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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr,

Jesus that dieselbe Frage an den Petrus noch einmahl,
oder er that eine andre Frage an ihn auf dieselbe Art.
Er sprach zum andernmal zu ihm: "Simon Johan-
&q;na, hast du mich lieb?
" Im Grunde wars dieselbe,
es war wohl genau die Frage, die Jesus gleich anfangs
hatte thun wollen. Die Bescheidenheit und die Zuver-
sicht, mit welcher Petrus sie beantwortet hatte, machte
eine weitere Einkleidung derselben izt unnöthig. Das
Herz des Jüngers war einmal getroffen: Jesus konnte
izt auf dasselbe zureden. Dies empfand auch Petrus;
der veränderte Ausdruk der Frage Jesu hatte für ihn
darum nichts Auffallendes; er schöpfte deswegen keinen
Verdacht; er ward darüber nicht unmuthig: sondern er
antwortete so geradezu und so herzlich, wie vorhin:
"Ja, Herr, du weissest, daß ich dich lieb habe."
Und Jesus gab ihm wieder zur Antwort: "weide
&q;meine Schafe!
"

Nun sagte aber Jesus noch einmal, zum drittenmal,
zu ihm: "Simon Johanna, hast du mich lieb?"
Da,
so erzählt Johannes, da ward Petrus traurig,
daß er zum drittenmal zu ihm sagte, "hast du
&q;mich lieb?
" Wie treu ist das erzählt, wie deutlich
wird es aus diesem unverstellten, ungekünstelten Vericht,
daß Johannes ein Zeuge und ein theilnehmender Zeuge
dieses rührenden Auftritts gewesen sei. Petrus ward
traurig, daß Jesus zum drittenmal, so, als ob er würklich
in ihn ein Mistrauen sezze, als ob er seine, doch so red-
lich gethanene, Aeusserung bezweifele, als ob er ihn vor
den übrigen Jüngern zu beschämen suche, als ob er gleich
anfangs eine Verneinung in seine Frage gelegt habe, die
nur Petrus nicht gleich habe finden können, die er ihm
nun noch recht fühlbar machen wolle, als ob er ihn an
seine dreimalige Verläugnung habe erinnern wollen, zu
ihm sagte: "Simon Johanna, hast du mich lieb?"
Doch faßte er sich, und ließ diese, wenn gleich schon aus
Herzensgrund beantwortete, Frage doch auch diesmal
nicht unbeantwortet. Er schwieg nicht, denn er war

nicht
Unſer Herr,

Jeſus that dieſelbe Frage an den Petrus noch einmahl,
oder er that eine andre Frage an ihn auf dieſelbe Art.
Er ſprach zum andernmal zu ihm: “Simon Johan-
&q;na, haſt du mich lieb?
” Im Grunde wars dieſelbe,
es war wohl genau die Frage, die Jeſus gleich anfangs
hatte thun wollen. Die Beſcheidenheit und die Zuver-
ſicht, mit welcher Petrus ſie beantwortet hatte, machte
eine weitere Einkleidung derſelben izt unnöthig. Das
Herz des Jüngers war einmal getroffen: Jeſus konnte
izt auf daſſelbe zureden. Dies empfand auch Petrus;
der veränderte Ausdruk der Frage Jeſu hatte für ihn
darum nichts Auffallendes; er ſchöpfte deswegen keinen
Verdacht; er ward darüber nicht unmuthig: ſondern er
antwortete ſo geradezu und ſo herzlich, wie vorhin:
Ja, Herr, du weiſſeſt, daß ich dich lieb habe.
Und Jeſus gab ihm wieder zur Antwort: “weide
&q;meine Schafe!

Nun ſagte aber Jeſus noch einmal, zum drittenmal,
zu ihm: “Simon Johanna, haſt du mich lieb?”
Da,
ſo erzählt Johannes, da ward Petrus traurig,
daß er zum drittenmal zu ihm ſagte, “haſt du
&q;mich lieb?
” Wie treu iſt das erzählt, wie deutlich
wird es aus dieſem unverſtellten, ungekünſtelten Vericht,
daß Johannes ein Zeuge und ein theilnehmender Zeuge
dieſes rührenden Auftritts geweſen ſei. Petrus ward
traurig, daß Jeſus zum drittenmal, ſo, als ob er würklich
in ihn ein Mistrauen ſezze, als ob er ſeine, doch ſo red-
lich gethanene, Aeuſſerung bezweifele, als ob er ihn vor
den übrigen Jüngern zu beſchämen ſuche, als ob er gleich
anfangs eine Verneinung in ſeine Frage gelegt habe, die
nur Petrus nicht gleich habe finden können, die er ihm
nun noch recht fühlbar machen wolle, als ob er ihn an
ſeine dreimalige Verläugnung habe erinnern wollen, zu
ihm ſagte: “Simon Johanna, haſt du mich lieb?
Doch faßte er ſich, und ließ dieſe, wenn gleich ſchon aus
Herzensgrund beantwortete, Frage doch auch diesmal
nicht unbeantwortet. Er ſchwieg nicht, denn er war

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[190/0204] Unſer Herr, Jeſus that dieſelbe Frage an den Petrus noch einmahl, oder er that eine andre Frage an ihn auf dieſelbe Art. Er ſprach zum andernmal zu ihm: “Simon Johan- &q;na, haſt du mich lieb?” Im Grunde wars dieſelbe, es war wohl genau die Frage, die Jeſus gleich anfangs hatte thun wollen. Die Beſcheidenheit und die Zuver- ſicht, mit welcher Petrus ſie beantwortet hatte, machte eine weitere Einkleidung derſelben izt unnöthig. Das Herz des Jüngers war einmal getroffen: Jeſus konnte izt auf daſſelbe zureden. Dies empfand auch Petrus; der veränderte Ausdruk der Frage Jeſu hatte für ihn darum nichts Auffallendes; er ſchöpfte deswegen keinen Verdacht; er ward darüber nicht unmuthig: ſondern er antwortete ſo geradezu und ſo herzlich, wie vorhin: “Ja, Herr, du weiſſeſt, daß ich dich lieb habe.” Und Jeſus gab ihm wieder zur Antwort: “weide &q;meine Schafe!” Nun ſagte aber Jeſus noch einmal, zum drittenmal, zu ihm: “Simon Johanna, haſt du mich lieb?” Da, ſo erzählt Johannes, da ward Petrus traurig, daß er zum drittenmal zu ihm ſagte, “haſt du &q;mich lieb?” Wie treu iſt das erzählt, wie deutlich wird es aus dieſem unverſtellten, ungekünſtelten Vericht, daß Johannes ein Zeuge und ein theilnehmender Zeuge dieſes rührenden Auftritts geweſen ſei. Petrus ward traurig, daß Jeſus zum drittenmal, ſo, als ob er würklich in ihn ein Mistrauen ſezze, als ob er ſeine, doch ſo red- lich gethanene, Aeuſſerung bezweifele, als ob er ihn vor den übrigen Jüngern zu beſchämen ſuche, als ob er gleich anfangs eine Verneinung in ſeine Frage gelegt habe, die nur Petrus nicht gleich habe finden können, die er ihm nun noch recht fühlbar machen wolle, als ob er ihn an ſeine dreimalige Verläugnung habe erinnern wollen, zu ihm ſagte: “Simon Johanna, haſt du mich lieb?” Doch faßte er ſich, und ließ dieſe, wenn gleich ſchon aus Herzensgrund beantwortete, Frage doch auch diesmal nicht unbeantwortet. Er ſchwieg nicht, denn er war nicht

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/204>, abgerufen am 24.11.2024.