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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Die Gerste.
Die kleine vierzeilige Gerste
§. 91.

hält man dem schwächeren Boden angemessener und nennt sie deshalb auch zu-
weilen Sandgerste. Sie kann auf lehmigem Sandboden, der reich genug
ist, gut gerathen, wenn ihr die Witterung günstig ist, in welchem Falle aber
auch die große Gerste darauf gedeihet.

Der Nahme vierzeilig ist eigentlich unrichtig, denn sie hat, wenn sie voll
gewachsen ist, sechs Zeilen. Richtiger würde man sie vierseitige oder eckige
Gerste nennen, denn ihre Aehre bildet ein Viereck mit zwei breiten und zwei
schmalern Seiten.

Sie ist, wenn sie nicht allmählig in ihrer Reproduktion abgehärtet wird
(was möglich zu seyn scheint und wodurch eine Varietät, die zwischen dieser
und der sechszeiligen Gerste in der Mitte stehet, wie wir unten hören werden,
gebildet wird), ein sehr zartes Gewächs, was von einem Nachtfroste fast zer-
stört wird, und von jeder ungünstigen Witterung sehr leidet. Sie erfordert
aber nur eine kurze Zeit zu ihrer Vegetation, und kann, wie man sagt, in
9 bis 10 Wochen aus dem Sacke und in den Sack kommen; weswegen man
sie oft erst gegen die Mitte des Junius säet. Trifft sie dann eine warme und
gehörig feuchte Witterung, so kann sie besser werden, wie die große Gerste,
die in ihrer längern Vegetationsperiode seltner einer so durchaus günstigen Wit-
terung genießt. Bei dem besten Anscheine aber schlägt sie oft unerwartet zu-
rück, wenn es ihr beim Austreiben der Aehren an Feuchtigkeit mangelt, und
im Durchschnitt kommt sie der großen Gerste im Ertrage nicht gleich.

Sie hat in derjenigen Dreifelderwirthschaft, wo man der Winterung
nur eine sehr unvollkommene Brache giebt und den Acker erst im Julius vor-
zubereiten anfängt, den wichtigen Vorzug, daß man sie spät, allenfalls bis zu
Ende des Junius säen und also dem Acker in einer sehr günstigen Jahrszeit
eine halbe Brachbearbeitung -- die zur Pulverung und Lüftung des Bodens
und zur Zerstörung des Unkrauts vielleicht wirksamer ist wie jene späte Brache --
geben kann.

Ihre Mährereife muß wohl beobachtet werden, und man darf sie nicht zu
ihrer vollkommenen Reife, besonders in Ansehung des Nachwuchses kommen

L 2
Die Gerſte.
Die kleine vierzeilige Gerſte
§. 91.

haͤlt man dem ſchwaͤcheren Boden angemeſſener und nennt ſie deshalb auch zu-
weilen Sandgerſte. Sie kann auf lehmigem Sandboden, der reich genug
iſt, gut gerathen, wenn ihr die Witterung guͤnſtig iſt, in welchem Falle aber
auch die große Gerſte darauf gedeihet.

Der Nahme vierzeilig iſt eigentlich unrichtig, denn ſie hat, wenn ſie voll
gewachſen iſt, ſechs Zeilen. Richtiger wuͤrde man ſie vierſeitige oder eckige
Gerſte nennen, denn ihre Aehre bildet ein Viereck mit zwei breiten und zwei
ſchmalern Seiten.

Sie iſt, wenn ſie nicht allmaͤhlig in ihrer Reproduktion abgehaͤrtet wird
(was moͤglich zu ſeyn ſcheint und wodurch eine Varietaͤt, die zwiſchen dieſer
und der ſechszeiligen Gerſte in der Mitte ſtehet, wie wir unten hoͤren werden,
gebildet wird), ein ſehr zartes Gewaͤchs, was von einem Nachtfroſte faſt zer-
ſtoͤrt wird, und von jeder unguͤnſtigen Witterung ſehr leidet. Sie erfordert
aber nur eine kurze Zeit zu ihrer Vegetation, und kann, wie man ſagt, in
9 bis 10 Wochen aus dem Sacke und in den Sack kommen; weswegen man
ſie oft erſt gegen die Mitte des Junius ſaͤet. Trifft ſie dann eine warme und
gehoͤrig feuchte Witterung, ſo kann ſie beſſer werden, wie die große Gerſte,
die in ihrer laͤngern Vegetationsperiode ſeltner einer ſo durchaus guͤnſtigen Wit-
terung genießt. Bei dem beſten Anſcheine aber ſchlaͤgt ſie oft unerwartet zu-
ruͤck, wenn es ihr beim Austreiben der Aehren an Feuchtigkeit mangelt, und
im Durchſchnitt kommt ſie der großen Gerſte im Ertrage nicht gleich.

Sie hat in derjenigen Dreifelderwirthſchaft, wo man der Winterung
nur eine ſehr unvollkommene Brache giebt und den Acker erſt im Julius vor-
zubereiten anfaͤngt, den wichtigen Vorzug, daß man ſie ſpaͤt, allenfalls bis zu
Ende des Junius ſaͤen und alſo dem Acker in einer ſehr guͤnſtigen Jahrszeit
eine halbe Brachbearbeitung — die zur Pulverung und Luͤftung des Bodens
und zur Zerſtoͤrung des Unkrauts vielleicht wirkſamer iſt wie jene ſpaͤte Brache —
geben kann.

Ihre Maͤhrereife muß wohl beobachtet werden, und man darf ſie nicht zu
ihrer vollkommenen Reife, beſonders in Anſehung des Nachwuchſes kommen

L 2
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[83/0107] Die Gerſte. Die kleine vierzeilige Gerſte §. 91. haͤlt man dem ſchwaͤcheren Boden angemeſſener und nennt ſie deshalb auch zu- weilen Sandgerſte. Sie kann auf lehmigem Sandboden, der reich genug iſt, gut gerathen, wenn ihr die Witterung guͤnſtig iſt, in welchem Falle aber auch die große Gerſte darauf gedeihet. Der Nahme vierzeilig iſt eigentlich unrichtig, denn ſie hat, wenn ſie voll gewachſen iſt, ſechs Zeilen. Richtiger wuͤrde man ſie vierſeitige oder eckige Gerſte nennen, denn ihre Aehre bildet ein Viereck mit zwei breiten und zwei ſchmalern Seiten. Sie iſt, wenn ſie nicht allmaͤhlig in ihrer Reproduktion abgehaͤrtet wird (was moͤglich zu ſeyn ſcheint und wodurch eine Varietaͤt, die zwiſchen dieſer und der ſechszeiligen Gerſte in der Mitte ſtehet, wie wir unten hoͤren werden, gebildet wird), ein ſehr zartes Gewaͤchs, was von einem Nachtfroſte faſt zer- ſtoͤrt wird, und von jeder unguͤnſtigen Witterung ſehr leidet. Sie erfordert aber nur eine kurze Zeit zu ihrer Vegetation, und kann, wie man ſagt, in 9 bis 10 Wochen aus dem Sacke und in den Sack kommen; weswegen man ſie oft erſt gegen die Mitte des Junius ſaͤet. Trifft ſie dann eine warme und gehoͤrig feuchte Witterung, ſo kann ſie beſſer werden, wie die große Gerſte, die in ihrer laͤngern Vegetationsperiode ſeltner einer ſo durchaus guͤnſtigen Wit- terung genießt. Bei dem beſten Anſcheine aber ſchlaͤgt ſie oft unerwartet zu- ruͤck, wenn es ihr beim Austreiben der Aehren an Feuchtigkeit mangelt, und im Durchſchnitt kommt ſie der großen Gerſte im Ertrage nicht gleich. Sie hat in derjenigen Dreifelderwirthſchaft, wo man der Winterung nur eine ſehr unvollkommene Brache giebt und den Acker erſt im Julius vor- zubereiten anfaͤngt, den wichtigen Vorzug, daß man ſie ſpaͤt, allenfalls bis zu Ende des Junius ſaͤen und alſo dem Acker in einer ſehr guͤnſtigen Jahrszeit eine halbe Brachbearbeitung — die zur Pulverung und Luͤftung des Bodens und zur Zerſtoͤrung des Unkrauts vielleicht wirkſamer iſt wie jene ſpaͤte Brache — geben kann. Ihre Maͤhrereife muß wohl beobachtet werden, und man darf ſie nicht zu ihrer vollkommenen Reife, beſonders in Anſehung des Nachwuchſes kommen L 2

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/107>, abgerufen am 23.11.2024.