Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 4. Hauptst. von der vernünfftigen gleich nicht allemahl die Leibes-Vermischunggar aus den Augen setzen kan/ und ob schon zu- weilen das Verlangen seinen Leib mit dem Leib der geliebten Person zu vermischen/ wenn es nicht hauptsächlich sondern zufällig ist/ eine vernünfftige Liebe nicht unvernünfftig macht. Denn bey einer unvernünfftigen Liebe liebet man sich/ weil man die Leiber mit einander ver- mischet. Bey einer vernünfftigen Liebe aber kan man wohl zuweilen, die Vermischung des Leibes verlangen/ weil man einander liebet. 50. Dieses letzte must du auff diese Weise 51. Dero-
Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen gleich nicht allemahl die Leibes-Vermiſchunggar aus den Augen ſetzen kan/ und ob ſchon zu- weilen das Verlangen ſeinen Leib mit dem Leib der geliebten Perſon zu vermiſchen/ wenn es nicht hauptſaͤchlich ſondern zufaͤllig iſt/ eine vernuͤnfftige Liebe nicht unvernuͤnfftig macht. Denn bey einer unvernuͤnfftigen Liebe liebet man ſich/ weil man die Leiber mit einander ver- miſchet. Bey einer vernuͤnfftigen Liebe aber kan man wohl zuweilen, die Vermiſchung des Leibes verlangen/ weil man einander liebet. 50. Dieſes letzte muſt du auff dieſe Weiſe 51. Dero-
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Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
gleich nicht allemahl die Leibes-Vermiſchung
gar aus den Augen ſetzen kan/ und ob ſchon zu-
weilen das Verlangen ſeinen Leib mit dem Leib
der geliebten Perſon zu vermiſchen/ wenn es
nicht hauptſaͤchlich ſondern zufaͤllig iſt/ eine
vernuͤnfftige Liebe nicht unvernuͤnfftig macht.
Denn bey einer unvernuͤnfftigen Liebe liebet
man ſich/ weil man die Leiber mit einander ver-
miſchet. Bey einer vernuͤnfftigen Liebe aber
kan man wohl zuweilen, die Vermiſchung des
Leibes verlangen/ weil man einander liebet.
50. Dieſes letzte muſt du auff dieſe Weiſe
verſtehen. Wo zwey Seelen mit einander ver-
einiget ſeyn/ muß aus zweyen Willen ein einiger
werden/ und eine jedwede liebende Perſon mehr
in der andern als in ſich ſelbſt leben. Dieſes kan
aber nicht geſchehen/ wenn ſie nicht beyde Wech-
ſelsweiſe einander alles erdenckliche Ver-
gnuͤgen/ das der Vernunfft nicht zuwieder iſt/
zu wegen zu bringen trachten/ und einander alle
Geheimniſſe auch ihrer Schwachheiten
(man muß aber die Schwachheiten nicht mit
unvernuͤnfftigen Dingen vermiſchen) Wechſels-
Weiſe entdecken. Denn wahre liebe leidet
kein Geheimniß/ und wir werden zu ſeiner
Zeit ſagen/ daß ob wohl die Unverſchamheit
mit vernuͤnfftiger Liebe nicht beſtehen koͤnne/ den-
noch auch allzugroſſe Schamhafftigkeit auch
eine Anzeigung geringer Liebe ſey.
51. Dero-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/212>, abgerufen am 04.03.2025. |