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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 2. Hauptst. von der grösten
die die Gemüths-Ruhe besitzen/ so kan es auch
nicht fehlen/ es muß ein weiser Mann sehr we-
nig Freunde
oder doch zum wenigsten mehr
Feinde als Freunde
haben.

114.

Derowegen so wäre es zwar wohl vor
einen Zierrath der grösten Glückseeligkeit zu hal-
ten/ wenn es möglich wäre/ daß ein weiser
Mann viel Freunde haben könte; Dieweil aber
diese Mögligkeit in diesem verderbten Zustand
darinnen wir leben nicht zu hoffen stehet/ so ists
vielmehr ein Anzeigung des Mangels der
Gemüths-Ruhe/
wenn sich ein Mensch rüh-
met viel Freunde zu haben/ weil er so dann
genungsam zuverstehen giebet/ daß er dieser
Vielheit gleich seyn müsse/ weil eine jede Freund-
schafft und Gemüths-Vereinigung in der Gleich-
heit sich gründet.

115.

So bleibet es demnach dabey/ daß alle
bisher erzehlten Güter außer dem Menschen die
insgesamt zu denen Gütern des Glücks gehö-
ren/ und in des Menschen seinem Vermögen und
Willkühr nicht bestehen/ auch keine wesent-
liche Stücke
der grösten Glückseeligkeit seyn
können/ in Ansehen der Mensch seine Gemüths-
Ruhe nicht dem Glück/ sondern sich selbsten zu
dancken hat.

116.

Was die Güter des Leibes anlanget
so ist erstlich das Leben des Menschen zwar der
Grund der Gemüths-Ruhe; jedoch macht die
Beraubung desselbigen nemlich der Tod dem

Men-

Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
die die Gemuͤths-Ruhe beſitzen/ ſo kan es auch
nicht fehlen/ es muß ein weiſer Mann ſehr we-
nig Freunde
oder doch zum wenigſten mehr
Feinde als Freunde
haben.

114.

Derowegen ſo waͤre es zwar wohl vor
einen Zierrath der groͤſten Gluͤckſeeligkeit zu hal-
ten/ wenn es moͤglich waͤre/ daß ein weiſer
Mann viel Freunde haben koͤnte; Dieweil aber
dieſe Moͤgligkeit in dieſem verderbten Zuſtand
darinnen wir leben nicht zu hoffen ſtehet/ ſo iſts
vielmehr ein Anzeigung des Mangels der
Gemuͤths-Ruhe/
wenn ſich ein Menſch ruͤh-
met viel Freunde zu haben/ weil er ſo dann
genungſam zuverſtehen giebet/ daß er dieſer
Vielheit gleich ſeyn muͤſſe/ weil eine jede Freund-
ſchafft und Gemuͤths-Vereinigung in der Gleich-
heit ſich gruͤndet.

115.

So bleibet es demnach dabey/ daß alle
bisher erzehlten Guͤter außer dem Menſchen die
insgeſamt zu denen Guͤtern des Gluͤcks gehoͤ-
ren/ und in des Menſchen ſeinem Vermoͤgen und
Willkuͤhr nicht beſtehen/ auch keine weſent-
liche Stuͤcke
der groͤſten Gluͤckſeeligkeit ſeyn
koͤnnen/ in Anſehen der Menſch ſeine Gemuͤths-
Ruhe nicht dem Gluͤck/ ſondern ſich ſelbſten zu
dancken hat.

116.

Was die Guͤter des Leibes anlanget
ſo iſt erſtlich das Leben des Menſchen zwar der
Grund der Gemuͤths-Ruhe; jedoch macht die
Beraubung deſſelbigen nemlich der Tod dem

Men-
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[106/0138] Das 2. Hauptſt. von der groͤſten die die Gemuͤths-Ruhe beſitzen/ ſo kan es auch nicht fehlen/ es muß ein weiſer Mann ſehr we- nig Freunde oder doch zum wenigſten mehr Feinde als Freunde haben. 114. Derowegen ſo waͤre es zwar wohl vor einen Zierrath der groͤſten Gluͤckſeeligkeit zu hal- ten/ wenn es moͤglich waͤre/ daß ein weiſer Mann viel Freunde haben koͤnte; Dieweil aber dieſe Moͤgligkeit in dieſem verderbten Zuſtand darinnen wir leben nicht zu hoffen ſtehet/ ſo iſts vielmehr ein Anzeigung des Mangels der Gemuͤths-Ruhe/ wenn ſich ein Menſch ruͤh- met viel Freunde zu haben/ weil er ſo dann genungſam zuverſtehen giebet/ daß er dieſer Vielheit gleich ſeyn muͤſſe/ weil eine jede Freund- ſchafft und Gemuͤths-Vereinigung in der Gleich- heit ſich gruͤndet. 115. So bleibet es demnach dabey/ daß alle bisher erzehlten Guͤter außer dem Menſchen die insgeſamt zu denen Guͤtern des Gluͤcks gehoͤ- ren/ und in des Menſchen ſeinem Vermoͤgen und Willkuͤhr nicht beſtehen/ auch keine weſent- liche Stuͤcke der groͤſten Gluͤckſeeligkeit ſeyn koͤnnen/ in Anſehen der Menſch ſeine Gemuͤths- Ruhe nicht dem Gluͤck/ ſondern ſich ſelbſten zu dancken hat. 116. Was die Guͤter des Leibes anlanget ſo iſt erſtlich das Leben des Menſchen zwar der Grund der Gemuͤths-Ruhe; jedoch macht die Beraubung deſſelbigen nemlich der Tod dem Men-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/138>, abgerufen am 04.03.2025.