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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
Jesu zurükkehren, und daß sie um so stärker sein,
und um so heftiger sich äussern mußten, ie näher
er iener fürchterlichen Stunde kam. Recht nah
mußten sie ihm an das, schon volle, Herz treten,
als er des Nachts, nachdem er mit seinen Jün-
gern die Passahmahlzeit gehalten hatte, seinen ge-
wöhnlichen und lezten Gang nach dem Oelberg
ging. Da stand nun in tiefer, schwarzer Mit-
ternacht die Stunde hart vor ihm, die Stunde
seiner satanischen Auslieferung zum höllischten
Gericht. Noch wandelte er frei, allein wan-
delte er in der Gesellschaft seiner schlafenden Jün-
ger, umher auf einem Berge, und mitten in sehr
finstrer, ich denke izt stürmischer, gräslicher
Nacht, da mußte wohl der Kampf in seiner
Sele entstehen, den so die Evangelisten beschrei-
ben, als hätten sie selbst ihn empfunden.

Es ist gewis, daß man das Selenleiden Jesu
von dieser Seite betrachten muß, aber es ist
auch gewis, daß man es nicht blos von dieser
Seite betrachten darf. Es hat, wie alles in dem
Leben des Gottmenschen, die gedoppelte Seite
des Menschlichen und Göttlichen. Dunkel
ist hier iene Seite, stralenhell diese. So fern
mein, noch blödes, Aug diese Strahlen umfassen,
durch sie sich gestärkt finden kann bei iedem Rük-
blik in mein irdisches Leben, das, wenn auch
keine solche Nacht, als die war, die der Herr
einsam durchwachte und durchbetete, mir zu Theil
werden kann, doch seine trüben Seiten, doch seine
Mitternachtsstunden hat, so fern will ich an ihnen
mich ganz erleuchten und erwärmen, will an ih-

rem

Unſer Herr
Jeſu zurükkehren, und daß ſie um ſo ſtärker ſein,
und um ſo heftiger ſich äuſſern mußten, ie näher
er iener fürchterlichen Stunde kam. Recht nah
mußten ſie ihm an das, ſchon volle, Herz treten,
als er des Nachts, nachdem er mit ſeinen Jün-
gern die Paſſahmahlzeit gehalten hatte, ſeinen ge-
wöhnlichen und lezten Gang nach dem Oelberg
ging. Da ſtand nun in tiefer, ſchwarzer Mit-
ternacht die Stunde hart vor ihm, die Stunde
ſeiner ſataniſchen Auslieferung zum hölliſchten
Gericht. Noch wandelte er frei, allein wan-
delte er in der Geſellſchaft ſeiner ſchlafenden Jün-
ger, umher auf einem Berge, und mitten in ſehr
finſtrer, ich denke izt ſtürmiſcher, gräslicher
Nacht, da mußte wohl der Kampf in ſeiner
Sele entſtehen, den ſo die Evangeliſten beſchrei-
ben, als hätten ſie ſelbſt ihn empfunden.

Es iſt gewis, daß man das Selenleiden Jeſu
von dieſer Seite betrachten muß, aber es iſt
auch gewis, daß man es nicht blos von dieſer
Seite betrachten darf. Es hat, wie alles in dem
Leben des Gottmenſchen, die gedoppelte Seite
des Menſchlichen und Göttlichen. Dunkel
iſt hier iene Seite, ſtralenhell dieſe. So fern
mein, noch blödes, Aug dieſe Strahlen umfaſſen,
durch ſie ſich geſtärkt finden kann bei iedem Rük-
blik in mein irdiſches Leben, das, wenn auch
keine ſolche Nacht, als die war, die der Herr
einſam durchwachte und durchbetete, mir zu Theil
werden kann, doch ſeine trüben Seiten, doch ſeine
Mitternachtsſtunden hat, ſo fern will ich an ihnen
mich ganz erleuchten und erwärmen, will an ih-

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[40/0054] Unſer Herr Jeſu zurükkehren, und daß ſie um ſo ſtärker ſein, und um ſo heftiger ſich äuſſern mußten, ie näher er iener fürchterlichen Stunde kam. Recht nah mußten ſie ihm an das, ſchon volle, Herz treten, als er des Nachts, nachdem er mit ſeinen Jün- gern die Paſſahmahlzeit gehalten hatte, ſeinen ge- wöhnlichen und lezten Gang nach dem Oelberg ging. Da ſtand nun in tiefer, ſchwarzer Mit- ternacht die Stunde hart vor ihm, die Stunde ſeiner ſataniſchen Auslieferung zum hölliſchten Gericht. Noch wandelte er frei, allein wan- delte er in der Geſellſchaft ſeiner ſchlafenden Jün- ger, umher auf einem Berge, und mitten in ſehr finſtrer, ich denke izt ſtürmiſcher, gräslicher Nacht, da mußte wohl der Kampf in ſeiner Sele entſtehen, den ſo die Evangeliſten beſchrei- ben, als hätten ſie ſelbſt ihn empfunden. Es iſt gewis, daß man das Selenleiden Jeſu von dieſer Seite betrachten muß, aber es iſt auch gewis, daß man es nicht blos von dieſer Seite betrachten darf. Es hat, wie alles in dem Leben des Gottmenſchen, die gedoppelte Seite des Menſchlichen und Göttlichen. Dunkel iſt hier iene Seite, ſtralenhell dieſe. So fern mein, noch blödes, Aug dieſe Strahlen umfaſſen, durch ſie ſich geſtärkt finden kann bei iedem Rük- blik in mein irdiſches Leben, das, wenn auch keine ſolche Nacht, als die war, die der Herr einſam durchwachte und durchbetete, mir zu Theil werden kann, doch ſeine trüben Seiten, doch ſeine Mitternachtsſtunden hat, ſo fern will ich an ihnen mich ganz erleuchten und erwärmen, will an ih- rem

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/54>, abgerufen am 24.11.2024.