Pilatus verurtheilte Jesum zuerst dahin, daß ihm, die bei den Juden gewöhnlichen Geisselhiebe ertheilt werden sollten. Vielleicht glaubte er da- durch die, izt so erbitterten, Gemüther der Juden zu besänftigen, und ihren Blutdurst zu stillen. So dachte er dann als ein muthiger, freier Rö- mer, aber so dachte er nicht im Geist des iüdi- schen Volks, wenigstens irrte er sich mit diesen Vorstellungen sehr an ihm. Auch die Mishand- lungen, welche Jesus izt von den römischen Land- soldaten, die allerdings aus dem Hefen des Pö- bels sein mußten, erfuhr, und denen wohl selbst der Statthalter izt nicht füglich wehren konnte, suchte Pilatus noch zu dem Vortheile Jesu anzu- wenden. So halbnakt, wie die Soldaten ihn aus- gezogen, so wund, wie sie ihn geschlagen, so übel, wie sie sein, noch immer in hohem Gleichmuth der Sele ruhiges, Antliz zugerichtet hatten; mit ei- ner, aus Dornen zusammengeflochtnen, spizzigen Krone auf dem Haupt, mit einem alten Purpur- mantel um die Schultern, mit einem Stabe in der Hand, so ließ Pilatus Jesum, nachdem er sthon ein Vorwort für ihn eingelegt hatte, aus dem Gerichtshause der, vor demselben versammelten, Menge von Zuschauern vorführen, und indem er ihn so öffentlich hinstellte, trat er selbst heraus, mit den Worten: seht, welch ein Mensch!
In dieser, so beweglichen, kurzen Anrede des Pilatus scheint mir nichts Zweideutiges mehr zu liegen. Ich find es klar, daß Pilatus hier iu sehr reiner Absicht und tief aus dem Herzen zu dem Volk geredet, und daß er durch diese Dar- stellung Jesu, und durch seinen, sie begleitenden,
Aus-
gegeiſſelt und gekreuzigt.
Pilatus verurtheilte Jeſum zuerſt dahin, daß ihm, die bei den Juden gewöhnlichen Geiſſelhiebe ertheilt werden ſollten. Vielleicht glaubte er da- durch die, izt ſo erbitterten, Gemüther der Juden zu beſänftigen, und ihren Blutdurſt zu ſtillen. So dachte er dann als ein muthiger, freier Rö- mer, aber ſo dachte er nicht im Geiſt des iüdi- ſchen Volks, wenigſtens irrte er ſich mit dieſen Vorſtellungen ſehr an ihm. Auch die Mishand- lungen, welche Jeſus izt von den römiſchen Land- ſoldaten, die allerdings aus dem Hefen des Pö- bels ſein mußten, erfuhr, und denen wohl ſelbſt der Statthalter izt nicht füglich wehren konnte, ſuchte Pilatus noch zu dem Vortheile Jeſu anzu- wenden. So halbnakt, wie die Soldaten ihn aus- gezogen, ſo wund, wie ſie ihn geſchlagen, ſo übel, wie ſie ſein, noch immer in hohem Gleichmuth der Sele ruhiges, Antliz zugerichtet hatten; mit ei- ner, aus Dornen zuſammengeflochtnen, ſpizzigen Krone auf dem Haupt, mit einem alten Purpur- mantel um die Schultern, mit einem Stabe in der Hand, ſo ließ Pilatus Jeſum, nachdem er ſthon ein Vorwort für ihn eingelegt hatte, aus dem Gerichtshauſe der, vor demſelben verſammelten, Menge von Zuſchauern vorführen, und indem er ihn ſo öffentlich hinſtellte, trat er ſelbſt heraus, mit den Worten: ſeht, welch ein Menſch!
In dieſer, ſo beweglichen, kurzen Anrede des Pilatus ſcheint mir nichts Zweideutiges mehr zu liegen. Ich find es klar, daß Pilatus hier iu ſehr reiner Abſicht und tief aus dem Herzen zu dem Volk geredet, und daß er durch dieſe Dar- ſtellung Jeſu, und durch ſeinen, ſie begleitenden,
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gegeiſſelt und gekreuzigt.
Pilatus verurtheilte Jeſum zuerſt dahin, daß
ihm, die bei den Juden gewöhnlichen Geiſſelhiebe
ertheilt werden ſollten. Vielleicht glaubte er da-
durch die, izt ſo erbitterten, Gemüther der Juden
zu beſänftigen, und ihren Blutdurſt zu ſtillen.
So dachte er dann als ein muthiger, freier Rö-
mer, aber ſo dachte er nicht im Geiſt des iüdi-
ſchen Volks, wenigſtens irrte er ſich mit dieſen
Vorſtellungen ſehr an ihm. Auch die Mishand-
lungen, welche Jeſus izt von den römiſchen Land-
ſoldaten, die allerdings aus dem Hefen des Pö-
bels ſein mußten, erfuhr, und denen wohl ſelbſt
der Statthalter izt nicht füglich wehren konnte,
ſuchte Pilatus noch zu dem Vortheile Jeſu anzu-
wenden. So halbnakt, wie die Soldaten ihn aus-
gezogen, ſo wund, wie ſie ihn geſchlagen, ſo übel,
wie ſie ſein, noch immer in hohem Gleichmuth der
Sele ruhiges, Antliz zugerichtet hatten; mit ei-
ner, aus Dornen zuſammengeflochtnen, ſpizzigen
Krone auf dem Haupt, mit einem alten Purpur-
mantel um die Schultern, mit einem Stabe in
der Hand, ſo ließ Pilatus Jeſum, nachdem er ſthon
ein Vorwort für ihn eingelegt hatte, aus dem
Gerichtshauſe der, vor demſelben verſammelten,
Menge von Zuſchauern vorführen, und indem er
ihn ſo öffentlich hinſtellte, trat er ſelbſt heraus,
mit den Worten: ſeht, welch ein Menſch!
In dieſer, ſo beweglichen, kurzen Anrede des
Pilatus ſcheint mir nichts Zweideutiges mehr
zu liegen. Ich find es klar, daß Pilatus hier
iu ſehr reiner Abſicht und tief aus dem Herzen zu
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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/121>, abgerufen am 22.07.2024.
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