eine kluge Behutsamkeit aber ist die Seele eines Rathschlags. Es ist mir bekannt, daß das hohe Alter feige oder doch wenigstens furchtsamer als das männliche ist. Im Rathgeben aber muß man öffters etwas wagen, und darum hält vielleicht der Poet die Männer nur vor geschickt dazu. Doch ist hierbey zu mercken, daß unterm Rathgeben in Kriegs- und Friedens-Zeiten ein grosser Unterscheid sey. Im Kriege muß freylich offt viel hazardiret werden, weswegen ich auch nicht behaupten wolte, daß alte Leuthe so gut als die Männer zu Kriegs-Räthen taugen. Allein bey Rathschlägen, so eine friedliche Reipublique anbetreffen, ist eigentlich keine Kühnheit und Eilfertigkeit nöthig, wohl aber eine Behutsamkeit, die der Furchtsamkeit sehr nahe kömmt. Der Friede aber ist der ordentliche Zustand einer Republick und müssen alle Kriege um des Friedens willen geführet, auch mitten unter denen Waffen auf den Frieden gedacht werden. Und weil in Kriegs-Wesen die Gesetze nichts gelten, auch der Grund und die Absicht einer geschwinden Verwaltung der Justiz der Friedens-Stand ist, als folget von selbsten, daß junge Leute zu denen Rathschlägen von Verkürtzung derer Processe nicht geschickt; alte Leute aber, wenn sie nur nicht schon wieder kindisch werden, die Männer hierinne weit übertreffen.
§. VII. Von der Lehre wird mehr zu erinnern seyn, weil bißher in denen meisten Schulen fast nur dergleichen Lehren vorgetragen worden, aus welchen man entweder gar keinen gescheiden Rath geben können, oder welche doch nicht zulänglich gewesen, einem die Kunst sich und andern wohl zu rathen recht beyzubringen. Die muß nun also ein Artzt der in letzten Zügen liegenden Justiz wohl verstehen, auf daß er das jenige, so von solcher Lehren Einfalt und Unzulänglichkeit geschrieben worden, nicht nur andern glauben, sondern selbst bemercken könne. Uber dieses soll er noch vie
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/177>, abgerufen am 16.02.2025. |