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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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das Gute u. Böse zu erkennen überhaupt.
chet/ für böse aber/ wenn solches nicht ge-
schiehet.

78.

Ja weil ein Mensch der seinen Verstand
recht brauchet/ gar leichte enkennet/ daß er ohne
Reichthumb gar wohl seyn/ und seine Güter ge-
brauchen könne/ (indem wir allbereit oben erweh-
net/ daß der Mensch nicht viel eigenes zu seiner
Dauerung gebrauche) so wird er auch den
Reichthum mehr für ein indifferent Ding/ als
für ein nothwendig Gut achten.

79.

So ist auch endlich aus Einführung des
Unterscheids der Stände/ so wohl auch aus de-
nen unterschiedenen Graden der Vortrefflichkeit
der Menschen/ und aus der dem Menschen einge-
pflantzeten Geselligkeit eine Begierde entstanden/
daß die Geringerern die Oberern und Vortreffli-
chern hochgeachtet/ und diese ihre Hochachtung
zu erweisen nicht alleine freywillig viel äußerliche
Zeichen erfunden/ durch ihr Thun und Lassen die-
selbsten zu erkennen zu geben/ sondern auch frey-
willig der obern und vortrefflichern Menschen ihr
Thun und lassen zu imitiren angefangen/ welches
man eine Ehrbezeigung/ Höffligkeit/ Com-
plaisance,
u. s. w. nennen kan/ woraus ein abson-
derlich Wesen/ das die Lateiner Decorum nen-
nen/ entstanden/ auch alle Schamhafftigkeit
daher ihren Ursprung nimmet.

80.

Dieses Decorum und die aus Verletzung
desselben entstandene Schamhafftigkeit ist so
ferne sie die weisen und tugendhafften Leute vor

die

das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt.
chet/ fuͤr boͤſe aber/ wenn ſolches nicht ge-
ſchiehet.

78.

Ja weil ein Menſch der ſeinen Verſtand
recht brauchet/ gar leichte enkennet/ daß er ohne
Reichthumb gar wohl ſeyn/ und ſeine Guͤter ge-
brauchen koͤnne/ (indem wir allbereit oben erweh-
net/ daß der Menſch nicht viel eigenes zu ſeiner
Dauerung gebrauche) ſo wird er auch den
Reichthum mehr fuͤr ein indifferent Ding/ als
fuͤr ein nothwendig Gut achten.

79.

So iſt auch endlich aus Einfuͤhrung des
Unterſcheids der Staͤnde/ ſo wohl auch aus de-
nen unterſchiedenen Graden der Vortrefflichkeit
der Menſchen/ und aus der dem Menſchen einge-
pflantzeten Geſelligkeit eine Begierde entſtanden/
daß die Geringerern die Oberern und Vortreffli-
chern hochgeachtet/ und dieſe ihre Hochachtung
zu erweiſen nicht alleine freywillig viel aͤußerliche
Zeichen erfunden/ durch ihr Thun und Laſſen die-
ſelbſten zu erkennen zu geben/ ſondern auch frey-
willig der obern und vortrefflichern Menſchen ihr
Thun und laſſen zu imitiren angefangen/ welches
man eine Ehrbezeigung/ Hoͤffligkeit/ Com-
plaiſance,
u. ſ. w. nennen kan/ woraus ein abſon-
derlich Weſen/ das die Lateiner Decorum nen-
nen/ entſtanden/ auch alle Schamhafftigkeit
daher ihren Urſprung nimmet.

80.

Dieſes Decorum und die aus Verletzung
deſſelben entſtandene Schamhafftigkeit iſt ſo
ferne ſie die weiſen und tugendhafften Leute vor

die
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[29/0061] das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt. chet/ fuͤr boͤſe aber/ wenn ſolches nicht ge- ſchiehet. 78. Ja weil ein Menſch der ſeinen Verſtand recht brauchet/ gar leichte enkennet/ daß er ohne Reichthumb gar wohl ſeyn/ und ſeine Guͤter ge- brauchen koͤnne/ (indem wir allbereit oben erweh- net/ daß der Menſch nicht viel eigenes zu ſeiner Dauerung gebrauche) ſo wird er auch den Reichthum mehr fuͤr ein indifferent Ding/ als fuͤr ein nothwendig Gut achten. 79. So iſt auch endlich aus Einfuͤhrung des Unterſcheids der Staͤnde/ ſo wohl auch aus de- nen unterſchiedenen Graden der Vortrefflichkeit der Menſchen/ und aus der dem Menſchen einge- pflantzeten Geſelligkeit eine Begierde entſtanden/ daß die Geringerern die Oberern und Vortreffli- chern hochgeachtet/ und dieſe ihre Hochachtung zu erweiſen nicht alleine freywillig viel aͤußerliche Zeichen erfunden/ durch ihr Thun und Laſſen die- ſelbſten zu erkennen zu geben/ ſondern auch frey- willig der obern und vortrefflichern Menſchen ihr Thun und laſſen zu imitiren angefangen/ welches man eine Ehrbezeigung/ Hoͤffligkeit/ Com- plaiſance, u. ſ. w. nennen kan/ woraus ein abſon- derlich Weſen/ das die Lateiner Decorum nen- nen/ entſtanden/ auch alle Schamhafftigkeit daher ihren Urſprung nimmet. 80. Dieſes Decorum und die aus Verletzung deſſelben entſtandene Schamhafftigkeit iſt ſo ferne ſie die weiſen und tugendhafften Leute vor die

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/61>, abgerufen am 24.11.2024.