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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 5. H. Von der Geschickligkeit
Gelehrten damit herzugehen pfleget/ so
wird man befinden/ daß alles gantz umgekeh-
ret sey/ indem der Endzweck bey nahe aller
Disputirenden dahin zielet/ wie die War-
heit verdunckelt/ und die Jrrthümer
hartnäckigt vertheydiget werden mögen.

Man findet keine Vereinigung die Warheit
zu suchen/ und mit gesambter Krafft zu ergreif-
fen/ sondern die Disputirenden sind vergnügt
und freuen sich/ wenn nur ein jeder dem an-
dern die Warheit so zusagen aus der Hand
spielen könte.

10. Die Ursache dieses Unwesens ist leichte
zu begreiffen. Weise Leute disputiren mit
einander/ weil sie ihre Schwachheiten und
Mängel erkennen/
und begreiffen/ daß auch
der klügste Verstand eines Jrrthums fähig
sey/ und daß durch anderer Hülffe man viel-
leichter etwas verborgenes finden könne/ als
wenn man solches alleine suchen wil. Aber
in denen allgemeinen Disputationibus stellet
sich bey nahe ein jeder so unvernünfftig an/ als
wenn er infallibel wäre/ und nicht irren
könte/ auch dannenhero/ weil er viel scharffsin-
niger wäre als andere Leute/ nicht von nöthen
hätte/ daß man ihm einen Fehler zeige. Und

sol-

Das 5. H. Von der Geſchickligkeit
Gelehrten damit herzugehen pfleget/ ſo
wird man befinden/ daß alles gantz umgekeh-
ret ſey/ indem der Endzweck bey nahe aller
Diſputirenden dahin zielet/ wie die War-
heit verdunckelt/ und die Jrrthuͤmer
hartnaͤckigt vertheydiget werden moͤgen.

Man findet keine Vereinigung die Warheit
zu ſuchen/ und mit geſambter Krafft zu ergreif-
fen/ ſondern die Diſputirenden ſind vergnuͤgt
und freuen ſich/ wenn nur ein jeder dem an-
dern die Warheit ſo zuſagen aus der Hand
ſpielen koͤnte.

10. Die Urſache dieſes Unweſens iſt leichte
zu begreiffen. Weiſe Leute diſputiren mit
einander/ weil ſie ihre Schwachheiten und
Maͤngel erkennen/
und begreiffen/ daß auch
der kluͤgſte Verſtand eines Jrrthums faͤhig
ſey/ und daß durch anderer Huͤlffe man viel-
leichter etwas verborgenes finden koͤnne/ als
wenn man ſolches alleine ſuchen wil. Aber
in denen allgemeinen Diſputationibus ſtellet
ſich bey nahe ein jeder ſo unvernuͤnfftig an/ als
wenn er infallibel waͤre/ und nicht irren
koͤnte/ auch dannenhero/ weil er viel ſcharffſin-
niger waͤre als andere Leute/ nicht von noͤthen
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[270/0296] Das 5. H. Von der Geſchickligkeit Gelehrten damit herzugehen pfleget/ ſo wird man befinden/ daß alles gantz umgekeh- ret ſey/ indem der Endzweck bey nahe aller Diſputirenden dahin zielet/ wie die War- heit verdunckelt/ und die Jrrthuͤmer hartnaͤckigt vertheydiget werden moͤgen. Man findet keine Vereinigung die Warheit zu ſuchen/ und mit geſambter Krafft zu ergreif- fen/ ſondern die Diſputirenden ſind vergnuͤgt und freuen ſich/ wenn nur ein jeder dem an- dern die Warheit ſo zuſagen aus der Hand ſpielen koͤnte. 10. Die Urſache dieſes Unweſens iſt leichte zu begreiffen. Weiſe Leute diſputiren mit einander/ weil ſie ihre Schwachheiten und Maͤngel erkennen/ und begreiffen/ daß auch der kluͤgſte Verſtand eines Jrrthums faͤhig ſey/ und daß durch anderer Huͤlffe man viel- leichter etwas verborgenes finden koͤnne/ als wenn man ſolches alleine ſuchen wil. Aber in denen allgemeinen Diſputationibus ſtellet ſich bey nahe ein jeder ſo unvernuͤnfftig an/ als wenn er infallibel waͤre/ und nicht irren koͤnte/ auch dannenhero/ weil er viel ſcharffſin- niger waͤre als andere Leute/ nicht von noͤthen haͤtte/ daß man ihm einen Fehler zeige. Und ſol-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/296>, abgerufen am 23.11.2024.