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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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andern die Warheit beyzubringen.
Sprüche nur von denen reden/ die allbereit
angefangen haben in ihrem Kopffe auffzuräu-
men/ und gar zu lange Auffschieben sich mit
Lehren zu üben/ weil sie gar zu mißtrauisch in
sich selbst sind.

19. Denn wenn wir gesagt/ daß man zuvor
auffräumen/ und selbst die Warheit erkennen
solle/ ehe man andern dieselbe beyzubringen
sich unterfange/ verstehen wir nur so viel/ daß
ein Mensch die Grundwarheiten derer
Dinge/
die er lehren will verstehe/ und die
praejudicia autoritatis und praecipitantiae
ernstlich zu bestreiten angefangen habe/ nicht
aber/ daß er alles was ein Mensch wissen kan/
vollkommen verstehen müsse. Denn er wird
die Zeit seines Lebens noch etwas zu lernen fin-
den.

20. Daß man aber durch erwehnte Sprü-
che diejenigen/ so noch in der Unwissenheit ste-
cken/ auffmuntern will/ ist eben so ungeschickt/
als wenn (nach Art der AEsopischen Fabeln zu
reden) ein Sperling sich damit unterfangen
wolte/ einen jungen Papegey vorzupfeiffen/
oder alß wenn man einen Krüpel oder Gicht-
brüchtigen
dadurch anmahnen wolte andern
vorzutantzen.

21. Es
F 2

andern die Warheit beyzubringen.
Spruͤche nur von denen reden/ die allbereit
angefangen haben in ihrem Kopffe auffzuraͤu-
men/ und gar zu lange Auffſchieben ſich mit
Lehren zu uͤben/ weil ſie gar zu mißtrauiſch in
ſich ſelbſt ſind.

19. Denn wenn wir geſagt/ daß man zuvor
auffraͤumen/ und ſelbſt die Warheit erkennen
ſolle/ ehe man andern dieſelbe beyzubringen
ſich unterfange/ verſtehen wir nur ſo viel/ daß
ein Menſch die Grundwarheiten derer
Dinge/
die er lehren will verſtehe/ und die
præjudicia autoritatis und præcipitantiæ
ernſtlich zu beſtreiten angefangen habe/ nicht
aber/ daß er alles was ein Menſch wiſſen kan/
vollkommen verſtehen muͤſſe. Denn er wird
die Zeit ſeines Lebens noch etwas zu lernen fin-
den.

20. Daß man aber durch erwehnte Spruͤ-
che diejenigen/ ſo noch in der Unwiſſenheit ſte-
cken/ auffmuntern will/ iſt eben ſo ungeſchickt/
als wenn (nach Art der Æſopiſchen Fabeln zu
reden) ein Sperling ſich damit unterfangen
wolte/ einen jungen Papegey vorzupfeiffen/
oder alß wenn man einen Kruͤpel oder Gicht-
bruͤchtigen
dadurch anmahnen wolte andern
vorzutantzen.

21. Es
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[83/0109] andern die Warheit beyzubringen. Spruͤche nur von denen reden/ die allbereit angefangen haben in ihrem Kopffe auffzuraͤu- men/ und gar zu lange Auffſchieben ſich mit Lehren zu uͤben/ weil ſie gar zu mißtrauiſch in ſich ſelbſt ſind. 19. Denn wenn wir geſagt/ daß man zuvor auffraͤumen/ und ſelbſt die Warheit erkennen ſolle/ ehe man andern dieſelbe beyzubringen ſich unterfange/ verſtehen wir nur ſo viel/ daß ein Menſch die Grundwarheiten derer Dinge/ die er lehren will verſtehe/ und die præjudicia autoritatis und præcipitantiæ ernſtlich zu beſtreiten angefangen habe/ nicht aber/ daß er alles was ein Menſch wiſſen kan/ vollkommen verſtehen muͤſſe. Denn er wird die Zeit ſeines Lebens noch etwas zu lernen fin- den. 20. Daß man aber durch erwehnte Spruͤ- che diejenigen/ ſo noch in der Unwiſſenheit ſte- cken/ auffmuntern will/ iſt eben ſo ungeſchickt/ als wenn (nach Art der Æſopiſchen Fabeln zu reden) ein Sperling ſich damit unterfangen wolte/ einen jungen Papegey vorzupfeiffen/ oder alß wenn man einen Kruͤpel oder Gicht- bruͤchtigen dadurch anmahnen wolte andern vorzutantzen. 21. Es F 2

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/109>, abgerufen am 24.11.2024.