Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.Unser Herr, Willens Gottes aus- und in dasselbe beständigeinfließt; das ist die erste Grundzahl und die lezte Hauptsumma in der Rechnung des christ- lichen Gewissens mit Gott, das ist die Grundla- ge, und die Krone vom schönen Bau des christli- chen Glüks! Aber wie Thomas diese Worte aus- sprach, wie er sie dachte, wie er sie empfand, wie er diese Empfindung dachte: wer kann sie so ihm nachsprechen? Dem großen und seligen Um- fange des Gedankenkreises, der sich ihm mit ihnen eröfnete, kommt wohl Keiner in diesem Leben gleich, kommt vielleicht nur einer und der andre am allgemeinen Gerichtstage, bei der persönlichen Wiedererscheinung des Herrn, nahe. Vielleicht denkt, empfindet und sagt ein barmherziger Sünder, der eben izt unter seinen verurtheilenden Richterspruch sich beugen wollte, und über den nun ein barmherziges Gericht ergeht, dann so, wie Thomas: "mein Herr und mein Gott!!" Für ihn, den, im Glauben an Ihn nun vesten, fen-
Unſer Herr, Willens Gottes aus- und in daſſelbe beſtändigeinfließt; das iſt die erſte Grundzahl und die lezte Hauptſumma in der Rechnung des chriſt- lichen Gewiſſens mit Gott, das iſt die Grundla- ge, und die Krone vom ſchönen Bau des chriſtli- chen Glüks! Aber wie Thomas dieſe Worte aus- ſprach, wie er ſie dachte, wie er ſie empfand, wie er dieſe Empfindung dachte: wer kann ſie ſo ihm nachſprechen? Dem großen und ſeligen Um- fange des Gedankenkreiſes, der ſich ihm mit ihnen eröfnete, kommt wohl Keiner in dieſem Leben gleich, kommt vielleicht nur einer und der andre am allgemeinen Gerichtstage, bei der perſönlichen Wiedererſcheinung des Herrn, nahe. Vielleicht denkt, empfindet und ſagt ein barmherziger Sünder, der eben izt unter ſeinen verurtheilenden Richterſpruch ſich beugen wollte, und über den nun ein barmherziges Gericht ergeht, dann ſo, wie Thomas: “mein Herr und mein Gott!!” Für ihn, den, im Glauben an Ihn nun veſten, fen-
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Unſer Herr,
Willens Gottes aus- und in daſſelbe beſtändig
einfließt; das iſt die erſte Grundzahl und die
lezte Hauptſumma in der Rechnung des chriſt-
lichen Gewiſſens mit Gott, das iſt die Grundla-
ge, und die Krone vom ſchönen Bau des chriſtli-
chen Glüks! Aber wie Thomas dieſe Worte aus-
ſprach, wie er ſie dachte, wie er ſie empfand, wie
er dieſe Empfindung dachte: wer kann ſie ſo
ihm nachſprechen? Dem großen und ſeligen Um-
fange des Gedankenkreiſes, der ſich ihm mit ihnen
eröfnete, kommt wohl Keiner in dieſem Leben
gleich, kommt vielleicht nur einer und der andre
am allgemeinen Gerichtstage, bei der perſönlichen
Wiedererſcheinung des Herrn, nahe. Vielleicht
denkt, empfindet und ſagt ein barmherziger
Sünder, der eben izt unter ſeinen verurtheilenden
Richterſpruch ſich beugen wollte, und über den
nun ein barmherziges Gericht ergeht, dann ſo,
wie Thomas: “mein Herr und mein Gott!!”
Für ihn, den, im Glauben an Ihn nun veſten,
den, in anbetender Liebe zu Ihm nun gefeſſelten,
Mann, und für Alle, die damals Zeugen dieſes
Auftritts waren, und die es noch izt ſind, oder
doch ſein ſollten, ſprach Jeſus noch eine ſanfte
Lehre aus, die dem Thomas gewis izt nicht wie
ein Verweis klang: “dieweil du mich geſehen
&q;haſt, Thoma, ſo gläubeſt du. Selig ſind,
&q;die nicht ſehen, und doch gläuben.” O
ein wahres und großes Wort, unſern Zeitge-
noſſen leider! mehr zur Beſchämung, wie zum
Ruhm, doch allen gläubigen Verehrern des geof-
fen-
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