Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 1. H. von der Gelahrheit heit nicht in einen Augenblick. Man verderbetdie erfrornen Gliedmassen/ wenn man dieselbe allzubald in allzugrosse Hitze bringet; Man rui- niret den Magen/ wenn man nach langer Faste so viel ißt/ als die Begierde antreibet; Man rich- tet nichts aus/ wenn man in einem Augenblick oder in einer allzu kurtzen Zeit die Jrrthümer und Vorurtheile wil loß werden/ oder auff einmahl die lange eingewurzelten Gewohnheiten und Sit- ten oder Affecten abschaffen. 119. Aber hieraus folget zugleich/ daß das- 120. Eine mäßige Bewegung/ ein Stücke Gei-
Das 1. H. von der Gelahrheit heit nicht in einen Augenblick. Man verderbetdie erfrornen Gliedmaſſen/ wenn man dieſelbe allzubald in allzugroſſe Hitze bringet; Man rui- niret den Magen/ wenn man nach langer Faſte ſo viel ißt/ als die Begierde antreibet; Man rich- tet nichts aus/ wenn man in einem Augenblick oder in einer allzu kurtzen Zeit die Jrrthuͤmer und Vorurtheile wil loß werden/ oder auff einmahl die lange eingewurzelten Gewohnheiten und Sit- ten oder Affecten abſchaffen. 119. Aber hieraus folget zugleich/ daß das- 120. Eine maͤßige Bewegung/ ein Stuͤcke Gei-
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Das 1. H. von der Gelahrheit
heit nicht in einen Augenblick. Man verderbet
die erfrornen Gliedmaſſen/ wenn man dieſelbe
allzubald in allzugroſſe Hitze bringet; Man rui-
niret den Magen/ wenn man nach langer Faſte
ſo viel ißt/ als die Begierde antreibet; Man rich-
tet nichts aus/ wenn man in einem Augenblick
oder in einer allzu kurtzen Zeit die Jrrthuͤmer und
Vorurtheile wil loß werden/ oder auff einmahl
die lange eingewurzelten Gewohnheiten und Sit-
ten oder Affecten abſchaffen.
119. Aber hieraus folget zugleich/ daß das-
jenige/ was in Anſehen des ordentlichen Zu-
ſtandes gut iſt/ boͤſe ſeyn wuͤrde/ wenn man es
einen Menſchen/ der in dem auſſerordentlichen
Zuſtand lebet/ appliciren wolte/ und daß hin-
gegentheil das/ was einen Krancken/ Unwiſſen-
den und laſterhafften gut iſt/ einen geſunden/
weiſen und tugendhafften Menſchen boͤſe ſeyn
koͤnne.
120. Eine maͤßige Bewegung/ ein Stuͤcke
Rindfleiſch/ eine friſche Lufft/ iſt einem Ge-
ſunden gut/ aber einem Podagriſchen/ Schwind-
ſuͤchtigen und Febricitanten ſchaͤdlich. Und was
ein Weiſer mit Vergnuͤgen fuͤr wahr erkennet/
daruͤber aͤrgert ſich ein in Jrrthum ſteckender/
oder wird doch gleichſam daruͤber verblendet.
Ein Tugendhaffter iſt ruhig/ wenn er alleine iſt/
wenn er wenig hat/ wenn er wenig iſſet und
trincket. Ein Wohlluͤſtiger ſtirbet fuͤr Ver-
druß/ wenn er keine Geſellſchafft hat/ und ein
Gei-
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