Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Unser Herr,
es den Jüngern sein in diesem bangfrohen Gefühl!
Gewis einer der lebendigsten Augenblikke ihres
Lebens!

Dort, in der lezten Abendgesellschaft, die Jesus
mit seinen Jüngern vor seinem Tode, hielt, frag-
ten, auf seine traurige Anzeige: "einer unter
&q;euch wird mich verrathen,
" ihn Alle:
&q;Herr, bin ichs?" Hier, in der lezten Morgen-
gesellschaft, die er, nach seiner Auferstehung, mit
ihnen hielt, in der er, wie schwebend, und doch ganz
körperlich, gegenwärtig war, fragte, auf die fröh-
liche Kundmachung seiner Kraft, ihn Keiner:
"Herr, bist dus?" Dort sezte er, nachdem das
Mahl vollendet war, die freundschaftlichste Feier
seines Gedächtnisses für alle ein: hier erneuerte
er, nach gehaltnem Mahl, sein Gedächtnis ganz
besonders für den Petrus.

Ihn traf die Frage des Herrn, doch so, als ob
sie ihn nicht träfe, so, als ob sie nur seinem Munde
entschlüpfte, so, als ob es keine Frage, als ob es
nur eine Erkundigung zärtlichster Liebe, die leicht
etwas Aengstliches annimmt, oder nur ein, ihm wie-
derholt abgefodertes, Geständnis, nur eine Auf-
foderung zur lezten feierlichen Zusage, oder ein An-
fang des Abschiednehmens, ein Wort der geistigen
Verbindung vor der persönlichen Trennung wäre,
die Frage: "Simon Johanna, hast du mich
&q;lieber, denn mich diese haben?
" Denn wenn
der Ausdruk dieser Frage in Ton und Geberde,
in Blik und Miene, nicht so war: wie heftig hätte

sie

Unſer Herr,
es den Jüngern ſein in dieſem bangfrohen Gefühl!
Gewis einer der lebendigſten Augenblikke ihres
Lebens!

Dort, in der lezten Abendgeſellſchaft, die Jeſus
mit ſeinen Jüngern vor ſeinem Tode, hielt, frag-
ten, auf ſeine traurige Anzeige: “einer unter
&q;euch wird mich verrathen,
” ihn Alle:
&q;Herr, bin ichs?” Hier, in der lezten Morgen-
geſellſchaft, die er, nach ſeiner Auferſtehung, mit
ihnen hielt, in der er, wie ſchwebend, und doch ganz
körperlich, gegenwärtig war, fragte, auf die fröh-
liche Kundmachung ſeiner Kraft, ihn Keiner:
Herr, biſt dus?” Dort ſezte er, nachdem das
Mahl vollendet war, die freundſchaftlichſte Feier
ſeines Gedächtniſſes für alle ein: hier erneuerte
er, nach gehaltnem Mahl, ſein Gedächtnis ganz
beſonders für den Petrus.

Ihn traf die Frage des Herrn, doch ſo, als ob
ſie ihn nicht träfe, ſo, als ob ſie nur ſeinem Munde
entſchlüpfte, ſo, als ob es keine Frage, als ob es
nur eine Erkundigung zärtlichſter Liebe, die leicht
etwas Aengſtliches annimmt, oder nur ein, ihm wie-
derholt abgefodertes, Geſtändnis, nur eine Auf-
foderung zur lezten feierlichen Zuſage, oder ein An-
fang des Abſchiednehmens, ein Wort der geiſtigen
Verbindung vor der perſönlichen Trennung wäre,
die Frage: “Simon Johanna, haſt du mich
&q;lieber, denn mich dieſe haben?
” Denn wenn
der Ausdruk dieſer Frage in Ton und Geberde,
in Blik und Miene, nicht ſo war: wie heftig hätte

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="184"/><fw place="top" type="header">Un&#x017F;er Herr,</fw><lb/>
es den Jüngern &#x017F;ein in die&#x017F;em bangfrohen Gefühl!<lb/>
Gewis einer der lebendig&#x017F;ten Augenblikke ihres<lb/>
Lebens!</p><lb/>
        <p>Dort, in der lezten Abendge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die Je&#x017F;us<lb/>
mit &#x017F;einen Jüngern vor &#x017F;einem Tode, hielt, frag-<lb/>
ten, auf &#x017F;eine traurige Anzeige: &#x201C;<hi rendition="#fr">einer unter<lb/>
&amp;q;euch wird mich verrathen,</hi>&#x201D; ihn Alle:<lb/>
&amp;q;<hi rendition="#fr">Herr, bin ichs?</hi>&#x201D; Hier, in der lezten Morgen-<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die er, nach &#x017F;einer Aufer&#x017F;tehung, mit<lb/>
ihnen hielt, in der er, wie &#x017F;chwebend, und doch ganz<lb/>
körperlich, gegenwärtig war, fragte, auf die fröh-<lb/>
liche Kundmachung &#x017F;einer Kraft, ihn Keiner:<lb/>
&#x201C;<hi rendition="#fr">Herr, bi&#x017F;t dus?</hi>&#x201D; Dort &#x017F;ezte er, nachdem das<lb/>
Mahl vollendet war, die freund&#x017F;chaftlich&#x017F;te Feier<lb/>
&#x017F;eines Gedächtni&#x017F;&#x017F;es für alle ein: hier erneuerte<lb/>
er, nach gehaltnem Mahl, &#x017F;ein Gedächtnis ganz<lb/>
be&#x017F;onders für den Petrus.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Ihn</hi> traf die Frage des Herrn, doch &#x017F;o, als ob<lb/>
&#x017F;ie ihn nicht <hi rendition="#fr">träfe,</hi> &#x017F;o, als ob &#x017F;ie nur &#x017F;einem Munde<lb/>
ent&#x017F;chlüpfte, &#x017F;o, als ob es <hi rendition="#fr">keine</hi> Frage, als ob es<lb/>
nur eine Erkundigung zärtlich&#x017F;ter Liebe, die leicht<lb/>
etwas Aeng&#x017F;tliches annimmt, oder nur ein, ihm wie-<lb/>
derholt abgefodertes, Ge&#x017F;tändnis, nur eine Auf-<lb/>
foderung zur lezten feierlichen Zu&#x017F;age, oder ein An-<lb/>
fang des Ab&#x017F;chiednehmens, ein Wort der gei&#x017F;tigen<lb/>
Verbindung vor der per&#x017F;önlichen Trennung wäre,<lb/>
die Frage: &#x201C;<hi rendition="#fr">Simon Johanna, ha&#x017F;t du mich<lb/>
&amp;q;lieber, denn mich die&#x017F;e haben?</hi>&#x201D; Denn wenn<lb/>
der Ausdruk die&#x017F;er Frage in Ton und Geberde,<lb/>
in Blik und Miene, nicht <hi rendition="#fr">&#x017F;o</hi> war: wie heftig hätte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0198] Unſer Herr, es den Jüngern ſein in dieſem bangfrohen Gefühl! Gewis einer der lebendigſten Augenblikke ihres Lebens! Dort, in der lezten Abendgeſellſchaft, die Jeſus mit ſeinen Jüngern vor ſeinem Tode, hielt, frag- ten, auf ſeine traurige Anzeige: “einer unter &q;euch wird mich verrathen,” ihn Alle: &q;Herr, bin ichs?” Hier, in der lezten Morgen- geſellſchaft, die er, nach ſeiner Auferſtehung, mit ihnen hielt, in der er, wie ſchwebend, und doch ganz körperlich, gegenwärtig war, fragte, auf die fröh- liche Kundmachung ſeiner Kraft, ihn Keiner: “Herr, biſt dus?” Dort ſezte er, nachdem das Mahl vollendet war, die freundſchaftlichſte Feier ſeines Gedächtniſſes für alle ein: hier erneuerte er, nach gehaltnem Mahl, ſein Gedächtnis ganz beſonders für den Petrus. Ihn traf die Frage des Herrn, doch ſo, als ob ſie ihn nicht träfe, ſo, als ob ſie nur ſeinem Munde entſchlüpfte, ſo, als ob es keine Frage, als ob es nur eine Erkundigung zärtlichſter Liebe, die leicht etwas Aengſtliches annimmt, oder nur ein, ihm wie- derholt abgefodertes, Geſtändnis, nur eine Auf- foderung zur lezten feierlichen Zuſage, oder ein An- fang des Abſchiednehmens, ein Wort der geiſtigen Verbindung vor der perſönlichen Trennung wäre, die Frage: “Simon Johanna, haſt du mich &q;lieber, denn mich dieſe haben?” Denn wenn der Ausdruk dieſer Frage in Ton und Geberde, in Blik und Miene, nicht ſo war: wie heftig hätte ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/198
Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/198>, abgerufen am 22.07.2024.