Darnach spricht er zu Thoma: "reiche deine &q;Finger her, und siehe meine Hände, und reiche &q;deine Hand her, und lege sie in meine Seite, und &q;sei nicht ungläubig, sondern gläubig." Thomas antwortete, und sprach zu ihm: "mein Herr und &q;mein Gott!" Spricht Jesus zu ihm: "dieweil &q;du mich gesehen hast, Thoma, so gläubest du. &q;Selig sind, die nicht sehen, und doch gläuben."
Thomas scheint, nach dem Plazze zu urtheilen, den sein Name in dem Verzeichnis der Zwölf- männer einnimmt, kurz vor, oder gleich nach Matthäus, dem ersten heiligen Geschichtschreiber, von dem Herrn zum Jünger und Apostel berufen worden zu sein. In den drei ersten Evangelien wird seiner nicht weiter gedacht. Nur Johannes wirft einiges Licht auf den Charakter dieses Man- nes, und dem zufolge, was dieser Evangelist gele- gentlich von ihm anführt, scheint er etwas still und verschlossen, etwas mistrauisch und furchtsam, aber doch im Grunde ein herzensguter Mann gewesen zu sein, der, wenn sein Gemüth einmal in Bewe- gung gesezt ward, dann auch sehr tief und stark gerührt werden konnte.
Das erste Wort, was wir aus seinem Munde hören, bezeichnet ihn gleich von dieser Seite, und nimmt gewis ieden Leser, der selbst reiner Empfin- dung fähig ist, für ihn ein. Jesus war nämlich mit ihm und den übrigen Jüngern auf dem Wege nach Bethanien, um daselbst ihren gemeinschaftlichen
Freund,
L 2
in der Unterredung mit Thomas ꝛc.
Darnach ſpricht er zu Thoma: “reiche deine &q;Finger her, und ſiehe meine Hände, und reiche &q;deine Hand her, und lege ſie in meine Seite, und &q;ſei nicht ungläubig, ſondern gläubig.” Thomas antwortete, und ſprach zu ihm: “mein Herr und &q;mein Gott!” Spricht Jeſus zu ihm: “dieweil &q;du mich geſehen haſt, Thoma, ſo gläubeſt du. &q;Selig ſind, die nicht ſehen, und doch gläuben.”
Thomas ſcheint, nach dem Plazze zu urtheilen, den ſein Name in dem Verzeichnis der Zwölf- männer einnimmt, kurz vor, oder gleich nach Matthäus, dem erſten heiligen Geſchichtſchreiber, von dem Herrn zum Jünger und Apoſtel berufen worden zu ſein. In den drei erſten Evangelien wird ſeiner nicht weiter gedacht. Nur Johannes wirft einiges Licht auf den Charakter dieſes Man- nes, und dem zufolge, was dieſer Evangeliſt gele- gentlich von ihm anführt, ſcheint er etwas ſtill und verſchloſſen, etwas mistrauiſch und furchtſam, aber doch im Grunde ein herzensguter Mann geweſen zu ſein, der, wenn ſein Gemüth einmal in Bewe- gung geſezt ward, dann auch ſehr tief und ſtark gerührt werden konnte.
Das erſte Wort, was wir aus ſeinem Munde hören, bezeichnet ihn gleich von dieſer Seite, und nimmt gewis ieden Leſer, der ſelbſt reiner Empfin- dung fähig iſt, für ihn ein. Jeſus war nämlich mit ihm und den übrigen Jüngern auf dem Wege nach Bethanien, um daſelbſt ihren gemeinſchaftlichen
Freund,
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in der Unterredung mit Thomas ꝛc.
Darnach ſpricht er zu Thoma: “reiche deine
&q;Finger her, und ſiehe meine Hände, und reiche
&q;deine Hand her, und lege ſie in meine Seite, und
&q;ſei nicht ungläubig, ſondern gläubig.” Thomas
antwortete, und ſprach zu ihm: “mein Herr und
&q;mein Gott!” Spricht Jeſus zu ihm: “dieweil
&q;du mich geſehen haſt, Thoma, ſo gläubeſt du.
&q;Selig ſind, die nicht ſehen, und doch gläuben.”
Thomas ſcheint, nach dem Plazze zu urtheilen,
den ſein Name in dem Verzeichnis der Zwölf-
männer einnimmt, kurz vor, oder gleich nach
Matthäus, dem erſten heiligen Geſchichtſchreiber,
von dem Herrn zum Jünger und Apoſtel berufen
worden zu ſein. In den drei erſten Evangelien
wird ſeiner nicht weiter gedacht. Nur Johannes
wirft einiges Licht auf den Charakter dieſes Man-
nes, und dem zufolge, was dieſer Evangeliſt gele-
gentlich von ihm anführt, ſcheint er etwas ſtill und
verſchloſſen, etwas mistrauiſch und furchtſam, aber
doch im Grunde ein herzensguter Mann geweſen
zu ſein, der, wenn ſein Gemüth einmal in Bewe-
gung geſezt ward, dann auch ſehr tief und ſtark
gerührt werden konnte.
Das erſte Wort, was wir aus ſeinem Munde
hören, bezeichnet ihn gleich von dieſer Seite, und
nimmt gewis ieden Leſer, der ſelbſt reiner Empfin-
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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/177>, abgerufen am 22.07.2024.
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