Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite
vor Pilatus Richterstuhl.

Um der Verlegenheit, worin er nun wohl
schon war, zu entgehen, that er, was er eigentlich
nicht hätte thun sollen, er schikte Jesum zu Herodes,
dem Regenten von Galiläa, der sich eben izt zu
Jerusalem aufhielt, wie er unter andern gehört
hatte, Jesus sei, was er doch nicht war, ein
Galiläer. Er erreichte aber dadurch nur die
Absicht, die er wohl auch hatte, sich den Herodes,
der sonst sein Freund nicht war, zu verpflichten,
Herodes freute sich zwar, den Mann, von dem
er schon so viel Wunderdinge gehört, und den
er, in seiner fürstlichen Albernheit und nach seiner
abergläubischen Furchtsamkeit, für den, von ihm
enthaupteten, Johannes ausgegeben hatte, nun
persönlich vor sich zu sehn; er ließ es darum auch
nicht an Fragen fehlen: allein diesem Fuchse zu
antworten war ganz unter der Würde Jesu. Der
kleine Fürst, den das doch verdroß, daß der
Gefangne, der schon in des römischen Statt-
halters
Händen gewesen war, ihm nicht einmal
Rede stehn wollte, trieb nun seinen Muthwillen
mit ihm, und gab ihn auch dem groben Gespötte
seines müssigen Hofgesindels Preis. So ward
denn Jesus, gebunden, von Hannas nach Kaiphas,
von Kaiphas nach Pilatus, von Pilatus nach
Herodes, und von Herodes wieder nach Pilatus
gebracht. So leicht ward es denn doch auch den
fühllosesten Menschen, auch den entschlossensten
Böswigtern nicht, die helleste Unschuld in die
tiefste Grube zu stürzen, und eigentlich bereiteten sie
sich nur den Fall; Er und seine Lehre schienen nur,
auch nur auf ganz kurze Zeit, zu sinken, und nahmen
einen desto höhern und kräftigern Schwung.

Noch
vor Pilatus Richterſtuhl.

Um der Verlegenheit, worin er nun wohl
ſchon war, zu entgehen, that er, was er eigentlich
nicht hätte thun ſollen, er ſchikte Jeſum zu Herodes,
dem Regenten von Galiläa, der ſich eben izt zu
Jeruſalem aufhielt, wie er unter andern gehört
hatte, Jeſus ſei, was er doch nicht war, ein
Galiläer. Er erreichte aber dadurch nur die
Abſicht, die er wohl auch hatte, ſich den Herodes,
der ſonſt ſein Freund nicht war, zu verpflichten,
Herodes freute ſich zwar, den Mann, von dem
er ſchon ſo viel Wunderdinge gehört, und den
er, in ſeiner fürſtlichen Albernheit und nach ſeiner
abergläubiſchen Furchtſamkeit, für den, von ihm
enthaupteten, Johannes ausgegeben hatte, nun
perſönlich vor ſich zu ſehn; er ließ es darum auch
nicht an Fragen fehlen: allein dieſem Fuchſe zu
antworten war ganz unter der Würde Jeſu. Der
kleine Fürſt, den das doch verdroß, daß der
Gefangne, der ſchon in des römiſchen Statt-
halters
Händen geweſen war, ihm nicht einmal
Rede ſtehn wollte, trieb nun ſeinen Muthwillen
mit ihm, und gab ihn auch dem groben Geſpötte
ſeines müſſigen Hofgeſindels Preis. So ward
denn Jeſus, gebunden, von Hannas nach Kaiphas,
von Kaiphas nach Pilatus, von Pilatus nach
Herodes, und von Herodes wieder nach Pilatus
gebracht. So leicht ward es denn doch auch den
fühlloſeſten Menſchen, auch den entſchloſſenſten
Böswigtern nicht, die helleſte Unſchuld in die
tiefſte Grube zu ſtürzen, und eigentlich bereiteten ſie
ſich nur den Fall; Er und ſeine Lehre ſchienen nur,
auch nur auf ganz kurze Zeit, zu ſinken, und nahmen
einen deſto höhern und kräftigern Schwung.

Noch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0107" n="93"/>
        <fw place="top" type="header">vor Pilatus Richter&#x017F;tuhl.</fw><lb/>
        <p>Um der Verlegenheit, worin er nun wohl<lb/>
&#x017F;chon war, zu entgehen, that er, was er eigentlich<lb/>
nicht hätte thun &#x017F;ollen, er &#x017F;chikte Je&#x017F;um zu Herodes,<lb/>
dem Regenten von Galiläa, der &#x017F;ich eben izt zu<lb/>
Jeru&#x017F;alem aufhielt, wie er unter andern gehört<lb/>
hatte, Je&#x017F;us &#x017F;ei, was er doch nicht war, ein<lb/>
Galiläer. Er erreichte aber dadurch nur <hi rendition="#fr">die</hi><lb/>
Ab&#x017F;icht, die er wohl <hi rendition="#fr">auch</hi> hatte, &#x017F;ich den Herodes,<lb/>
der &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ein Freund nicht war, zu verpflichten,<lb/>
Herodes freute &#x017F;ich zwar, den Mann, von dem<lb/>
er &#x017F;chon &#x017F;o viel <hi rendition="#fr">Wunderdinge</hi> gehört, und den<lb/>
er, in &#x017F;einer für&#x017F;tlichen Albernheit und nach &#x017F;einer<lb/>
abergläubi&#x017F;chen Furcht&#x017F;amkeit, für den, von ihm<lb/>
enthaupteten, Johannes ausgegeben hatte, nun<lb/>
per&#x017F;önlich vor &#x017F;ich zu &#x017F;ehn; er ließ es darum auch<lb/>
nicht an Fragen fehlen: allein die&#x017F;em Fuch&#x017F;e zu<lb/>
antworten war ganz unter der Würde Je&#x017F;u. Der<lb/>
kleine Für&#x017F;t, den das doch verdroß, daß der<lb/><hi rendition="#fr">Gefangne,</hi> der &#x017F;chon in des <hi rendition="#fr">römi&#x017F;chen Statt-<lb/>
halters</hi> Händen gewe&#x017F;en war, ihm nicht einmal<lb/>
Rede &#x017F;tehn wollte, trieb nun &#x017F;einen Muthwillen<lb/>
mit ihm, und gab ihn auch dem groben Ge&#x017F;pötte<lb/>
&#x017F;eines mü&#x017F;&#x017F;igen Hofge&#x017F;indels Preis. So ward<lb/>
denn Je&#x017F;us, gebunden, von Hannas nach Kaiphas,<lb/>
von Kaiphas nach Pilatus, von Pilatus nach<lb/>
Herodes, und von Herodes wieder nach Pilatus<lb/>
gebracht. So leicht ward es denn doch auch den<lb/>
fühllo&#x017F;e&#x017F;ten Men&#x017F;chen, auch den ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten<lb/>
Böswigtern nicht, die helle&#x017F;te Un&#x017F;chuld in die<lb/>
tief&#x017F;te Grube zu &#x017F;türzen, und eigentlich bereiteten &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi> nur den Fall; Er und &#x017F;eine Lehre &#x017F;chienen nur,<lb/>
auch nur auf ganz kurze Zeit, zu &#x017F;inken, und nahmen<lb/>
einen de&#x017F;to höhern und kräftigern Schwung.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Noch</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0107] vor Pilatus Richterſtuhl. Um der Verlegenheit, worin er nun wohl ſchon war, zu entgehen, that er, was er eigentlich nicht hätte thun ſollen, er ſchikte Jeſum zu Herodes, dem Regenten von Galiläa, der ſich eben izt zu Jeruſalem aufhielt, wie er unter andern gehört hatte, Jeſus ſei, was er doch nicht war, ein Galiläer. Er erreichte aber dadurch nur die Abſicht, die er wohl auch hatte, ſich den Herodes, der ſonſt ſein Freund nicht war, zu verpflichten, Herodes freute ſich zwar, den Mann, von dem er ſchon ſo viel Wunderdinge gehört, und den er, in ſeiner fürſtlichen Albernheit und nach ſeiner abergläubiſchen Furchtſamkeit, für den, von ihm enthaupteten, Johannes ausgegeben hatte, nun perſönlich vor ſich zu ſehn; er ließ es darum auch nicht an Fragen fehlen: allein dieſem Fuchſe zu antworten war ganz unter der Würde Jeſu. Der kleine Fürſt, den das doch verdroß, daß der Gefangne, der ſchon in des römiſchen Statt- halters Händen geweſen war, ihm nicht einmal Rede ſtehn wollte, trieb nun ſeinen Muthwillen mit ihm, und gab ihn auch dem groben Geſpötte ſeines müſſigen Hofgeſindels Preis. So ward denn Jeſus, gebunden, von Hannas nach Kaiphas, von Kaiphas nach Pilatus, von Pilatus nach Herodes, und von Herodes wieder nach Pilatus gebracht. So leicht ward es denn doch auch den fühlloſeſten Menſchen, auch den entſchloſſenſten Böswigtern nicht, die helleſte Unſchuld in die tiefſte Grube zu ſtürzen, und eigentlich bereiteten ſie ſich nur den Fall; Er und ſeine Lehre ſchienen nur, auch nur auf ganz kurze Zeit, zu ſinken, und nahmen einen deſto höhern und kräftigern Schwung. Noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/107
Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/107>, abgerufen am 24.11.2024.