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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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in der Selenangst am Oelberge.
merkwürdigen, Auftritten seines Lebens, auch hier
zugegen. Aber auch sein sanftes Auge schloß sich
hier, wie das, sonst immer ofne, feurige Aug des
Petrus, in tiefem, vestem Schlaf; er vermogte
auch nicht eine Stunde mit Jesu zu wachen, der,
gegen den Tod ankämpfend, auf dem Berge im-
mer umher ging, und in der kalten Nacht den
heissesten, heftigsten Angstschweis vergoß. Rührt
es daher, daß Johannes dieser wigtigen Bege-
benheit des, nun zu Ende gehenden, Lebens Jesu
nicht gedenkt? war das Andenken an sie ihm em-
pfindlich? wollt er der Beschämung ausweichen,
die darin für ihn lag? Nein. Das durft er
nicht, denn nicht für ihn allein, auch für den Pe-
trus, der im Wetteifer mit ihm noch bis zulezt,
bis nach der Auferstehung, bis kurz vor der Him-
melfahrt des Herrn, gern den Vorrang behauptet
hätte, hatte dieser Auftritt eben so viel, ia noch
mehr Beschämendes. Das konnt er auch nicht,
denn in den frühern Evangelien stand nun doch die
ganze Begebenheit mit allen ihren, auch den klein-
sten, Umständen schon verzeichnet bis zu ewigen
Tagen. Das wollt er auch nicht, er, der mit
so reinem und liebevollen Wahrheitssinne sagt:
was wir gesehen und gehöret haben, das
verkündigen wir euch, und solches schrei-
ben wir euch, auf daß eure Freude völlig
sei.
Er wollt aber, diesen Zwek sehn wir ihn
durch sein gauzes Evangelium verfolgen, er wollte
die Nachrichten der andern Evangelisten ergänzen,
und aus dem Seinigen hinzuthun, was in ienen
Beträchtliches zu fehlen schien. Darum gedenkt

er
C 3

in der Selenangſt am Oelberge.
merkwürdigen, Auftritten ſeines Lebens, auch hier
zugegen. Aber auch ſein ſanftes Auge ſchloß ſich
hier, wie das, ſonſt immer ofne, feurige Aug des
Petrus, in tiefem, veſtem Schlaf; er vermogte
auch nicht eine Stunde mit Jeſu zu wachen, der,
gegen den Tod ankämpfend, auf dem Berge im-
mer umher ging, und in der kalten Nacht den
heiſſeſten, heftigſten Angſtſchweis vergoß. Rührt
es daher, daß Johannes dieſer wigtigen Bege-
benheit des, nun zu Ende gehenden, Lebens Jeſu
nicht gedenkt? war das Andenken an ſie ihm em-
pfindlich? wollt er der Beſchämung ausweichen,
die darin für ihn lag? Nein. Das durft er
nicht, denn nicht für ihn allein, auch für den Pe-
trus, der im Wetteifer mit ihm noch bis zulezt,
bis nach der Auferſtehung, bis kurz vor der Him-
melfahrt des Herrn, gern den Vorrang behauptet
hätte, hatte dieſer Auftritt eben ſo viel, ia noch
mehr Beſchämendes. Das konnt er auch nicht,
denn in den frühern Evangelien ſtand nun doch die
ganze Begebenheit mit allen ihren, auch den klein-
ſten, Umſtänden ſchon verzeichnet bis zu ewigen
Tagen. Das wollt er auch nicht, er, der mit
ſo reinem und liebevollen Wahrheitsſinne ſagt:
was wir geſehen und gehöret haben, das
verkündigen wir euch, und ſolches ſchrei-
ben wir euch, auf daß eure Freude völlig
ſei.
Er wollt aber, dieſen Zwek ſehn wir ihn
durch ſein gauzes Evangelium verfolgen, er wollte
die Nachrichten der andern Evangeliſten ergänzen,
und aus dem Seinigen hinzuthun, was in ienen
Beträchtliches zu fehlen ſchien. Darum gedenkt

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[37/0051] in der Selenangſt am Oelberge. merkwürdigen, Auftritten ſeines Lebens, auch hier zugegen. Aber auch ſein ſanftes Auge ſchloß ſich hier, wie das, ſonſt immer ofne, feurige Aug des Petrus, in tiefem, veſtem Schlaf; er vermogte auch nicht eine Stunde mit Jeſu zu wachen, der, gegen den Tod ankämpfend, auf dem Berge im- mer umher ging, und in der kalten Nacht den heiſſeſten, heftigſten Angſtſchweis vergoß. Rührt es daher, daß Johannes dieſer wigtigen Bege- benheit des, nun zu Ende gehenden, Lebens Jeſu nicht gedenkt? war das Andenken an ſie ihm em- pfindlich? wollt er der Beſchämung ausweichen, die darin für ihn lag? Nein. Das durft er nicht, denn nicht für ihn allein, auch für den Pe- trus, der im Wetteifer mit ihm noch bis zulezt, bis nach der Auferſtehung, bis kurz vor der Him- melfahrt des Herrn, gern den Vorrang behauptet hätte, hatte dieſer Auftritt eben ſo viel, ia noch mehr Beſchämendes. Das konnt er auch nicht, denn in den frühern Evangelien ſtand nun doch die ganze Begebenheit mit allen ihren, auch den klein- ſten, Umſtänden ſchon verzeichnet bis zu ewigen Tagen. Das wollt er auch nicht, er, der mit ſo reinem und liebevollen Wahrheitsſinne ſagt: was wir geſehen und gehöret haben, das verkündigen wir euch, und ſolches ſchrei- ben wir euch, auf daß eure Freude völlig ſei. Er wollt aber, dieſen Zwek ſehn wir ihn durch ſein gauzes Evangelium verfolgen, er wollte die Nachrichten der andern Evangeliſten ergänzen, und aus dem Seinigen hinzuthun, was in ienen Beträchtliches zu fehlen ſchien. Darum gedenkt er C 3

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/51>, abgerufen am 24.11.2024.