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Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691.

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und unwahrscheinlichen Dingen.
Sinnen betrachtet/ denn du hast vermöge die-
ses concepts alle neuen individua alsbald
dahin zu ordiniren gewust/ daß nehmlich die-
ses ein Mensch/ jenes ein Hund/ Katze/ Klang/
Farbe/ Rosen-Geruch u. s. w. sey.

60. Wenn du aber z. e. einen Soldaten ge-
sehen/ denn die Beine weggeschossen gewe-
sen/ hast du alsobald geurtheilet/ daß dieses ein
Mensch sey/ dem die Beine mangeln: und
wenn man dir einen weissen Raben zeigen
würde/ würdest du nach genauer Betrachtung
selbst sagen/ daß es ein weisser Rabe sey.

61. Du würdest aber nimmermehr ein
Kalb/ das reden konte/ oder eine menschliche
Mißgeburt/ die keinen Kopff hätte/ oder die
keine Augen und Ohren hätte/ für einen
Menschen halten.

62. Und also siehest du selbsten/ daß du von
dir selbst und deiner innerlichen Vergewisse-
rung den Unterscheid zwischen denen ideis und
conceptibus verosimilibus hernehmen must.

63. So kan es nun nicht fehlen/ dn must
auch die Beantwortung auff deine obje-
ction
deutlich begreiffen können.

64. Die idee wird von etlichen wenigen
individuis nur gerühret/ und nicht erst per

in-

und unwahrſcheinlichen Dingen.
Sinnen betrachtet/ denn du haſt vermoͤge die-
ſes concepts alle neuen individua alsbald
dahin zu ordiniren gewuſt/ daß nehmlich die-
ſes ein Menſch/ jenes ein Hund/ Katze/ Klang/
Farbe/ Roſen-Geruch u. ſ. w. ſey.

60. Wenn du aber z. e. einen Soldaten ge-
ſehen/ denn die Beine weggeſchoſſen gewe-
ſen/ haſt du alſobald geurtheilet/ daß dieſes ein
Menſch ſey/ dem die Beine mangeln: und
wenn man dir einen weiſſen Raben zeigen
wuͤrde/ wuͤrdeſt du nach genauer Betrachtung
ſelbſt ſagen/ daß es ein weiſſer Rabe ſey.

61. Du wuͤrdeſt aber nimmermehr ein
Kalb/ das reden konte/ oder eine menſchliche
Mißgeburt/ die keinen Kopff haͤtte/ oder die
keine Augen und Ohren haͤtte/ fuͤr einen
Menſchen halten.

62. Und alſo ſieheſt du ſelbſten/ daß du von
dir ſelbſt und deiner innerlichen Vergewiſſe-
rung den Unterſcheid zwiſchen denen ideis und
conceptibus veroſimilibus hernehmen muſt.

63. So kan es nun nicht fehlen/ dn muſt
auch die Beantwortung auff deine obje-
ction
deutlich begreiffen koͤnnen.

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[235/0253] und unwahrſcheinlichen Dingen. Sinnen betrachtet/ denn du haſt vermoͤge die- ſes concepts alle neuen individua alsbald dahin zu ordiniren gewuſt/ daß nehmlich die- ſes ein Menſch/ jenes ein Hund/ Katze/ Klang/ Farbe/ Roſen-Geruch u. ſ. w. ſey. 60. Wenn du aber z. e. einen Soldaten ge- ſehen/ denn die Beine weggeſchoſſen gewe- ſen/ haſt du alſobald geurtheilet/ daß dieſes ein Menſch ſey/ dem die Beine mangeln: und wenn man dir einen weiſſen Raben zeigen wuͤrde/ wuͤrdeſt du nach genauer Betrachtung ſelbſt ſagen/ daß es ein weiſſer Rabe ſey. 61. Du wuͤrdeſt aber nimmermehr ein Kalb/ das reden konte/ oder eine menſchliche Mißgeburt/ die keinen Kopff haͤtte/ oder die keine Augen und Ohren haͤtte/ fuͤr einen Menſchen halten. 62. Und alſo ſieheſt du ſelbſten/ daß du von dir ſelbſt und deiner innerlichen Vergewiſſe- rung den Unterſcheid zwiſchen denen ideis und conceptibus veroſimilibus hernehmen muſt. 63. So kan es nun nicht fehlen/ dn muſt auch die Beantwortung auff deine obje- ction deutlich begreiffen koͤnnen. 64. Die idee wird von etlichen wenigen individuis nur geruͤhret/ und nicht erſt per in-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691/253>, abgerufen am 25.07.2024.