Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.vernünfftigen Liebe überhaupt. jetzo hierzu eben nicht anführen/ das alle Regi-mente und Obrigkeiten die Verderbniß der menschlichen Natur und den Mangel vernünffti- ger Liebe praesupponiren/ und daß/ wenn alle Men- schen nach den Trieb der guten Natur einander gebührend liebeten/ es keines Zwangs/ und folg- lich auch keiner Obrigkeit bedürffen würde. Son- dern wir wollen nur dieses erinnern/ daß das Ei- genthum der Güter und die bürgerliche Ge- sellschafft gantz nicht nothwendig mit einan- der verknüfft seyn/ sondern eines ohne das an- dere gar wohl seyn könne. Denn die Einführung des Eigenthums ist Zweiffels ohne eher gewe- sen als die bürgerliche Gesellsch afft/ und wenn dasselbige ja Ursache an einer allgemeinen mensch- lichen Gesellsch afft ist/ so ist es gewiß die Gesell- schafft zwischen Herr und Knecht/ welche nicht seyn würde/ wenn alle Güter gemein wären. 91. Die bürgerliche Gesellschafft ist ben
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. jetzo hierzu eben nicht anfuͤhren/ das alle Regi-mente und Obrigkeiten die Verderbniß der menſchlichen Natur und den Mangel vernuͤnffti- ger Liebe præſupponiren/ uñ daß/ wenn alle Men- ſchen nach den Trieb der guten Natur einander gebuͤhrend liebeten/ es keines Zwangs/ und folg- lich auch keiner Obrigkeit beduͤrffen wuͤrde. Son- dern wir wollen nur dieſes erinnern/ daß das Ei- genthum der Guͤter und die buͤrgerliche Ge- ſellſchafft gantz nicht nothwendig mit einan- der verknuͤfft ſeyn/ ſondern eines ohne das an- dere gar wohl ſeyn koͤnne. Denn die Einfuͤhrung des Eigenthums iſt Zweiffels ohne eher gewe- ſen als die buͤrgerliche Geſellſch afft/ und wenn daſſelbige ja Urſache an einer allgemeinen menſch- lichen Geſellſch afft iſt/ ſo iſt es gewiß die Geſell- ſchafft zwiſchen Herr und Knecht/ welche nicht ſeyn wuͤrde/ wenn alle Guͤter gemein waͤren. 91. Die buͤrgerliche Geſellſchafft iſt ben
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vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
jetzo hierzu eben nicht anfuͤhren/ das alle Regi-
mente und Obrigkeiten die Verderbniß der
menſchlichen Natur und den Mangel vernuͤnffti-
ger Liebe præſupponiren/ uñ daß/ wenn alle Men-
ſchen nach den Trieb der guten Natur einander
gebuͤhrend liebeten/ es keines Zwangs/ und folg-
lich auch keiner Obrigkeit beduͤrffen wuͤrde. Son-
dern wir wollen nur dieſes erinnern/ daß das Ei-
genthum der Guͤter und die buͤrgerliche Ge-
ſellſchafft gantz nicht nothwendig mit einan-
der verknuͤfft ſeyn/ ſondern eines ohne das an-
dere gar wohl ſeyn koͤnne. Denn die Einfuͤhrung
des Eigenthums iſt Zweiffels ohne eher gewe-
ſen als die buͤrgerliche Geſellſch afft/ und wenn
daſſelbige ja Urſache an einer allgemeinen menſch-
lichen Geſellſch afft iſt/ ſo iſt es gewiß die Geſell-
ſchafft zwiſchen Herr und Knecht/ welche nicht
ſeyn wuͤrde/ wenn alle Guͤter gemein waͤren.
91. Die buͤrgerliche Geſellſchafft iſt
zwar nach Vermehrung des menſchlichen Ge-
ſchlechts und Einfuͤhrung des Eigenthums auch
entſtanden/ aber ſie kan deswegen wohl ohne daß
die ſo in buͤrgerlicher Geſellſchafft mit einander
leben/ was eigenes haͤtten/ beſtehen. Jhr Ur-
ſprung ruͤhret von Furcht aͤußerlicher Gewalt her/
und ob ſchon dieſe Gewalt guten theils auf die
Guͤter anderer Menſchen ein Abſehen richtet/ ſo
folget doch deshalben nicht/ daß dieſe Guͤter/ die
dem gantzen gemeinen Weſen eigenthuͤmlich zu-
ſtaͤnden/ nicht allen und jeden/ die unter demſel-
ben
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