Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 4. H. von der vernünfftigen Liebe der Menschen/ weil du nach deiner na-türlichen Erkäntniß keinen vernünfftigern Got- tesdienst finden kanst/ als wenn du dein Hertze mit andern Menschen vereinigest. (wie wir oben schon erwiesen haben) Aber dieweil deine Boßheit von dieser Liebe GOttes nichts wis- sen wil/ machst du dir eine selbsterwehlte aus äußerlichen Ceremonien/ oder aus spitzfin- digen Gedancken einer eitelen Gelahrheit/ die dir nicht sauer ankömmt. Und so wenig als du von der wahren Gemüths-Ruhe hast/ oder die- selbe erlangest/ so wenig wirst du auch dieselbe durch diese deine Schein-Liebe Gottes erlan- gen. 67. Jch bescheide mich ja. wohl/ daß eine 68. Endlich so wird auch unsere Lehre von wie
Das 4. H. von der vernuͤnfftigen Liebe der Menſchen/ weil du nach deiner na-tuͤrlichen Erkaͤntniß keinen vernuͤnfftigern Got- tesdienſt finden kanſt/ als wenn du dein Hertze mit andern Menſchen vereinigeſt. (wie wir oben ſchon erwieſen haben) Aber dieweil deine Boßheit von dieſer Liebe GOttes nichts wiſ- ſen wil/ machſt du dir eine ſelbſterwehlte aus aͤußerlichen Ceremonien/ oder aus ſpitzfin- digen Gedancken einer eitelen Gelahrheit/ die dir nicht ſauer ankoͤmmt. Und ſo wenig als du von der wahren Gemuͤths-Ruhe haſt/ oder die- ſelbe erlangeſt/ ſo wenig wirſt du auch dieſelbe durch dieſe deine Schein-Liebe Gottes erlan- gen. 67. Jch beſcheide mich ja. wohl/ daß eine 68. Endlich ſo wird auch unſere Lehre von wie
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Das 4. H. von der vernuͤnfftigen
Liebe der Menſchen/ weil du nach deiner na-
tuͤrlichen Erkaͤntniß keinen vernuͤnfftigern Got-
tesdienſt finden kanſt/ als wenn du dein Hertze
mit andern Menſchen vereinigeſt. (wie wir
oben ſchon erwieſen haben) Aber dieweil deine
Boßheit von dieſer Liebe GOttes nichts wiſ-
ſen wil/ machſt du dir eine ſelbſterwehlte aus
aͤußerlichen Ceremonien/ oder aus ſpitzfin-
digen Gedancken einer eitelen Gelahrheit/ die
dir nicht ſauer ankoͤmmt. Und ſo wenig als du
von der wahren Gemuͤths-Ruhe haſt/ oder die-
ſelbe erlangeſt/ ſo wenig wirſt du auch dieſelbe
durch dieſe deine Schein-Liebe Gottes erlan-
gen.
67. Jch beſcheide mich ja. wohl/ daß eine
Liebe GOttes ſey/ der alle menſchliche Liebe
weichen muͤſſe. Aber die gehoͤret zur Morale
nicht/ ſondern muß aus einer hoͤhern Schule
hergeholet werden/ weil ſie uͤbernatuͤrlich iſt/
und nicht auff die zeitliche Gluͤckſeeligkeit dieſes
Lebens/ ſondern auff eine zukuͤnfftige/ davon die
menſchliche Vernunfft nach ihrer Swachheit
nichts weiß/ gerichtet iſt.
68. Endlich ſo wird auch unſere Lehre von
denen wenig Anſtoß leiden/ die gar zu liebreich
ſeyn/ und in Erlangung der wahren Gluͤck-
ſeeligkeit der Liebe anderer Menſchen auch die
Liebe des Viehes an die Seite ſetzen wollen.
Wir haben ſchon oben geſagt/ daß die Liebe des
Viehes unvernuͤnfftig ſey/ wenn wir das Vieh
wie
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/224>, abgerufen am 16.02.2025. |