Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.Unser Herr, wohl nicht mit ihnen gegessen. Wer weiß, wchiner izt gegangen war, wie tief in die Einsamkeit, seit dem schreklichen Todestage seines Meisters, und mit welchen Gedanken der Schwermuth er izt iede menschliche Gesellschaft floh, auch die sei- ner Mitiünger, und vielleicht diese vorzüglich, weil ihr, schon trauriger, Anblik, noch mehr ihr betrübtes Gespräch, seinen Gram nur schärfte. Konnt er, bei der ersten Nachricht von dem Tode eines Freundes, der ihm doch lange nicht so nah gewesen war, wie Jesus, und die er noch dazu aus dessen, izt wohl vorzüglich sanft gezognen, ganz heiter sich öfnenden, Munde vernahm, so innig gerührt werden, daß er, auch in der, alles belebenden, Gesellschaft Jesu sich den Tod wünschte: wie mußt ihn dann die umständliche Nachricht von dem Tode Jesu, den er, sofern er ihn für Messias hielt, auch für ganz unsterblich gehalten hatte, die schrekliche Nachricht von alle dem, was vor, und bei, und nach dem Kreuzes- tode Jesu vorgegangen war, was izt noch unter den Priestern und im Volk darüber berathschlagt und geurtheilt ward, und was den Jüngern gewis nicht fremd blieb -- denn auch durch verschloßne Thüren dringt ia das Gerücht -- wie mußte das alles ihn angreifen, wie stark ihn erschüttern, wie tief ihn niederbeugen! Bestimmungs- und fast besinnungslos, wie er war, entfernte er sich wohl izt von den andern Jüngern, so oft und so weit er nur konnte, und gab auch ihren Tischge- nossen nicht mehr ab, denn es gab nun, in ihrer verwaisten Gesellschaft, für ihn keine Tischfreude mehr,
Unſer Herr, wohl nicht mit ihnen gegeſſen. Wer weiß, wchiner izt gegangen war, wie tief in die Einſamkeit, ſeit dem ſchreklichen Todestage ſeines Meiſters, und mit welchen Gedanken der Schwermuth er izt iede menſchliche Geſellſchaft floh, auch die ſei- ner Mitiünger, und vielleicht dieſe vorzüglich, weil ihr, ſchon trauriger, Anblik, noch mehr ihr betrübtes Geſpräch, ſeinen Gram nur ſchärfte. Konnt er, bei der erſten Nachricht von dem Tode eines Freundes, der ihm doch lange nicht ſo nah geweſen war, wie Jeſus, und die er noch dazu aus deſſen, izt wohl vorzüglich ſanft gezognen, ganz heiter ſich öfnenden, Munde vernahm, ſo innig gerührt werden, daß er, auch in der, alles belebenden, Geſellſchaft Jeſu ſich den Tod wünſchte: wie mußt ihn dann die umſtändliche Nachricht von dem Tode Jeſu, den er, ſofern er ihn für Meſſias hielt, auch für ganz unſterblich gehalten hatte, die ſchrekliche Nachricht von alle dem, was vor, und bei, und nach dem Kreuzes- tode Jeſu vorgegangen war, was izt noch unter den Prieſtern und im Volk darüber berathſchlagt und geurtheilt ward, und was den Jüngern gewis nicht fremd blieb — denn auch durch verſchloßne Thüren dringt ia das Gerücht — wie mußte das alles ihn angreifen, wie ſtark ihn erſchüttern, wie tief ihn niederbeugen! Beſtimmungs- und faſt beſinnungslos, wie er war, entfernte er ſich wohl izt von den andern Jüngern, ſo oft und ſo weit er nur konnte, und gab auch ihren Tiſchge- noſſen nicht mehr ab, denn es gab nun, in ihrer verwaisten Geſellſchaft, für ihn keine Tiſchfreude mehr,
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Unſer Herr,
wohl nicht mit ihnen gegeſſen. Wer weiß, wchin
er izt gegangen war, wie tief in die Einſamkeit,
ſeit dem ſchreklichen Todestage ſeines Meiſters,
und mit welchen Gedanken der Schwermuth er
izt iede menſchliche Geſellſchaft floh, auch die ſei-
ner Mitiünger, und vielleicht dieſe vorzüglich,
weil ihr, ſchon trauriger, Anblik, noch mehr ihr
betrübtes Geſpräch, ſeinen Gram nur ſchärfte.
Konnt er, bei der erſten Nachricht von dem Tode
eines Freundes, der ihm doch lange nicht ſo nah
geweſen war, wie Jeſus, und die er noch dazu
aus deſſen, izt wohl vorzüglich ſanft gezognen,
ganz heiter ſich öfnenden, Munde vernahm, ſo
innig gerührt werden, daß er, auch in der, alles
belebenden, Geſellſchaft Jeſu ſich den Tod
wünſchte: wie mußt ihn dann die umſtändliche
Nachricht von dem Tode Jeſu, den er, ſofern er
ihn für Meſſias hielt, auch für ganz unſterblich
gehalten hatte, die ſchrekliche Nachricht von alle
dem, was vor, und bei, und nach dem Kreuzes-
tode Jeſu vorgegangen war, was izt noch unter
den Prieſtern und im Volk darüber berathſchlagt
und geurtheilt ward, und was den Jüngern gewis
nicht fremd blieb — denn auch durch verſchloßne
Thüren dringt ia das Gerücht — wie mußte das
alles ihn angreifen, wie ſtark ihn erſchüttern, wie
tief ihn niederbeugen! Beſtimmungs- und faſt
beſinnungslos, wie er war, entfernte er ſich
wohl izt von den andern Jüngern, ſo oft und ſo
weit er nur konnte, und gab auch ihren Tiſchge-
noſſen nicht mehr ab, denn es gab nun, in ihrer
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