Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe anderer Menschen überhaupt.
dem seinigen einrichten/ auch nicht ungeduldig
oder mürrisch werden sollen/ wenn uns von seiner
Hand etwas wiederfähret/ das unsern Willen
nicht anstehet.

15.

So ist demnach die menschliche Liebe
zweyerley/ eine vernünfftige und unvernünff-
tige. Jene
haben wir bishero beschrieben und
erkläret/ diese aber weichet in vielen Stücken
von der vorigen ab. Denn (1) haben wir
schon im andern Capitel gesagt/ daß das Ver-
langen der vernünfftigen Liebe ein stilles und
kein unruhiges Verlangen sey. Derowegen
wo ein Mensche in seiner Liebe ein dergleichen
unruhiges und hitziges Verlangen empfindet/
daß er sein selbst nicht mächtig ist/ und daß er
sich vor unglücklich hält/ wenn er sich mit der
geliebeten Person nicht vereinigen sol; so darff
er sich nur gewiß versichern/ daß seine Liebe nicht
vernünfftig sey.

16.

Jch rede hier nicht von denen jenigen/ die
einen dergleichen unordentlichen Trieb bey sich
befinden/ wenn sie etwas unvernünfftiges lieben/
oder auff eine unvernünfftige Vermischung des
Leibes zielen/ denn von dieser Art wollen wir
bald absonderlich handeln; sondern von denen/
die tugendhaffte Personen lieben/ und ihrer
Meinung nach/ nach der Vereinigung der See-
len und des Willens trachten/ und vor Liebe
gleichsam veschmachten oder verzweiffeln/ oder

doch
L 2

Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt.
dem ſeinigen einrichten/ auch nicht ungeduldig
oder muͤrriſch werden ſollen/ wenn uns von ſeiner
Hand etwas wiederfaͤhret/ das unſern Willen
nicht anſtehet.

15.

So iſt demnach die menſchliche Liebe
zweyerley/ eine vernuͤnfftige und unvernuͤnff-
tige. Jene
haben wir bishero beſchrieben und
erklaͤret/ dieſe aber weichet in vielen Stuͤcken
von der vorigen ab. Denn (1) haben wir
ſchon im andern Capitel geſagt/ daß das Ver-
langen der vernuͤnfftigen Liebe ein ſtilles und
kein unruhiges Verlangen ſey. Derowegen
wo ein Menſche in ſeiner Liebe ein dergleichen
unruhiges und hitziges Verlangen empfindet/
daß er ſein ſelbſt nicht maͤchtig iſt/ und daß er
ſich vor ungluͤcklich haͤlt/ wenn er ſich mit der
geliebeten Perſon nicht vereinigen ſol; ſo darff
er ſich nur gewiß verſichern/ daß ſeine Liebe nicht
vernuͤnfftig ſey.

16.

Jch rede hier nicht von denen jenigen/ die
einen dergleichen unordentlichen Trieb bey ſich
befinden/ wenn ſie etwas unvernuͤnfftiges lieben/
oder auff eine unvernuͤnfftige Vermiſchung des
Leibes zielen/ denn von dieſer Art wollen wir
bald abſonderlich handeln; ſondern von denen/
die tugendhaffte Perſonen lieben/ und ihrer
Meinung nach/ nach der Vereinigung der See-
len und des Willens trachten/ und vor Liebe
gleichſam veſchmachten oder verzweiffeln/ oder

doch
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0195" n="163"/><fw place="top" type="header">Liebe anderer Men&#x017F;chen u&#x0364;berhaupt.</fw><lb/>
dem &#x017F;einigen einrichten/ auch nicht ungeduldig<lb/>
oder mu&#x0364;rri&#x017F;ch werden &#x017F;ollen/ wenn uns von &#x017F;einer<lb/>
Hand etwas wiederfa&#x0364;hret/ das un&#x017F;ern Willen<lb/>
nicht an&#x017F;tehet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>15.</head>
            <p>So i&#x017F;t demnach die <hi rendition="#fr">men&#x017F;chliche Liebe</hi><lb/>
zweyerley/ eine <hi rendition="#fr">vernu&#x0364;nfftige</hi> und <hi rendition="#fr">unvernu&#x0364;nff-<lb/>
tige. Jene</hi> haben wir bishero be&#x017F;chrieben und<lb/>
erkla&#x0364;ret/ <hi rendition="#fr">die&#x017F;e</hi> aber weichet in vielen Stu&#x0364;cken<lb/>
von der vorigen ab. Denn (1) haben wir<lb/>
&#x017F;chon im andern Capitel ge&#x017F;agt/ daß das Ver-<lb/>
langen der vernu&#x0364;nfftigen Liebe <hi rendition="#fr">ein &#x017F;tilles</hi> und<lb/>
kein unruhiges Verlangen &#x017F;ey. Derowegen<lb/>
wo ein Men&#x017F;che in &#x017F;einer Liebe ein dergleichen<lb/><hi rendition="#fr">unruhiges</hi> und <hi rendition="#fr">hitziges</hi> Verlangen empfindet/<lb/>
daß er &#x017F;ein &#x017F;elb&#x017F;t nicht ma&#x0364;chtig i&#x017F;t/ und daß er<lb/>
&#x017F;ich vor unglu&#x0364;cklich ha&#x0364;lt/ wenn er &#x017F;ich mit der<lb/>
geliebeten Per&#x017F;on nicht vereinigen &#x017F;ol; &#x017F;o darff<lb/>
er &#x017F;ich nur gewiß ver&#x017F;ichern/ daß &#x017F;eine Liebe nicht<lb/>
vernu&#x0364;nfftig &#x017F;ey.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>16.</head>
            <p>Jch rede hier nicht von denen jenigen/ die<lb/>
einen dergleichen unordentlichen Trieb bey &#x017F;ich<lb/>
befinden/ wenn &#x017F;ie etwas unvernu&#x0364;nfftiges lieben/<lb/>
oder auff eine unvernu&#x0364;nfftige Vermi&#x017F;chung des<lb/>
Leibes zielen/ denn von die&#x017F;er Art wollen wir<lb/>
bald ab&#x017F;onderlich handeln; &#x017F;ondern von denen/<lb/><hi rendition="#fr">die tugendhaffte Per&#x017F;onen</hi> lieben/ und ihrer<lb/>
Meinung nach/ nach der Vereinigung der See-<lb/>
len und des Willens trachten/ und vor Liebe<lb/>
gleich&#x017F;am ve&#x017F;chmachten oder verzweiffeln/ oder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">doch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0195] Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt. dem ſeinigen einrichten/ auch nicht ungeduldig oder muͤrriſch werden ſollen/ wenn uns von ſeiner Hand etwas wiederfaͤhret/ das unſern Willen nicht anſtehet. 15. So iſt demnach die menſchliche Liebe zweyerley/ eine vernuͤnfftige und unvernuͤnff- tige. Jene haben wir bishero beſchrieben und erklaͤret/ dieſe aber weichet in vielen Stuͤcken von der vorigen ab. Denn (1) haben wir ſchon im andern Capitel geſagt/ daß das Ver- langen der vernuͤnfftigen Liebe ein ſtilles und kein unruhiges Verlangen ſey. Derowegen wo ein Menſche in ſeiner Liebe ein dergleichen unruhiges und hitziges Verlangen empfindet/ daß er ſein ſelbſt nicht maͤchtig iſt/ und daß er ſich vor ungluͤcklich haͤlt/ wenn er ſich mit der geliebeten Perſon nicht vereinigen ſol; ſo darff er ſich nur gewiß verſichern/ daß ſeine Liebe nicht vernuͤnfftig ſey. 16. Jch rede hier nicht von denen jenigen/ die einen dergleichen unordentlichen Trieb bey ſich befinden/ wenn ſie etwas unvernuͤnfftiges lieben/ oder auff eine unvernuͤnfftige Vermiſchung des Leibes zielen/ denn von dieſer Art wollen wir bald abſonderlich handeln; ſondern von denen/ die tugendhaffte Perſonen lieben/ und ihrer Meinung nach/ nach der Vereinigung der See- len und des Willens trachten/ und vor Liebe gleichſam veſchmachten oder verzweiffeln/ oder doch L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/195
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/195>, abgerufen am 25.11.2024.