Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.in der Unterredung mit Thomas etc. Ton! -- er wandte sich an Thomas, mit Hand undMund. "Reiche denn, so sprach er, deine Fin- &q;ger her, und siehe meine Hände, und rei- &q;che deine Hand her, und lege sie in meine &q;Seite, und sei nicht ungläubig, sondern &q;gläubig." Wie mußte iedes dieser Worte des Herrn mit Centnergewigt dem Thomas aufs Herz fallen, und wie mußt er sich doch auf einmal so leicht ums Herz fühlen; wie mußte der Blik und der Ton, mit dem Jesus das zu ihm sagte, ihm durch die Sele fahren; wie mußt er wech- selsweise heiß und kalt, roth und bleich werden; wie mußte die Haut ihm schauern, vor übergroßer Furcht und Freude; wie mußte die Hand, die sich nach der Seite Jesu unwillkührlich hinwandte, ihm zur Seite fallen, im größesten und frohesten Erstaunen; wie mußt ihm die Sprache verge- hen, vor Schaam und Anbetung! "Mein Herr &q;und mein Gott!" das war alles, was er aufbringen konnte an Worten, das war aber auch alles, was sich aussagen ließ von tiefster, allgewaltigster Empfindung. Mehr konnte Tho- mas nicht sagen, als diese wenigen Worte, und etwas Größers konnt er in der Lage, worin er izt, Jesu gegen über, war, konnt er überall nicht sagen. Mein Herr und mein Gott, das ist Anrede iedes Christen an Christus, worin aller Glaube, alle Liebe, alle Hofnung des Chri- sten sich ausdrükt; das ist Sprache des klaresten und wahresten, dem Anschauen, dem persönli- chen Genusse, nahen Glaubens, das ist Be- kenntnis, was aus dem christlichen Thun des Wil-
in der Unterredung mit Thomas ꝛc. Ton! — er wandte ſich an Thomas, mit Hand undMund. “Reiche denn, ſo ſprach er, deine Fin- &q;ger her, und ſiehe meine Hände, und rei- &q;che deine Hand her, und lege ſie in meine &q;Seite, und ſei nicht ungläubig, ſondern &q;gläubig.” Wie mußte iedes dieſer Worte des Herrn mit Centnergewigt dem Thomas aufs Herz fallen, und wie mußt er ſich doch auf einmal ſo leicht ums Herz fühlen; wie mußte der Blik und der Ton, mit dem Jeſus das zu ihm ſagte, ihm durch die Sele fahren; wie mußt er wech- ſelsweiſe heiß und kalt, roth und bleich werden; wie mußte die Haut ihm ſchauern, vor übergroßer Furcht und Freude; wie mußte die Hand, die ſich nach der Seite Jeſu unwillkührlich hinwandte, ihm zur Seite fallen, im größeſten und froheſten Erſtaunen; wie mußt ihm die Sprache verge- hen, vor Schaam und Anbetung! “Mein Herr &q;und mein Gott!” das war alles, was er aufbringen konnte an Worten, das war aber auch alles, was ſich ausſagen ließ von tiefſter, allgewaltigſter Empfindung. Mehr konnte Tho- mas nicht ſagen, als dieſe wenigen Worte, und etwas Größers konnt er in der Lage, worin er izt, Jeſu gegen über, war, konnt er überall nicht ſagen. Mein Herr und mein Gott, das iſt Anrede iedes Chriſten an Chriſtus, worin aller Glaube, alle Liebe, alle Hofnung des Chri- ſten ſich ausdrükt; das iſt Sprache des klareſten und wahreſten, dem Anſchauen, dem perſönli- chen Genuſſe, nahen Glaubens, das iſt Be- kenntnis, was aus dem chriſtlichen Thun des Wil-
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in der Unterredung mit Thomas ꝛc.
Ton! — er wandte ſich an Thomas, mit Hand und
Mund. “Reiche denn, ſo ſprach er, deine Fin-
&q;ger her, und ſiehe meine Hände, und rei-
&q;che deine Hand her, und lege ſie in meine
&q;Seite, und ſei nicht ungläubig, ſondern
&q;gläubig.” Wie mußte iedes dieſer Worte des
Herrn mit Centnergewigt dem Thomas aufs
Herz fallen, und wie mußt er ſich doch auf einmal
ſo leicht ums Herz fühlen; wie mußte der Blik
und der Ton, mit dem Jeſus das zu ihm ſagte,
ihm durch die Sele fahren; wie mußt er wech-
ſelsweiſe heiß und kalt, roth und bleich werden;
wie mußte die Haut ihm ſchauern, vor übergroßer
Furcht und Freude; wie mußte die Hand, die
ſich nach der Seite Jeſu unwillkührlich hinwandte,
ihm zur Seite fallen, im größeſten und froheſten
Erſtaunen; wie mußt ihm die Sprache verge-
hen, vor Schaam und Anbetung! “Mein Herr
&q;und mein Gott!” das war alles, was er
aufbringen konnte an Worten, das war aber
auch alles, was ſich ausſagen ließ von tiefſter,
allgewaltigſter Empfindung. Mehr konnte Tho-
mas nicht ſagen, als dieſe wenigen Worte, und
etwas Größers konnt er in der Lage, worin er
izt, Jeſu gegen über, war, konnt er überall nicht
ſagen. Mein Herr und mein Gott, das iſt
Anrede iedes Chriſten an Chriſtus, worin aller
Glaube, alle Liebe, alle Hofnung des Chri-
ſten ſich ausdrükt; das iſt Sprache des klareſten
und wahreſten, dem Anſchauen, dem perſönli-
chen Genuſſe, nahen Glaubens, das iſt Be-
kenntnis, was aus dem chriſtlichen Thun des
Wil-
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