Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.und denen daher rührenden Untugenden. und Ehr-Geitzigen zu hüten. Denn sein judi-cium und ingenium ist schlecht/ indem alles/ worinnen er im Verstande avantage für andern hat/ auf ein sonderlich gut Gedächtnüs hin- aus laufft. Nun pflegen aber kluge Leute so zu sagen/ ein Loth judicii im Nutzen des gemeinen Wesens höher zu aestimiren/ als ein Pfund Ge- dächtnüs. Ein Geld-Geitziger denckt mehr auf vergangene als gegenwärtige und zukünfftige Dinge. Durch die vergangene Dinge verstehe ich hier diejenigen/ die er schon (in praeterito) er- langet hat/ ob er gleich dieselbige gegenwärt[i]g noch besitzet. Denn er kan nicht immer auff seinem Geld-Sack sitzen/ vielweniger/ wenn er vielerley Güter besitzt/ an allen Orten zugleich gegenwärtig seyn/ und also kan es nicht fehlen/ er müsse öffters dem Leibe nach denensel- ben abwesend seyn. Nun werden aber in der Philosophie abwesende Dinge auf gewisse Masse bald dem Vergangenen/ bald dem Zukünfftigen gleich gerechnet/ zum wenigsten dem Gegenwär- tigen entgegen gesetzt/ gleichwohl gedenckt der Geitzige/ wegen der geistlichen Vereinigung mit seinem Geld und Gute stets an das Abwesende; Er verlanget bald leiblicher Weise auch bey de- nenselbigen gegenwärtig zu seyn/ wie man bey allen Dingen gerne ist/ die man liebet/ er be- fürchtet sich/ man werde ihm dieselbigen rau- ben/ und also/ wenn es möglich wäre/ so hienge er sie gerne allesamt an den Hals/ und trüge sie mit
und denen daher ruͤhrenden Untugenden. und Ehr-Geitzigen zu huͤten. Denn ſein judi-cium und ingenium iſt ſchlecht/ indem alles/ worinnen er im Verſtande avantage fuͤr andern hat/ auf ein ſonderlich gut Gedaͤchtnuͤs hin- aus laufft. Nun pflegen aber kluge Leute ſo zu ſagen/ ein Loth judicii im Nutzen des gemeinen Weſens hoͤher zu æſtimiren/ als ein Pfund Ge- daͤchtnuͤs. Ein Geld-Geitziger denckt mehr auf vergangene als gegenwaͤrtige und zukuͤnfftige Dinge. Durch die vergangene Dinge verſtehe ich hier diejenigen/ die er ſchon (in præterito) er- langet hat/ ob er gleich dieſelbige gegenwaͤrt[i]g noch beſitzet. Denn er kan nicht immer auff ſeinem Geld-Sack ſitzen/ vielweniger/ wenn er vielerley Guͤter beſitzt/ an allen Orten zugleich gegenwaͤrtig ſeyn/ und alſo kan es nicht fehlen/ er muͤſſe oͤffters dem Leibe nach denenſel- ben abweſend ſeyn. Nun werden aber in der Philoſophie abweſende Dinge auf gewiſſe Maſſe bald dem Vergangenen/ bald dem Zukuͤnfftigen gleich gerechnet/ zum wenigſten dem Gegenwaͤr- tigen entgegen geſetzt/ gleichwohl gedenckt der Geitzige/ wegen der geiſtlichen Vereinigung mit ſeinem Geld und Gute ſtets an das Abweſende; Er verlanget bald leiblicher Weiſe auch bey de- nenſelbigen gegenwaͤrtig zu ſeyn/ wie man bey allen Dingen gerne iſt/ die man liebet/ er be- fuͤrchtet ſich/ man werde ihm dieſelbigen rau- ben/ und alſo/ wenn es moͤglich waͤre/ ſo hienge er ſie gerne alleſamt an den Hals/ und truͤge ſie mit
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und Ehr-Geitzigen zu huͤten. Denn ſein judi-
cium und ingenium iſt ſchlecht/ indem alles/
worinnen er im Verſtande avantage fuͤr andern
hat/ auf ein ſonderlich gut Gedaͤchtnuͤs hin-
aus laufft. Nun pflegen aber kluge Leute ſo zu
ſagen/ ein Loth judicii im Nutzen des gemeinen
Weſens hoͤher zu æſtimiren/ als ein Pfund Ge-
daͤchtnuͤs. Ein Geld-Geitziger denckt mehr auf
vergangene als gegenwaͤrtige und zukuͤnfftige
Dinge. Durch die vergangene Dinge verſtehe
ich hier diejenigen/ die er ſchon (in præterito) er-
langet hat/ ob er gleich dieſelbige gegenwaͤrtig
noch beſitzet. Denn er kan nicht immer auff
ſeinem Geld-Sack ſitzen/ vielweniger/ wenn
er vielerley Guͤter beſitzt/ an allen Orten
zugleich gegenwaͤrtig ſeyn/ und alſo kan es nicht
fehlen/ er muͤſſe oͤffters dem Leibe nach denenſel-
ben abweſend ſeyn. Nun werden aber in der
Philoſophie abweſende Dinge auf gewiſſe Maſſe
bald dem Vergangenen/ bald dem Zukuͤnfftigen
gleich gerechnet/ zum wenigſten dem Gegenwaͤr-
tigen entgegen geſetzt/ gleichwohl gedenckt der
Geitzige/ wegen der geiſtlichen Vereinigung mit
ſeinem Geld und Gute ſtets an das Abweſende;
Er verlanget bald leiblicher Weiſe auch bey de-
nenſelbigen gegenwaͤrtig zu ſeyn/ wie man bey
allen Dingen gerne iſt/ die man liebet/ er be-
fuͤrchtet ſich/ man werde ihm dieſelbigen rau-
ben/ und alſo/ wenn es moͤglich waͤre/ ſo hienge
er ſie gerne alleſamt an den Hals/ und truͤge ſie
mit
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/295>, abgerufen am 24.07.2024. |