Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.in der Selenangst am Oelberge. Geistes, sondern blieb auch in der frömmstenGemüthsfassung; er betete, und, so wie die Angst wieder kam, und seinen, schon geschwäch- ten, Körper noch stärker angrif, und tiefer in die Sele drang: so betete er wieder, und betete dieselbigen Worte, und betete heftiger, und doch war sein Gebet keine bestimmte Bitte. Wenn es erlaubt ist, Gott eine ganz be- &q;ists
in der Selenangſt am Oelberge. Geiſtes, ſondern blieb auch in der frömmſtenGemüthsfaſſung; er betete, und, ſo wie die Angſt wieder kam, und ſeinen, ſchon geſchwäch- ten, Körper noch ſtärker angrif, und tiefer in die Sele drang: ſo betete er wieder, und betete dieſelbigen Worte, und betete heftiger, und doch war ſein Gebet keine beſtimmte Bitte. Wenn es erlaubt iſt, Gott eine ganz be- &q;iſts
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in der Selenangſt am Oelberge.
Geiſtes, ſondern blieb auch in der frömmſten
Gemüthsfaſſung; er betete, und, ſo wie die
Angſt wieder kam, und ſeinen, ſchon geſchwäch-
ten, Körper noch ſtärker angrif, und tiefer in die
Sele drang: ſo betete er wieder, und betete
dieſelbigen Worte, und betete heftiger, und
doch war ſein Gebet keine beſtimmte Bitte.
Wenn es erlaubt iſt, Gott eine ganz be-
ſtimmte Bitte vorzutragen: ſo war gewis Jeſus
hier in dem erlaubteſten Fall. Aber wir hätten
dann doch nur den Menſchen, freilich den gros
und ädel leidenden, aber doch immer den lei-
denden Menſchen in ihm geſehn. Erſcheint er
uns nun ſchon göttlich als zuverſichtlicher Beter
in ſo einſamer Schrekkensnacht: ſo iſt das Gött-
liche dieſes Gebets das, daß er nicht beſtimmt
um Abwendnng, nicht um Milderung, nicht
um Verkürzung dieſes ſchwerſten Leidens,
auch nicht um Stärkung ſeiner erſchöpften
Menſchenkräfte, ſondern nur darum zu ſeinem
himmliſchen Vater betete, daß ſein Wille ge-
ſcheh, es ſei in Wegräumung oder Herbei-
führung des, vor ihm ſtehenden, Kelchs. Ein
beſtimmtes Leiden ſah er in der Näh, hörte er
im Anzuge, fühlte er zum voraus nach ſeiner
ſchreklichen Gewalt, das beſtimmte ihn nicht
zum Gebet, oder gab es ihm dazu Anlaß: ſo
veranlaßte es ihn doch nicht zu einer beſtimm-
ten Bitte um etwas Irdiſches, ſondern zu einer
höhern Bitte um etwas Him̃liſches. — “Herr,
&q;ich leide Noth, lindre mirs!” ſo würde der
zagende Menſch gebetet haben: “Mein Vater,
&q;iſts
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