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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
stärksten anerkennen mußten, war ia doch ein
Heide, und sie wollten nun bald ihr heiliges
Osterfest begehen. An diesem einen Zuge wird
noch izt der ganze Heuchler kenntlich. Er macht sich
kein Gewissen draus, auf dem Kirchwege einen zu
hintergehn, oder, so wie er aus der Beichte
kommt, seinen gewohnten Betrug im Handel
und Wandel fortzusezzen: aber er rechnet es sich
zur Sünde an, alsdann Besuch zu geben oder
zu nehmen, oder einer öffentlichen, auch noch so
erlaubten, Lustbarkeit beizuwohnen.

Draussen vor Pilatus Pallast blieben die
Priester, den gefangnen Jesus in ihrer Mitte,
stehen, hätten sie immer da stehen und lauren
mögen die schändlichen Laurer! aber Pilatus, der
zu viel römische Sitte an sich hatte, oder dem der
Schwarm vor seinem Hause wohl zu gros, oder
der Lärm, den er verursachte, zu bedeutend schien,
hatte die Höflichkeit, sich zu diesem Priester- und
Volksgesindel heraus zu begeben. Das machte
beide noch übermüthiger, denn trozzig klingt die
Antwort, die sie nun dem, ganz richtig fragenden,
Richter geben.

Vielleicht daß Pilatus in diesem Augenblik
schon den Vorsaz faßte, diesmal in das, auch
noch so ungestüme, Begehren der Priester und
des, ihnen anhängenden, Pöbels, Jesum, den
er wohl immer für einen eignen Weisen hielt, zum
Tode zu verurtheilen, nicht zu willigen. Mogte
er, bei der Geschäftsmenge und bei der verwirrten
Lage, worin er lebte, oder bei der Muße, die
er sich zu verschaffen, und bei der Ruh, worin
er sie hinzubringen wußte, viel oder wenig von

Jesu

Unſer Herr
ſtärkſten anerkennen mußten, war ia doch ein
Heide, und ſie wollten nun bald ihr heiliges
Oſterfeſt begehen. An dieſem einen Zuge wird
noch izt der ganze Heuchler kenntlich. Er macht ſich
kein Gewiſſen draus, auf dem Kirchwege einen zu
hintergehn, oder, ſo wie er aus der Beichte
kommt, ſeinen gewohnten Betrug im Handel
und Wandel fortzuſezzen: aber er rechnet es ſich
zur Sünde an, alsdann Beſuch zu geben oder
zu nehmen, oder einer öffentlichen, auch noch ſo
erlaubten, Luſtbarkeit beizuwohnen.

Drauſſen vor Pilatus Pallaſt blieben die
Prieſter, den gefangnen Jeſus in ihrer Mitte,
ſtehen, hätten ſie immer da ſtehen und lauren
mögen die ſchändlichen Laurer! aber Pilatus, der
zu viel römiſche Sitte an ſich hatte, oder dem der
Schwarm vor ſeinem Hauſe wohl zu gros, oder
der Lärm, den er verurſachte, zu bedeutend ſchien,
hatte die Höflichkeit, ſich zu dieſem Prieſter- und
Volksgeſindel heraus zu begeben. Das machte
beide noch übermüthiger, denn trozzig klingt die
Antwort, die ſie nun dem, ganz richtig fragenden,
Richter geben.

Vielleicht daß Pilatus in dieſem Augenblik
ſchon den Vorſaz faßte, diesmal in das, auch
noch ſo ungeſtüme, Begehren der Prieſter und
des, ihnen anhängenden, Pöbels, Jeſum, den
er wohl immer für einen eignen Weiſen hielt, zum
Tode zu verurtheilen, nicht zu willigen. Mogte
er, bei der Geſchäftsmenge und bei der verwirrten
Lage, worin er lebte, oder bei der Muße, die
er ſich zu verſchaffen, und bei der Ruh, worin
er ſie hinzubringen wußte, viel oder wenig von

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[90/0104] Unſer Herr ſtärkſten anerkennen mußten, war ia doch ein Heide, und ſie wollten nun bald ihr heiliges Oſterfeſt begehen. An dieſem einen Zuge wird noch izt der ganze Heuchler kenntlich. Er macht ſich kein Gewiſſen draus, auf dem Kirchwege einen zu hintergehn, oder, ſo wie er aus der Beichte kommt, ſeinen gewohnten Betrug im Handel und Wandel fortzuſezzen: aber er rechnet es ſich zur Sünde an, alsdann Beſuch zu geben oder zu nehmen, oder einer öffentlichen, auch noch ſo erlaubten, Luſtbarkeit beizuwohnen. Drauſſen vor Pilatus Pallaſt blieben die Prieſter, den gefangnen Jeſus in ihrer Mitte, ſtehen, hätten ſie immer da ſtehen und lauren mögen die ſchändlichen Laurer! aber Pilatus, der zu viel römiſche Sitte an ſich hatte, oder dem der Schwarm vor ſeinem Hauſe wohl zu gros, oder der Lärm, den er verurſachte, zu bedeutend ſchien, hatte die Höflichkeit, ſich zu dieſem Prieſter- und Volksgeſindel heraus zu begeben. Das machte beide noch übermüthiger, denn trozzig klingt die Antwort, die ſie nun dem, ganz richtig fragenden, Richter geben. Vielleicht daß Pilatus in dieſem Augenblik ſchon den Vorſaz faßte, diesmal in das, auch noch ſo ungeſtüme, Begehren der Prieſter und des, ihnen anhängenden, Pöbels, Jeſum, den er wohl immer für einen eignen Weiſen hielt, zum Tode zu verurtheilen, nicht zu willigen. Mogte er, bei der Geſchäftsmenge und bei der verwirrten Lage, worin er lebte, oder bei der Muße, die er ſich zu verſchaffen, und bei der Ruh, worin er ſie hinzubringen wußte, viel oder wenig von Jeſu

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/104>, abgerufen am 25.11.2024.