Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.mende und Christliche Vorstellung der Bekl. nach Nothdurfft nicht gethan haben möge; hiernächst auch aus Klägers Schrifften fol. 127. neue Veranlassung des Mißvertrauens genommen wird, und aus derselben in Actis beschriebenen Lebens-Art offenbarlich abzunehmen, daß Beklagtin die bestellte juratorische Caution wieder ihren Willen anzunehmen nicht angehalten werden möge, und vielmehr, wenn der fol. 137. b. & 138. angeschuldigte Ehebruch erwiesen werden möchte, die Ehe propter adultorium mariti künfftig zu scheiden wäre, und solcher gestalt die fol. 186. b. in postscripto von Klägern angeführte Bedrohung, daß er aus Ungedult nicht möchte verursachet werden, sich sonst zu übereilen, zur Ungebühr geschehen, als ist obiger massen zu erkennen gewesen. §. V. Es ist in notis ad Lancelottum angeführet worden, daß die Scheidung von Tisch und Bette ursprünglich an statt einer wahren Ehescheidung, von dem Päbstischen Recht erfunden worden, und vorher andern Völckern unbekant gewesen. Nach der Reformation aber hat man diese Scheidung von Tisch und Bette unter denen Protestirenden als ein vernünfftiges Mittel beybehalten, die zwischen Eheleuten entstandene Feindseeligkeiten auffzuheben, und die gehäßigen Gemüther wieder zu vereinigen. vid. Ziegl. ad Lancelott. lib. 2. not. 519 & 545. Nun will ich zwar diesen praetext nicht gantz und gar verwerffen, noch für gantz unvernünfftig ausgeben: sondern gebe gerne zu, daß es jezuweilen mit guten Success practiciret worden. Nichts destoweniger überlasse ich allen der Natur der Menschen kundigen Gemüthern zu überlegen: 1. Ob nicht die tägliche Erfahrung bezeige, daß unter funffzig Exempeln kaum fünffe zu finden, da dieses Mittel fruchtbarlich angeschlagen, und ob nicht die regulae genuinae Politicae erfordern, diejenigen Mittel vor vernünfftig auszugeben, die meistentheils nach der allgemeinen Natur der Menschen, eine gute Würckung nach sich ziehen? 2. Ob die erste Beybehaltung dieses Mittels unter denen Protestirenden nicht vielmehr einer nicht allzuvernünfftigen Liebe derer Herrn Juristen gegen das Päbstische Recht zuzuschreiben sey, und daß das Vorgeben der intendirten Versöhnung nur ein blosser praetext gewesen? 3. Ob nicht zu diesen Unfug ein grosses beygetragen, daß man in Auslegung heiliger Schrifft allzusehr an denen Patribus gehangen, und dieser ihre Erklärungen dem göttlichen Wort selbst gleich geachtet, auch dannenhero keine andre als adulterium & malitiosam desertionem, für rechtmäßige Ursachen der Ehescheidung annehmen, solcher gestalt aber die zwischen Eheleuten entstandene tödtliche und unversöhnliche Feindschafften nicht für eine rechtmäßige Ursache der Ehescheidung erkennen wollen, in der That selbst aber doch endlich darauff verfallen, wenn man auch wohl den mende und Christliche Vorstellung der Bekl. nach Nothdurfft nicht gethan haben möge; hiernächst auch aus Klägers Schrifften fol. 127. neue Veranlassung des Mißvertrauens genommen wird, und aus derselben in Actis beschriebenen Lebens-Art offenbarlich abzunehmen, daß Beklagtin die bestellte juratorische Caution wieder ihren Willen anzunehmen nicht angehalten werden möge, und vielmehr, wenn der fol. 137. b. & 138. angeschuldigte Ehebruch erwiesen werden möchte, die Ehe propter adultorium mariti künfftig zu scheiden wäre, und solcher gestalt die fol. 186. b. in postscripto von Klägern angeführte Bedrohung, daß er aus Ungedult nicht möchte verursachet werden, sich sonst zu übereilen, zur Ungebühr geschehen, als ist obiger massen zu erkennen gewesen. §. V. Es ist in notis ad Lancelottum angeführet worden, daß die Scheidung von Tisch und Bette ursprünglich an statt einer wahren Ehescheidung, von dem Päbstischen Recht erfunden worden, und vorher andern Völckern unbekant gewesen. Nach der Reformation aber hat man diese Scheidung von Tisch und Bette unter denen Protestirenden als ein vernünfftiges Mittel beybehalten, die zwischen Eheleuten entstandene Feindseeligkeiten auffzuheben, und die gehäßigen Gemüther wieder zu vereinigen. vid. Ziegl. ad Lancelott. lib. 2. not. 519 & 545. Nun will ich zwar diesen praetext nicht gantz und gar verwerffen, noch für gantz unvernünfftig ausgeben: sondern gebe gerne zu, daß es jezuweilen mit guten Success practiciret worden. Nichts destoweniger überlasse ich allen der Natur der Menschen kundigen Gemüthern zu überlegen: 1. Ob nicht die tägliche Erfahrung bezeige, daß unter funffzig Exempeln kaum fünffe zu finden, da dieses Mittel fruchtbarlich angeschlagen, und ob nicht die regulae genuinae Politicae erfordern, diejenigen Mittel vor vernünfftig auszugeben, die meistentheils nach der allgemeinen Natur der Menschen, eine gute Würckung nach sich ziehen? 2. Ob die erste Beybehaltung dieses Mittels unter denen Protestirenden nicht vielmehr einer nicht allzuvernünfftigen Liebe derer Herrn Juristen gegen das Päbstische Recht zuzuschreiben sey, und daß das Vorgeben der intendirten Versöhnung nur ein blosser praetext gewesen? 3. Ob nicht zu diesen Unfug ein grosses beygetragen, daß man in Auslegung heiliger Schrifft allzusehr an denen Patribus gehangen, und dieser ihre Erklärungen dem göttlichen Wort selbst gleich geachtet, auch dannenhero keine andre als adulterium & malitiosam desertionem, für rechtmäßige Ursachen der Ehescheidung annehmen, solcher gestalt aber die zwischen Eheleuten entstandene tödtliche und unversöhnliche Feindschafften nicht für eine rechtmäßige Ursache der Ehescheidung erkennen wollen, in der That selbst aber doch endlich darauff verfallen, wenn man auch wohl den <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0378" n="362"/> mende und Christliche Vorstellung der Bekl. nach Nothdurfft nicht gethan haben möge; hiernächst auch aus Klägers Schrifften fol. 127. neue Veranlassung des Mißvertrauens genommen wird, und aus derselben in Actis beschriebenen Lebens-Art offenbarlich abzunehmen, daß Beklagtin die bestellte juratorische Caution wieder ihren Willen anzunehmen nicht angehalten werden möge, und vielmehr, wenn der fol. 137. b. & 138. angeschuldigte Ehebruch erwiesen werden möchte, die Ehe propter adultorium mariti künfftig zu scheiden wäre, und solcher gestalt die fol. 186. b. in postscripto von Klägern angeführte Bedrohung, daß er aus Ungedult nicht möchte verursachet werden, sich sonst zu übereilen, zur Ungebühr geschehen, als ist obiger massen zu erkennen gewesen.</p> <note place="left">Allerhand nützliche Anmerckungen von der Scheidung von Tisch und Bette.</note> <p>§. V. Es ist in notis ad Lancelottum angeführet worden, daß die Scheidung von Tisch und Bette ursprünglich an statt einer wahren Ehescheidung, von dem Päbstischen Recht erfunden worden, und vorher andern Völckern unbekant gewesen. Nach der Reformation aber hat man diese Scheidung von Tisch und Bette unter denen Protestirenden als ein vernünfftiges Mittel beybehalten, die zwischen Eheleuten entstandene Feindseeligkeiten auffzuheben, und die gehäßigen Gemüther wieder zu vereinigen. vid. Ziegl. ad Lancelott. lib. 2. not. 519 & 545. Nun will ich zwar diesen praetext nicht gantz und gar verwerffen, noch für gantz unvernünfftig ausgeben: sondern gebe gerne zu, daß es jezuweilen mit guten Success practiciret worden. Nichts destoweniger überlasse ich allen der Natur der Menschen kundigen Gemüthern zu überlegen: 1. Ob nicht die tägliche Erfahrung bezeige, daß unter funffzig Exempeln kaum fünffe zu finden, da dieses Mittel fruchtbarlich angeschlagen, und ob nicht die regulae genuinae Politicae erfordern, diejenigen Mittel vor vernünfftig auszugeben, die meistentheils nach der allgemeinen Natur der Menschen, eine gute Würckung nach sich ziehen? 2. Ob die erste Beybehaltung dieses Mittels unter denen Protestirenden nicht vielmehr einer nicht allzuvernünfftigen Liebe derer Herrn Juristen gegen das Päbstische Recht zuzuschreiben sey, und daß das Vorgeben der intendirten Versöhnung nur ein blosser praetext gewesen? 3. Ob nicht zu diesen Unfug ein grosses beygetragen, daß man in Auslegung heiliger Schrifft allzusehr an denen Patribus gehangen, und dieser ihre Erklärungen dem göttlichen Wort selbst gleich geachtet, auch dannenhero keine andre als adulterium & malitiosam desertionem, für rechtmäßige Ursachen der Ehescheidung annehmen, solcher gestalt aber die zwischen Eheleuten entstandene tödtliche und unversöhnliche Feindschafften nicht für eine rechtmäßige Ursache der Ehescheidung erkennen wollen, in der That selbst aber doch endlich darauff verfallen, wenn man auch wohl den </p> </div> </body> </text> </TEI> [362/0378]
mende und Christliche Vorstellung der Bekl. nach Nothdurfft nicht gethan haben möge; hiernächst auch aus Klägers Schrifften fol. 127. neue Veranlassung des Mißvertrauens genommen wird, und aus derselben in Actis beschriebenen Lebens-Art offenbarlich abzunehmen, daß Beklagtin die bestellte juratorische Caution wieder ihren Willen anzunehmen nicht angehalten werden möge, und vielmehr, wenn der fol. 137. b. & 138. angeschuldigte Ehebruch erwiesen werden möchte, die Ehe propter adultorium mariti künfftig zu scheiden wäre, und solcher gestalt die fol. 186. b. in postscripto von Klägern angeführte Bedrohung, daß er aus Ungedult nicht möchte verursachet werden, sich sonst zu übereilen, zur Ungebühr geschehen, als ist obiger massen zu erkennen gewesen.
§. V. Es ist in notis ad Lancelottum angeführet worden, daß die Scheidung von Tisch und Bette ursprünglich an statt einer wahren Ehescheidung, von dem Päbstischen Recht erfunden worden, und vorher andern Völckern unbekant gewesen. Nach der Reformation aber hat man diese Scheidung von Tisch und Bette unter denen Protestirenden als ein vernünfftiges Mittel beybehalten, die zwischen Eheleuten entstandene Feindseeligkeiten auffzuheben, und die gehäßigen Gemüther wieder zu vereinigen. vid. Ziegl. ad Lancelott. lib. 2. not. 519 & 545. Nun will ich zwar diesen praetext nicht gantz und gar verwerffen, noch für gantz unvernünfftig ausgeben: sondern gebe gerne zu, daß es jezuweilen mit guten Success practiciret worden. Nichts destoweniger überlasse ich allen der Natur der Menschen kundigen Gemüthern zu überlegen: 1. Ob nicht die tägliche Erfahrung bezeige, daß unter funffzig Exempeln kaum fünffe zu finden, da dieses Mittel fruchtbarlich angeschlagen, und ob nicht die regulae genuinae Politicae erfordern, diejenigen Mittel vor vernünfftig auszugeben, die meistentheils nach der allgemeinen Natur der Menschen, eine gute Würckung nach sich ziehen? 2. Ob die erste Beybehaltung dieses Mittels unter denen Protestirenden nicht vielmehr einer nicht allzuvernünfftigen Liebe derer Herrn Juristen gegen das Päbstische Recht zuzuschreiben sey, und daß das Vorgeben der intendirten Versöhnung nur ein blosser praetext gewesen? 3. Ob nicht zu diesen Unfug ein grosses beygetragen, daß man in Auslegung heiliger Schrifft allzusehr an denen Patribus gehangen, und dieser ihre Erklärungen dem göttlichen Wort selbst gleich geachtet, auch dannenhero keine andre als adulterium & malitiosam desertionem, für rechtmäßige Ursachen der Ehescheidung annehmen, solcher gestalt aber die zwischen Eheleuten entstandene tödtliche und unversöhnliche Feindschafften nicht für eine rechtmäßige Ursache der Ehescheidung erkennen wollen, in der That selbst aber doch endlich darauff verfallen, wenn man auch wohl den
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/378>, abgerufen am 23.07.2024. |