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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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daß er nie indifferent sey.

33. Die nun solches bejahen/ sagen gemei-
niglich/ daß der Zorn nichts anders sey als eine
Gemüths-Bewegung/ die das Böse empfin-
det/
und nach dieser Empfindung den Menschen
antreibet/ dasselbe von Halse loß zu werden.
Und diese Begierde/ sagt man/ hat ja GOtt den
Menschen in das Hertze gepflantzet/
so wohl
als einen andern indifferenten Affect, so kan sie
also an und für sich nicht böse seyn. Denn es ist
das Verlangen das Böse von Halse loß zu
werden
so vernünfftig wo nicht vernünfftiger/
als das Gute zu erlangen.

34. Nun geben wir gar gerne zu: Wenn
man den Zorn auff diese Art beschreiben will/ daß
der Zorn etwas indifferentes sey. Aber diese
Beschreibung redet von einem gantz andern
Affect, als der Zorn der ersten Bedeutung/ und
kan mit der vorigen Bedeutung nicht leichte un-
ter eine allgemeine Art (sub genere) eines Zorns/
der diese beyde unter sich begriffe/ gebracht wer-
den. Denn diese beyde Arten sind gar zu sehr
von einander entschieden. Jener
verlanget
nach Rache als was guten/ und hat die Beleidi-
gung oder das Böse schon überstanden; Dieser
aber will nur das gegenwärtige Böse von Halse
loß werden/ ohne Verlangen nach Rache. Je-
ner
gehet offensive, dieser defensive. Wenn
nun diese beyden Arten unter einem gemeinen

Zorn
Dd 4
daß er nie indifferent ſey.

33. Die nun ſolches bejahen/ ſagen gemei-
niglich/ daß der Zorn nichts anders ſey als eine
Gemuͤths-Bewegung/ die das Boͤſe empfin-
det/
und nach dieſer Empfindung den Menſchen
antreibet/ daſſelbe von Halſe loß zu werden.
Und dieſe Begierde/ ſagt man/ hat ja GOtt den
Menſchen in das Hertze gepflantzet/
ſo wohl
als einen andern indifferenten Affect, ſo kan ſie
alſo an und fuͤr ſich nicht boͤſe ſeyn. Denn es iſt
das Verlangen das Boͤſe von Halſe loß zu
werden
ſo vernuͤnfftig wo nicht vernuͤnfftiger/
als das Gute zu erlangen.

34. Nun geben wir gar gerne zu: Wenn
man den Zorn auff dieſe Art beſchreiben will/ daß
der Zorn etwas indifferentes ſey. Aber dieſe
Beſchreibung redet von einem gantz andern
Affect, als der Zorn der erſten Bedeutung/ und
kan mit der vorigen Bedeutung nicht leichte un-
ter eine allgemeine Art (ſub genere) eines Zorns/
der dieſe beyde unter ſich begriffe/ gebracht wer-
den. Denn dieſe beyde Arten ſind gar zu ſehr
von einander entſchieden. Jener
verlanget
nach Rache als was guten/ und hat die Beleidi-
gung oder das Boͤſe ſchon uͤberſtanden; Dieſer
aber will nur das gegenwaͤrtige Boͤſe von Halſe
loß werden/ ohne Verlangen nach Rache. Je-
ner
gehet offenſivè, dieſer defenſivè. Wenn
nun dieſe beyden Arten unter einem gemeinen

Zorn
Dd 4
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[423/0435] daß er nie indifferent ſey. 33. Die nun ſolches bejahen/ ſagen gemei- niglich/ daß der Zorn nichts anders ſey als eine Gemuͤths-Bewegung/ die das Boͤſe empfin- det/ und nach dieſer Empfindung den Menſchen antreibet/ daſſelbe von Halſe loß zu werden. Und dieſe Begierde/ ſagt man/ hat ja GOtt den Menſchen in das Hertze gepflantzet/ ſo wohl als einen andern indifferenten Affect, ſo kan ſie alſo an und fuͤr ſich nicht boͤſe ſeyn. Denn es iſt das Verlangen das Boͤſe von Halſe loß zu werden ſo vernuͤnfftig wo nicht vernuͤnfftiger/ als das Gute zu erlangen. 34. Nun geben wir gar gerne zu: Wenn man den Zorn auff dieſe Art beſchreiben will/ daß der Zorn etwas indifferentes ſey. Aber dieſe Beſchreibung redet von einem gantz andern Affect, als der Zorn der erſten Bedeutung/ und kan mit der vorigen Bedeutung nicht leichte un- ter eine allgemeine Art (ſub genere) eines Zorns/ der dieſe beyde unter ſich begriffe/ gebracht wer- den. Denn dieſe beyde Arten ſind gar zu ſehr von einander entſchieden. Jener verlanget nach Rache als was guten/ und hat die Beleidi- gung oder das Boͤſe ſchon uͤberſtanden; Dieſer aber will nur das gegenwaͤrtige Boͤſe von Halſe loß werden/ ohne Verlangen nach Rache. Je- ner gehet offenſivè, dieſer defenſivè. Wenn nun dieſe beyden Arten unter einem gemeinen Zorn Dd 4

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/435>, abgerufen am 27.11.2024.