Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

mit seinen Jüngern.
wartetes erfahren hatten, sie, die izt alles ganz
anders sahn, wie vor einigen Tagen, bei dem
triumphähnlichen Einzug Jesu in Jerusalem, sie,
denen von der Stille, worin Jesus sich izt dort
aufhielt, von dieser einsamen Abendgesellschaft,
von dieser gewöhnlichen Ceremonienmahlzeit viel-
leicht nichts Gutes ahndete, sie, denen gewis,
nach ihrer eignen Empfindung, mit ihrem Mei-
ster etwas sehr Wigtiges sehr nah bevorstand;
mit welcher Bedrükkung lagerten sie sich wohl
izt um seine Tafel!

Es fehlte an keinem aus der Gesellschaft, es
fehlte auch nicht an Bewirthung: aber es fehlte
den Gästen an Lust zu geniessen, an Muth zu re-
den. Er unterbrach das Schweigen, diese Sprache
traurernder Empfindung, Er, der in ihrem Zir-
kel am traurigsten hätte scheinen können: aber,
wie immer, so auch hier, an diesem denkwürdigen
Abend, in dieser bedeutungsvollen Gesellschaft,
am ruhigsten und heitersten war. "Mich hat
&q;herzlich verlangt, das waren seine, und so denk
ich überall die ersten Worte, die über Tisch
gesprochen wurden, "mich hat herzlich verlangt,
&q;dies Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn
&q;ich leide." So wie Er nur anfing zu reden:
welche Gedanken und Empfindungen waren da
wohl schon bei den Jüngern im Andrang; wie
schien sich wohl aller Mund zu öfnen, so wie
nur Er ihn öfnete. Doch blieben sie gewis
einige Minuten in der Stellung, in welcher sie
eben izt waren; ihr Blik blieb an seinem ge-
schloßnen Munde, an seinem, izt nichts mehr,

und
B 5

mit ſeinen Jüngern.
wartetes erfahren hatten, ſie, die izt alles ganz
anders ſahn, wie vor einigen Tagen, bei dem
triumphähnlichen Einzug Jeſu in Jeruſalem, ſie,
denen von der Stille, worin Jeſus ſich izt dort
aufhielt, von dieſer einſamen Abendgeſellſchaft,
von dieſer gewöhnlichen Ceremonienmahlzeit viel-
leicht nichts Gutes ahndete, ſie, denen gewis,
nach ihrer eignen Empfindung, mit ihrem Mei-
ſter etwas ſehr Wigtiges ſehr nah bevorſtand;
mit welcher Bedrükkung lagerten ſie ſich wohl
izt um ſeine Tafel!

Es fehlte an keinem aus der Geſellſchaft, es
fehlte auch nicht an Bewirthung: aber es fehlte
den Gäſten an Luſt zu genieſſen, an Muth zu re-
den. Er unterbrach das Schweigen, dieſe Sprache
traurernder Empfindung, Er, der in ihrem Zir-
kel am traurigſten hätte ſcheinen können: aber,
wie immer, ſo auch hier, an dieſem denkwürdigen
Abend, in dieſer bedeutungsvollen Geſellſchaft,
am ruhigſten und heiterſten war. “Mich hat
&q;herzlich verlangt, das waren ſeine, und ſo denk
ich überall die erſten Worte, die über Tiſch
geſprochen wurden, “mich hat herzlich verlangt,
&q;dies Oſterlamm mit euch zu eſſen, ehe denn
&q;ich leide.” So wie Er nur anfing zu reden:
welche Gedanken und Empfindungen waren da
wohl ſchon bei den Jüngern im Andrang; wie
ſchien ſich wohl aller Mund zu öfnen, ſo wie
nur Er ihn öfnete. Doch blieben ſie gewis
einige Minuten in der Stellung, in welcher ſie
eben izt waren; ihr Blik blieb an ſeinem ge-
ſchloßnen Munde, an ſeinem, izt nichts mehr,

und
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="25"/><fw place="top" type="header">mit &#x017F;einen Jüngern.</fw><lb/>
wartetes erfahren hatten, &#x017F;ie, die izt alles ganz<lb/>
anders &#x017F;ahn, wie vor einigen Tagen, bei dem<lb/>
triumphähnlichen Einzug Je&#x017F;u in Jeru&#x017F;alem, &#x017F;ie,<lb/>
denen von der Stille, worin Je&#x017F;us &#x017F;ich izt dort<lb/>
aufhielt, von die&#x017F;er ein&#x017F;amen Abendge&#x017F;ell&#x017F;chaft,<lb/>
von die&#x017F;er gewöhnlichen Ceremonienmahlzeit viel-<lb/>
leicht nichts Gutes ahndete, &#x017F;ie, denen gewis,<lb/>
nach ihrer eignen Empfindung, mit ihrem Mei-<lb/>
&#x017F;ter etwas &#x017F;ehr Wigtiges &#x017F;ehr nah bevor&#x017F;tand;<lb/>
mit welcher Bedrükkung lagerten &#x017F;ie &#x017F;ich wohl<lb/>
izt um &#x017F;eine Tafel!</p><lb/>
        <p>Es fehlte an keinem aus der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, es<lb/>
fehlte auch nicht an Bewirthung: aber es fehlte<lb/>
den Gä&#x017F;ten an Lu&#x017F;t zu genie&#x017F;&#x017F;en, an Muth zu re-<lb/>
den. Er unterbrach das Schweigen, die&#x017F;e Sprache<lb/>
traurernder Empfindung, Er, der in ihrem Zir-<lb/>
kel am traurig&#x017F;ten hätte <hi rendition="#fr">&#x017F;cheinen</hi> können: aber,<lb/>
wie immer, &#x017F;o auch hier, an die&#x017F;em denkwürdigen<lb/>
Abend, in die&#x017F;er bedeutungsvollen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft,<lb/>
am ruhig&#x017F;ten und heiter&#x017F;ten <hi rendition="#fr">war.</hi> &#x201C;Mich hat<lb/>
&amp;q;herzlich verlangt, das waren &#x017F;eine, und &#x017F;o denk<lb/>
ich überall die er&#x017F;ten Worte, die über Ti&#x017F;ch<lb/>
ge&#x017F;prochen wurden, &#x201C;mich hat herzlich verlangt,<lb/>
&amp;q;dies O&#x017F;terlamm mit euch zu e&#x017F;&#x017F;en, ehe denn<lb/>
&amp;q;ich leide.&#x201D; So wie Er nur anfing zu reden:<lb/>
welche Gedanken und Empfindungen waren da<lb/>
wohl &#x017F;chon bei den Jüngern im Andrang; wie<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ich wohl aller Mund zu öfnen, &#x017F;o wie<lb/>
nur Er ihn öfnete. Doch blieben &#x017F;ie gewis<lb/>
einige Minuten in der Stellung, in welcher &#x017F;ie<lb/>
eben izt waren; ihr Blik blieb an &#x017F;einem ge-<lb/>
&#x017F;chloßnen Munde, an &#x017F;einem, izt nichts mehr,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0039] mit ſeinen Jüngern. wartetes erfahren hatten, ſie, die izt alles ganz anders ſahn, wie vor einigen Tagen, bei dem triumphähnlichen Einzug Jeſu in Jeruſalem, ſie, denen von der Stille, worin Jeſus ſich izt dort aufhielt, von dieſer einſamen Abendgeſellſchaft, von dieſer gewöhnlichen Ceremonienmahlzeit viel- leicht nichts Gutes ahndete, ſie, denen gewis, nach ihrer eignen Empfindung, mit ihrem Mei- ſter etwas ſehr Wigtiges ſehr nah bevorſtand; mit welcher Bedrükkung lagerten ſie ſich wohl izt um ſeine Tafel! Es fehlte an keinem aus der Geſellſchaft, es fehlte auch nicht an Bewirthung: aber es fehlte den Gäſten an Luſt zu genieſſen, an Muth zu re- den. Er unterbrach das Schweigen, dieſe Sprache traurernder Empfindung, Er, der in ihrem Zir- kel am traurigſten hätte ſcheinen können: aber, wie immer, ſo auch hier, an dieſem denkwürdigen Abend, in dieſer bedeutungsvollen Geſellſchaft, am ruhigſten und heiterſten war. “Mich hat &q;herzlich verlangt, das waren ſeine, und ſo denk ich überall die erſten Worte, die über Tiſch geſprochen wurden, “mich hat herzlich verlangt, &q;dies Oſterlamm mit euch zu eſſen, ehe denn &q;ich leide.” So wie Er nur anfing zu reden: welche Gedanken und Empfindungen waren da wohl ſchon bei den Jüngern im Andrang; wie ſchien ſich wohl aller Mund zu öfnen, ſo wie nur Er ihn öfnete. Doch blieben ſie gewis einige Minuten in der Stellung, in welcher ſie eben izt waren; ihr Blik blieb an ſeinem ge- ſchloßnen Munde, an ſeinem, izt nichts mehr, und B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/39
Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/39>, abgerufen am 21.11.2024.