Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Glückseeligkeit des Menschen. wenn er in der Unwissenheit und Jrrthü-mern steckt/ und wegen der Vorurtheile der menschlichen autorität und eigenen praecipitantz das wahre von den falschen nicht entscheiden kan; Jst er nicht in der That ein recht elender Mensch/ weil er wegen dieser Vorurtheile täg- lich von dem ihm von GOtt fürgesetzten Zweck immermehr und mehr abweichet/ und sind in so weit die unvernünfftigen Thiere nicht bes- ser dran/ weil sie durch ihren innerlichen Trieb ihren Entzweck viel besser erreichen als ein sol- cher Mensch? Ja ist das Elend eines solchen Menschen nicht desto gefährlicher zu achten/ weil ihn dasselbige so starck verblendet/ daß er es nicht einmahl erkennet/ sondern seinen Zustand für gut und sich für glücklich achtet? 41. Wenn er aber noch über dieses sich we- 42. Hingegen wenn ein weiser und Tugend- ver- E 5
Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. wenn er in der Unwiſſenheit und Jrrthuͤ-mern ſteckt/ und wegen der Vorurtheile der menſchlichen autoritaͤt und eigenen præcipitantz das wahre von den falſchen nicht entſcheiden kan; Jſt er nicht in der That ein recht elender Menſch/ weil er wegen dieſer Vorurtheile taͤg- lich von dem ihm von GOtt fuͤrgeſetzten Zweck immermehr und mehr abweichet/ und ſind in ſo weit die unvernuͤnfftigen Thiere nicht beſ- ſer dran/ weil ſie durch ihren innerlichen Trieb ihren Entzweck viel beſſer erreichen als ein ſol- cher Menſch? Ja iſt das Elend eines ſolchen Menſchen nicht deſto gefaͤhrlicher zu achten/ weil ihn daſſelbige ſo ſtarck verblendet/ daß er es nicht einmahl erkennet/ ſondern ſeinen Zuſtand fuͤr gut und ſich fuͤr gluͤcklich achtet? 41. Wenn er aber noch uͤber dieſes ſich we- 42. Hingegen wenn ein weiſer und Tugend- ver- E 5
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Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
wenn er in der Unwiſſenheit und Jrrthuͤ-
mern ſteckt/ und wegen der Vorurtheile der
menſchlichen autoritaͤt und eigenen præcipitantz
das wahre von den falſchen nicht entſcheiden
kan; Jſt er nicht in der That ein recht elender
Menſch/ weil er wegen dieſer Vorurtheile taͤg-
lich von dem ihm von GOtt fuͤrgeſetzten Zweck
immermehr und mehr abweichet/ und ſind in
ſo weit die unvernuͤnfftigen Thiere nicht beſ-
ſer dran/ weil ſie durch ihren innerlichen Trieb
ihren Entzweck viel beſſer erreichen als ein ſol-
cher Menſch? Ja iſt das Elend eines ſolchen
Menſchen nicht deſto gefaͤhrlicher zu achten/ weil
ihn daſſelbige ſo ſtarck verblendet/ daß er es
nicht einmahl erkennet/ ſondern ſeinen Zuſtand
fuͤr gut und ſich fuͤr gluͤcklich achtet?
41. Wenn er aber noch uͤber dieſes ſich we-
gen ſeines gefuͤhrten Laſterhafften Lebens
in einer rechtſchaffenen Gemuͤths-Unruhe und
Gewiſſens-Angſt befindet/ was iſt wohl elen-
der als ein ſolcher geſunder Menſch? Und iſt die
Unruhe ſeines Gemuͤhts nicht capabel ihm die
Kraͤffte ſeiner Geſundheit durch einen langwei-
ligen Tod gleichſam abzuzehren/ und ihn der-
ſelben zuberauben?
42. Hingegen wenn ein weiſer und Tugend-
hafftiger Mann an einen ſochtenden Fieber/
an der Schwindſucht u. ſ. w. darnieder liegt/
kan man ihn wohl mit recht ungluͤcklich nennen/
wenn ſein Verſtand ruhig und ſein Gemuͤthe
ver-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/105>, abgerufen am 04.03.2025. |