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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 2. Hauptst. von den Gemüths N.
denen Affecten der Leute/ die man vor sich hat/
einzurichten.

4. Aber wo wolte man doch auch hierzu ge-
langen/ in dem man nicht einmahl weiß/ was
und wie vielerley die Gemüths-Neigungen
seyn/ ja indem man das wenigste davon an de-
nen Oertern wo dieses hingehörete/ nemlich in
der Natur-Kunst oder Sitten-Lehre/ sondern
wenn es hochkömmt in der Rhetoric, und zwar
obenhin handel[t]/ und entweder den Aristote-
lem
oder Cartesium getreulich ausschreibet/
und sich nicht bekümmert/ daß diese beyde gantz
offenbahre Jrrthümer mit untergemischet/ auch
man ihre Lehren so hoch eben nicht nutzen könne/
wenn man sie zu seiner Selbst-Erkentnüß oder zu
Erkentnüß anderer nutzen will/ weshalb auch
der Franzose de la Chambre, nach dem er nach
Anleitung der alten Philosophen viel von de-
nen Affecten geschrieben/ dennoch in dem Tra-
ctat
von der Kunst sich selbst zuerkennen die mei-
ste Zuflucht zu der Physiognomie nimmet/ und
den Nutzen der Lehre von denen Gemüths-
Neigungen nicht zeigen kan; welches auch an-
dern Scribenten wiederfahren/ die zu unsern
Zeiten von denen Gemüths-Neigungen ge-
schrieben/ als Senault und andere. Denn wenn
sie gleich viel subtile Dinge von denen Affecten
schwatzen/ so kan man doch die wenigsten sich zu
Nutze machen; wiewohl unter diesen allen mei-
nes Erachtens des Petri Molinaei Tractat

vom

Das 2. Hauptſt. von den Gemuͤths N.
denen Affecten der Leute/ die man vor ſich hat/
einzurichten.

4. Aber wo wolte man doch auch hierzu ge-
langen/ in dem man nicht einmahl weiß/ was
und wie vielerley die Gemuͤths-Neigungen
ſeyn/ ja indem man das wenigſte davon an de-
nen Oertern wo dieſes hingehoͤrete/ nemlich in
der Natur-Kunſt oder Sitten-Lehre/ ſondern
wenn es hochkoͤm̃t in der Rhetoric, und zwar
obenhin handel[t]/ und entweder den Ariſtote-
lem
oder Carteſium getreulich ausſchreibet/
und ſich nicht bekuͤmmert/ daß dieſe beyde gantz
offenbahre Jrrthuͤmer mit untergemiſchet/ auch
man ihre Lehren ſo hoch eben nicht nutzen koͤnne/
wenn man ſie zu ſeiner Selbſt-Erkentnuͤß oder zu
Erkentnuͤß anderer nutzen will/ weshalb auch
der Franzoſe de la Chambre, nach dem er nach
Anleitung der alten Philoſophen viel von de-
nen Affecten geſchrieben/ dennoch in dem Tra-
ctat
von der Kunſt ſich ſelbſt zuerkennen die mei-
ſte Zuflucht zu der Phyſiognomie nimmet/ und
den Nutzen der Lehre von denen Gemuͤths-
Neigungen nicht zeigen kan; welches auch an-
dern Scribenten wiederfahren/ die zu unſern
Zeiten von denen Gemuͤths-Neigungen ge-
ſchrieben/ als Senault und andere. Denn wenn
ſie gleich viel ſubtile Dinge von denen Affecten
ſchwatzen/ ſo kan man doch die wenigſten ſich zu
Nutze machen; wiewohl unter dieſen allen mei-
nes Erachtens des Petri Molinæi Tractat

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[40/0052] Das 2. Hauptſt. von den Gemuͤths N. denen Affecten der Leute/ die man vor ſich hat/ einzurichten. 4. Aber wo wolte man doch auch hierzu ge- langen/ in dem man nicht einmahl weiß/ was und wie vielerley die Gemuͤths-Neigungen ſeyn/ ja indem man das wenigſte davon an de- nen Oertern wo dieſes hingehoͤrete/ nemlich in der Natur-Kunſt oder Sitten-Lehre/ ſondern wenn es hochkoͤm̃t in der Rhetoric, und zwar obenhin handelt/ und entweder den Ariſtote- lem oder Carteſium getreulich ausſchreibet/ und ſich nicht bekuͤmmert/ daß dieſe beyde gantz offenbahre Jrrthuͤmer mit untergemiſchet/ auch man ihre Lehren ſo hoch eben nicht nutzen koͤnne/ wenn man ſie zu ſeiner Selbſt-Erkentnuͤß oder zu Erkentnuͤß anderer nutzen will/ weshalb auch der Franzoſe de la Chambre, nach dem er nach Anleitung der alten Philoſophen viel von de- nen Affecten geſchrieben/ dennoch in dem Tra- ctat von der Kunſt ſich ſelbſt zuerkennen die mei- ſte Zuflucht zu der Phyſiognomie nimmet/ und den Nutzen der Lehre von denen Gemuͤths- Neigungen nicht zeigen kan; welches auch an- dern Scribenten wiederfahren/ die zu unſern Zeiten von denen Gemuͤths-Neigungen ge- ſchrieben/ als Senault und andere. Denn wenn ſie gleich viel ſubtile Dinge von denen Affecten ſchwatzen/ ſo kan man doch die wenigſten ſich zu Nutze machen; wiewohl unter dieſen allen mei- nes Erachtens des Petri Molinæi Tractat vom

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/52>, abgerufen am 28.11.2024.