Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 9. H. von der vernünfftigen Liebe gemeinen menschlichen Gesellschafften überhauptgeredet/ wollen wir auch nur noch mit wenigen jede Gesellschafft beschauen/ so ferne die Liebe darmit zu thun hat. Die Eheliche ist deshalben die allernatürlichste/ weil sie dahin trachtet/ dem natürlichen Trieb und Neigung/ den Gott beyderley Geschlechte ins Hertze gegeben/ ge- nung zu thun. Jch verstehe nicht die geile Nei- gung zur Leibes Vermischung/ sondern die mensch- liche vernünfftige Neigung/ zwey Hertzen auf das festeste und stetswehrend mit einander zu ver- knüpffen/ und durch eine keusche Vereinigung Kinder mit einander zu erzeugen/ und gleichsam in selbigen die Wechsel-Liebe zu concentriren/ oder vielmehr auszubreiten. 14. Also sol demnach in dem Ehestande 15. Dero-
Das 9. H. von der vernuͤnfftigen Liebe gemeinen menſchlichen Geſellſchafften uͤberhauptgeredet/ wollen wir auch nur noch mit wenigen jede Geſellſchafft beſchauen/ ſo ferne die Liebe darmit zu thun hat. Die Eheliche iſt deshalben die allernatuͤrlichſte/ weil ſie dahin trachtet/ dem natuͤrlichen Trieb und Neigung/ den Gott beyderley Geſchlechte ins Hertze gegeben/ ge- nung zu thun. Jch verſtehe nicht die geile Nei- gung zur Leibes Vermiſchung/ ſondern die menſch- liche vernuͤnfftige Neigung/ zwey Hertzen auf das feſteſte und ſtetswehrend mit einander zu ver- knuͤpffen/ und durch eine keuſche Vereinigung Kinder mit einander zu erzeugen/ und gleichſam in ſelbigen die Wechſel-Liebe zu concentriren/ oder vielmehr auszubreiten. 14. Alſo ſol demnach in dem Eheſtande 15. Dero-
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Das 9. H. von der vernuͤnfftigen Liebe
gemeinen menſchlichen Geſellſchafften uͤberhaupt
geredet/ wollen wir auch nur noch mit wenigen
jede Geſellſchafft beſchauen/ ſo ferne die Liebe
darmit zu thun hat. Die Eheliche iſt deshalben
die allernatuͤrlichſte/ weil ſie dahin trachtet/
dem natuͤrlichen Trieb und Neigung/ den Gott
beyderley Geſchlechte ins Hertze gegeben/ ge-
nung zu thun. Jch verſtehe nicht die geile Nei-
gung zur Leibes Vermiſchung/ ſondern die menſch-
liche vernuͤnfftige Neigung/ zwey Hertzen auf das
feſteſte und ſtetswehrend mit einander zu ver-
knuͤpffen/ und durch eine keuſche Vereinigung
Kinder mit einander zu erzeugen/ und gleichſam
in ſelbigen die Wechſel-Liebe zu concentriren/
oder vielmehr auszubreiten.
14. Alſo ſol demnach in dem Eheſtande
nichts anders als eine abſonderliche vernuͤnff-
tige und gleiche Liebe herrſchen/ die nicht
aufhoͤren ſoll noch darff/ weil die gemeinen Ge-
ſetze die Ehe-Scheidung verbieten/ weswegen die
Regeln geſunder Vernunfft erfordern/ daß die
Perſonen/ ſo ſich hinein begeben wollen/ am al-
ler behutſamſten in der Wahl umgehen muͤſ-
ſen/ weil ſonſten bey andern Freundſchafften und
Lieben/ wenn man ſich in ſeiner Wahl betrogen
hat/ man allezeit oder doch mehrentheils den Feh-
ler corrigiren kan/ daß man ſich wieder vonein-
ander ſondert/ und durch dieſe Sonderung die
abſonderliche Liebe aufhebet.
15. Dero-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 362[358]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/390>, abgerufen am 04.03.2025. |