Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.Das 8. H. Aus der vernünfftigen Liebe durch ein picquantes Wort niemand beleidige/am allermeisten aber die Gedult/ damit man durch stillschweigen eine kleine Ungelegenheit ver- trage/ und durch Wiederantwortung nicht Oehl in das Feuer giesse. Daß wir von der abson- derlichen Liebe nicht viel erwehnen: Denn durch schweigen und Verschwiegenheit lernet man an- dere kennen/ man macht sich ihnen gefällig; Schweigen gehöret zuweilen unter die grösten Gutthaten; und endlich/ weil schweigen ein vernünfftiges Thun ist/ gehöret es auch unstrei- tig zur Gemeinschafft des vernünfftigen Thun und Lassens. 7. Vernünfftige Liebe ist offenhertzig/ und den
Das 8. H. Aus der vernuͤnfftigen Liebe durch ein picquantes Wort niemand beleidige/am allermeiſten aber die Gedult/ damit man durch ſtillſchweigen eine kleine Ungelegenheit ver- trage/ und durch Wiederantwortung nicht Oehl in das Feuer gieſſe. Daß wir von der abſon- derlichen Liebe nicht viel erwehnen: Deñ durch ſchweigen und Verſchwiegenheit lernet man an- dere kennen/ man macht ſich ihnen gefaͤllig; Schweigen gehoͤret zuweilen unter die groͤſten Gutthaten; und endlich/ weil ſchweigen ein vernuͤnfftiges Thun iſt/ gehoͤret es auch unſtrei- tig zur Gemeinſchafft des vernuͤnfftigen Thun und Laſſens. 7. Vernuͤnfftige Liebe iſt offenhertzig/ und den
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Das 8. H. Aus der vernuͤnfftigen Liebe
durch ein picquantes Wort niemand beleidige/
am allermeiſten aber die Gedult/ damit man
durch ſtillſchweigen eine kleine Ungelegenheit ver-
trage/ und durch Wiederantwortung nicht Oehl
in das Feuer gieſſe. Daß wir von der abſon-
derlichen Liebe nicht viel erwehnen: Deñ durch
ſchweigen und Verſchwiegenheit lernet man an-
dere kennen/ man macht ſich ihnen gefaͤllig;
Schweigen gehoͤret zuweilen unter die groͤſten
Gutthaten; und endlich/ weil ſchweigen ein
vernuͤnfftiges Thun iſt/ gehoͤret es auch unſtrei-
tig zur Gemeinſchafft des vernuͤnfftigen Thun
und Laſſens.
7. Vernuͤnfftige Liebe iſt offenhertzig/ und
ſaget heraus/ wie es ihr umb das Hertz iſt. Of-
fenhertzigkeit iſt eine Tugend/ die redet/
wenn zu reden iſt. Denn ſie ſuchet niemand
zuſchaden/ und alſo hat ſie nicht Urſach einige Tuͤ-
cke zu verbergen/ ja ſie ſiehet vielmehr und verſte-
het/ daß durch das reden auch groſſer Nutze ge-
ſchaffet werde. Die Leutſeligkeit treibt ſie an/
den andern fuͤr einen bevorſtehenden Schaden zu
warnen; Die Warhafftigkeit fodert ſolches
von ihr/ wenn ſie offenhertzig etwas zu ſagen ver-
ſprochen; Die Beſcheidenheit will gleichfalls
haben/ daß man in Geſellſchafft was Gutes mit
redet/ und nicht als ein Verraͤther auff andrer
Leute Reden laure; ingleichen die Vertraͤglich-
keit/ daß man uͤberall zum Frieden rede/ und zu
weilen die Gedult/ daß man durch gute Worte
den
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/190>, abgerufen am 23.07.2024. |