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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr,
Tode sogleich in den Himmel hinauf gefahren?
und ruhte er dort in der vollkommensten Selig-
während daß die unvollkommne Ruh seines Kör-
pers im Grabe nicht ungestört blieb? Auch das
wohl schwerlich. Denn wie? den Wohnplaz der
Seligen hätt er betreten, in ihre Reihen sich dar-
gestellt, als erhöheter Weltheiland, als, gleich-
sam wieder eingesezter, Thronerbe Gottes; in
den Himmel wär er gegangen, noch eh er sein
großes Werk auf Erden ganz vollendet, noch
eh er durch seine Auferstehung sich als den Be-
zwinger der zwingendsten Nothwendigkeit, als
den Besieger des lezten Feindes, des Todes, und
aller seiner Feinde gezeigt hätte? gekrönt wär
er also worden noch vor dem erfochtnen Siege?
Und auch dann wäre sein persönlicher Eingang in
den Himmel nichts weiter, als eine, wieder vor-
übergehende, Erscheinung gewesen? er hätte
sich dem Himmel nur gezeigt, und wäre wieder
zur Erde herab, wieder in seinen, schon abgelegten,
irdischen Körper hinein, und dann erst wieder,
nach Verlauf einiger Wochen, mit Leib und Sele
gen Himmel gefahren. Und er, der eben izt
vom Himmel zur Erde gekehrt wäre, Er, in
dessen Munde nie ein Betrug, nie eine Zweideu-
tigkeit, nie eine Halbwahrheit ist erfunden wor-
den, hätte zu der, ihn suchenden Freundin, die,
vor Freuden, ihn gefunden zu haben, sogleich ihm
zu Füßen fiel, gesagt: erweis mir diese Ehre
nicht, denn noch bin ich nicht aufgefahren
zu meinem Vater?
hätte sie, mit der, ihn, und
sie, und alle seine Freunde tröstenden, Verheissung

ent-

Unſer Herr,
Tode ſogleich in den Himmel hinauf gefahren?
und ruhte er dort in der vollkommenſten Selig-
während daß die unvollkommne Ruh ſeines Kör-
pers im Grabe nicht ungeſtört blieb? Auch das
wohl ſchwerlich. Denn wie? den Wohnplaz der
Seligen hätt er betreten, in ihre Reihen ſich dar-
geſtellt, als erhöheter Weltheiland, als, gleich-
ſam wieder eingeſezter, Thronerbe Gottes; in
den Himmel wär er gegangen, noch eh er ſein
großes Werk auf Erden ganz vollendet, noch
eh er durch ſeine Auferſtehung ſich als den Be-
zwinger der zwingendſten Nothwendigkeit, als
den Beſieger des lezten Feindes, des Todes, und
aller ſeiner Feinde gezeigt hätte? gekrönt wär
er alſo worden noch vor dem erfochtnen Siege?
Und auch dann wäre ſein perſönlicher Eingang in
den Himmel nichts weiter, als eine, wieder vor-
übergehende, Erſcheinung geweſen? er hätte
ſich dem Himmel nur gezeigt, und wäre wieder
zur Erde herab, wieder in ſeinen, ſchon abgelegten,
irdiſchen Körper hinein, und dann erſt wieder,
nach Verlauf einiger Wochen, mit Leib und Sele
gen Himmel gefahren. Und er, der eben izt
vom Himmel zur Erde gekehrt wäre, Er, in
deſſen Munde nie ein Betrug, nie eine Zweideu-
tigkeit, nie eine Halbwahrheit iſt erfunden wor-
den, hätte zu der, ihn ſuchenden Freundin, die,
vor Freuden, ihn gefunden zu haben, ſogleich ihm
zu Füßen fiel, geſagt: erweis mir dieſe Ehre
nicht, denn noch bin ich nicht aufgefahren
zu meinem Vater?
hätte ſie, mit der, ihn, und
ſie, und alle ſeine Freunde tröſtenden, Verheiſſung

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[124/0138] Unſer Herr, Tode ſogleich in den Himmel hinauf gefahren? und ruhte er dort in der vollkommenſten Selig- während daß die unvollkommne Ruh ſeines Kör- pers im Grabe nicht ungeſtört blieb? Auch das wohl ſchwerlich. Denn wie? den Wohnplaz der Seligen hätt er betreten, in ihre Reihen ſich dar- geſtellt, als erhöheter Weltheiland, als, gleich- ſam wieder eingeſezter, Thronerbe Gottes; in den Himmel wär er gegangen, noch eh er ſein großes Werk auf Erden ganz vollendet, noch eh er durch ſeine Auferſtehung ſich als den Be- zwinger der zwingendſten Nothwendigkeit, als den Beſieger des lezten Feindes, des Todes, und aller ſeiner Feinde gezeigt hätte? gekrönt wär er alſo worden noch vor dem erfochtnen Siege? Und auch dann wäre ſein perſönlicher Eingang in den Himmel nichts weiter, als eine, wieder vor- übergehende, Erſcheinung geweſen? er hätte ſich dem Himmel nur gezeigt, und wäre wieder zur Erde herab, wieder in ſeinen, ſchon abgelegten, irdiſchen Körper hinein, und dann erſt wieder, nach Verlauf einiger Wochen, mit Leib und Sele gen Himmel gefahren. Und er, der eben izt vom Himmel zur Erde gekehrt wäre, Er, in deſſen Munde nie ein Betrug, nie eine Zweideu- tigkeit, nie eine Halbwahrheit iſt erfunden wor- den, hätte zu der, ihn ſuchenden Freundin, die, vor Freuden, ihn gefunden zu haben, ſogleich ihm zu Füßen fiel, geſagt: erweis mir dieſe Ehre nicht, denn noch bin ich nicht aufgefahren zu meinem Vater? hätte ſie, mit der, ihn, und ſie, und alle ſeine Freunde tröſtenden, Verheiſſung ent-

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/138>, abgerufen am 15.11.2024.