Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Fähigkeiten des Subjekts.
keit auf denselben gerichtet werden, nicht durch Zwang oder positive Anordnungen,
sondern vermöge der Liebe und des Interesses, welches für die Sache erregt wird.
Durch offene und freie Unterhaltung wird am besten ein Austausch der Ideen und
Meinungen, ein tieferes Nachdenken über selbige, und ein Abreiben aller mitgebrach-
ten Schlacken des Vorurtheils bewirkt. Sie muß daher auf alle Weise befördert,
herbeigeführt und geleitet werden, indem nichts so sehr eine gründliche Prüfung be-
fördert als Widerspruch, der nicht durch Ansehn der Person, sondern durch Vernunft
gehoben und zur klaren Entscheidung gebracht werden muß.

Da wissenschaftliche Ausbildung an sich keinen äußern Zwang leidet, sondern
nur Wirkung des freien Geistes seyn kann, und da sich ferner im Allgemeinen anneh-
men läßt, daß diejenigen, welche sich auf einer solchen Anstalt einfinden, aus freier
Wahl und also mit dem festen Willen, sich die möglichste Vollkommenheit in diesem
Fach zu erwerben, hinkommen, so wäre Zwang schädlich und unnütz. Dagegen wären
aber die, welche aus irgend einer andern Absicht kämen oder hergeschickt wären, sogleich
zu entfernen, sobald es sich nehmlich zeigte, daß sie von jenem gemeinsamen Geiste
nicht ergriffen würden, und nur durch Zwang abgehalten werden könnten, ihn nicht
zu stören. Jedoch muß allerdings eine gewisse Ordnung, insofern sie um des gemei-
nen Bestens willen, und um jeden seine Freiheit und Bequemlichkeit zu sichern, nöthig
ist, festgesetzt und strenge beobachtet werden.

So sehr die gesellige Mittheilung unter jenen Voraussetzungen den Zweck beför-
dert, so darf sie dennoch den einsamen Fleiß nicht stören, weshalb jeder einzeln ein
eignes Zimmer bewohnen und solches ungestört für sich besitzen muß.

Je mehr sich eine solche Anstalt einen weit verbreiteten Ruf verschafft, um aus
entfernten und verschiedenartigen Provinzen Lehrbegierige herbeizuziehn, -- nicht
lauter unerfahrne, sondern solche Männer, die schon durch längere Uebung und
Scharfsinn sich eine genauere Kenntniß ihrer landüblichen Wirthschaft erworben ha-
ben, -- um so vollkommner wird sie werden. Denn nichts ist wirksamer, um alle
Einseitigkeit der Lehrenden und Lernenden zu verhüten, als wenn jene auf die mannig-
faltigen mitgebrachten Begriffe Rücksicht nehmen müssen, damit diese erkennen, wie
die gegebenen allgemeinen Begriffe alles Verschiedengestaltete in sich fassen, und
glücklich vereinigen. Durch die Zusammenkunft und das beständige Beieinanderseyn
von Männern aus den verschiedensten Klimaten, Ländern und Nationen, wo die

Faͤhigkeiten des Subjekts.
keit auf denſelben gerichtet werden, nicht durch Zwang oder poſitive Anordnungen,
ſondern vermoͤge der Liebe und des Intereſſes, welches fuͤr die Sache erregt wird.
Durch offene und freie Unterhaltung wird am beſten ein Austauſch der Ideen und
Meinungen, ein tieferes Nachdenken uͤber ſelbige, und ein Abreiben aller mitgebrach-
ten Schlacken des Vorurtheils bewirkt. Sie muß daher auf alle Weiſe befoͤrdert,
herbeigefuͤhrt und geleitet werden, indem nichts ſo ſehr eine gruͤndliche Pruͤfung be-
foͤrdert als Widerſpruch, der nicht durch Anſehn der Perſon, ſondern durch Vernunft
gehoben und zur klaren Entſcheidung gebracht werden muß.

Da wiſſenſchaftliche Ausbildung an ſich keinen aͤußern Zwang leidet, ſondern
nur Wirkung des freien Geiſtes ſeyn kann, und da ſich ferner im Allgemeinen anneh-
men laͤßt, daß diejenigen, welche ſich auf einer ſolchen Anſtalt einfinden, aus freier
Wahl und alſo mit dem feſten Willen, ſich die moͤglichſte Vollkommenheit in dieſem
Fach zu erwerben, hinkommen, ſo waͤre Zwang ſchaͤdlich und unnuͤtz. Dagegen waͤren
aber die, welche aus irgend einer andern Abſicht kaͤmen oder hergeſchickt waͤren, ſogleich
zu entfernen, ſobald es ſich nehmlich zeigte, daß ſie von jenem gemeinſamen Geiſte
nicht ergriffen wuͤrden, und nur durch Zwang abgehalten werden koͤnnten, ihn nicht
zu ſtoͤren. Jedoch muß allerdings eine gewiſſe Ordnung, inſofern ſie um des gemei-
nen Beſtens willen, und um jeden ſeine Freiheit und Bequemlichkeit zu ſichern, noͤthig
iſt, feſtgeſetzt und ſtrenge beobachtet werden.

So ſehr die geſellige Mittheilung unter jenen Vorausſetzungen den Zweck befoͤr-
dert, ſo darf ſie dennoch den einſamen Fleiß nicht ſtoͤren, weshalb jeder einzeln ein
eignes Zimmer bewohnen und ſolches ungeſtoͤrt fuͤr ſich beſitzen muß.

Je mehr ſich eine ſolche Anſtalt einen weit verbreiteten Ruf verſchafft, um aus
entfernten und verſchiedenartigen Provinzen Lehrbegierige herbeizuziehn, — nicht
lauter unerfahrne, ſondern ſolche Maͤnner, die ſchon durch laͤngere Uebung und
Scharfſinn ſich eine genauere Kenntniß ihrer landuͤblichen Wirthſchaft erworben ha-
ben, — um ſo vollkommner wird ſie werden. Denn nichts iſt wirkſamer, um alle
Einſeitigkeit der Lehrenden und Lernenden zu verhuͤten, als wenn jene auf die mannig-
faltigen mitgebrachten Begriffe Ruͤckſicht nehmen muͤſſen, damit dieſe erkennen, wie
die gegebenen allgemeinen Begriffe alles Verſchiedengeſtaltete in ſich faſſen, und
gluͤcklich vereinigen. Durch die Zuſammenkunft und das beſtaͤndige Beieinanderſeyn
von Maͤnnern aus den verſchiedenſten Klimaten, Laͤndern und Nationen, wo die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0052" n="22"/><fw place="top" type="header">Fa&#x0364;higkeiten des Subjekts.</fw><lb/>
keit auf den&#x017F;elben gerichtet werden, nicht durch Zwang oder po&#x017F;itive Anordnungen,<lb/>
&#x017F;ondern vermo&#x0364;ge der Liebe und des Intere&#x017F;&#x017F;es, welches fu&#x0364;r die Sache erregt wird.<lb/>
Durch offene und freie Unterhaltung wird am be&#x017F;ten ein Austau&#x017F;ch der Ideen und<lb/>
Meinungen, ein tieferes Nachdenken u&#x0364;ber &#x017F;elbige, und ein Abreiben aller mitgebrach-<lb/>
ten Schlacken des Vorurtheils bewirkt. Sie muß daher auf alle Wei&#x017F;e befo&#x0364;rdert,<lb/>
herbeigefu&#x0364;hrt und geleitet werden, indem nichts &#x017F;o &#x017F;ehr eine gru&#x0364;ndliche Pru&#x0364;fung be-<lb/>
fo&#x0364;rdert als Wider&#x017F;pruch, der nicht durch An&#x017F;ehn der Per&#x017F;on, &#x017F;ondern durch Vernunft<lb/>
gehoben und zur klaren Ent&#x017F;cheidung gebracht werden muß.</p><lb/>
              <p>Da wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Ausbildung an &#x017F;ich keinen a&#x0364;ußern Zwang leidet, &#x017F;ondern<lb/>
nur Wirkung des freien Gei&#x017F;tes &#x017F;eyn kann, und da &#x017F;ich ferner im Allgemeinen anneh-<lb/>
men la&#x0364;ßt, daß diejenigen, welche &#x017F;ich auf einer &#x017F;olchen An&#x017F;talt einfinden, aus freier<lb/>
Wahl und al&#x017F;o mit dem fe&#x017F;ten Willen, &#x017F;ich die mo&#x0364;glich&#x017F;te Vollkommenheit in die&#x017F;em<lb/>
Fach zu erwerben, hinkommen, &#x017F;o wa&#x0364;re Zwang &#x017F;cha&#x0364;dlich und unnu&#x0364;tz. Dagegen wa&#x0364;ren<lb/>
aber die, welche aus irgend einer andern Ab&#x017F;icht ka&#x0364;men oder herge&#x017F;chickt wa&#x0364;ren, &#x017F;ogleich<lb/>
zu entfernen, &#x017F;obald es &#x017F;ich nehmlich zeigte, daß &#x017F;ie von jenem gemein&#x017F;amen Gei&#x017F;te<lb/>
nicht ergriffen wu&#x0364;rden, und nur durch Zwang abgehalten werden ko&#x0364;nnten, ihn nicht<lb/>
zu &#x017F;to&#x0364;ren. Jedoch muß allerdings eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ordnung, in&#x017F;ofern &#x017F;ie um des gemei-<lb/>
nen Be&#x017F;tens willen, und um jeden &#x017F;eine Freiheit und Bequemlichkeit zu &#x017F;ichern, no&#x0364;thig<lb/>
i&#x017F;t, fe&#x017F;tge&#x017F;etzt und &#x017F;trenge beobachtet werden.</p><lb/>
              <p>So &#x017F;ehr die ge&#x017F;ellige Mittheilung unter jenen Voraus&#x017F;etzungen den Zweck befo&#x0364;r-<lb/>
dert, &#x017F;o darf &#x017F;ie dennoch den ein&#x017F;amen Fleiß nicht &#x017F;to&#x0364;ren, weshalb jeder einzeln ein<lb/>
eignes Zimmer bewohnen und &#x017F;olches unge&#x017F;to&#x0364;rt fu&#x0364;r &#x017F;ich be&#x017F;itzen muß.</p><lb/>
              <p>Je mehr &#x017F;ich eine &#x017F;olche An&#x017F;talt einen weit verbreiteten Ruf ver&#x017F;chafft, um aus<lb/>
entfernten und ver&#x017F;chiedenartigen Provinzen Lehrbegierige herbeizuziehn, &#x2014; nicht<lb/>
lauter unerfahrne, &#x017F;ondern &#x017F;olche Ma&#x0364;nner, die &#x017F;chon durch la&#x0364;ngere Uebung und<lb/>
Scharf&#x017F;inn &#x017F;ich eine genauere Kenntniß ihrer landu&#x0364;blichen Wirth&#x017F;chaft erworben ha-<lb/>
ben, &#x2014; um &#x017F;o vollkommner wird &#x017F;ie werden. Denn nichts i&#x017F;t wirk&#x017F;amer, um alle<lb/>
Ein&#x017F;eitigkeit der Lehrenden und Lernenden zu verhu&#x0364;ten, als wenn jene auf die mannig-<lb/>
faltigen mitgebrachten Begriffe Ru&#x0364;ck&#x017F;icht nehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, damit die&#x017F;e erkennen, wie<lb/>
die gegebenen allgemeinen Begriffe alles Ver&#x017F;chiedenge&#x017F;taltete in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
glu&#x0364;cklich vereinigen. Durch die Zu&#x017F;ammenkunft und das be&#x017F;ta&#x0364;ndige Beieinander&#x017F;eyn<lb/>
von Ma&#x0364;nnern aus den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Klimaten, La&#x0364;ndern und Nationen, wo die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0052] Faͤhigkeiten des Subjekts. keit auf denſelben gerichtet werden, nicht durch Zwang oder poſitive Anordnungen, ſondern vermoͤge der Liebe und des Intereſſes, welches fuͤr die Sache erregt wird. Durch offene und freie Unterhaltung wird am beſten ein Austauſch der Ideen und Meinungen, ein tieferes Nachdenken uͤber ſelbige, und ein Abreiben aller mitgebrach- ten Schlacken des Vorurtheils bewirkt. Sie muß daher auf alle Weiſe befoͤrdert, herbeigefuͤhrt und geleitet werden, indem nichts ſo ſehr eine gruͤndliche Pruͤfung be- foͤrdert als Widerſpruch, der nicht durch Anſehn der Perſon, ſondern durch Vernunft gehoben und zur klaren Entſcheidung gebracht werden muß. Da wiſſenſchaftliche Ausbildung an ſich keinen aͤußern Zwang leidet, ſondern nur Wirkung des freien Geiſtes ſeyn kann, und da ſich ferner im Allgemeinen anneh- men laͤßt, daß diejenigen, welche ſich auf einer ſolchen Anſtalt einfinden, aus freier Wahl und alſo mit dem feſten Willen, ſich die moͤglichſte Vollkommenheit in dieſem Fach zu erwerben, hinkommen, ſo waͤre Zwang ſchaͤdlich und unnuͤtz. Dagegen waͤren aber die, welche aus irgend einer andern Abſicht kaͤmen oder hergeſchickt waͤren, ſogleich zu entfernen, ſobald es ſich nehmlich zeigte, daß ſie von jenem gemeinſamen Geiſte nicht ergriffen wuͤrden, und nur durch Zwang abgehalten werden koͤnnten, ihn nicht zu ſtoͤren. Jedoch muß allerdings eine gewiſſe Ordnung, inſofern ſie um des gemei- nen Beſtens willen, und um jeden ſeine Freiheit und Bequemlichkeit zu ſichern, noͤthig iſt, feſtgeſetzt und ſtrenge beobachtet werden. So ſehr die geſellige Mittheilung unter jenen Vorausſetzungen den Zweck befoͤr- dert, ſo darf ſie dennoch den einſamen Fleiß nicht ſtoͤren, weshalb jeder einzeln ein eignes Zimmer bewohnen und ſolches ungeſtoͤrt fuͤr ſich beſitzen muß. Je mehr ſich eine ſolche Anſtalt einen weit verbreiteten Ruf verſchafft, um aus entfernten und verſchiedenartigen Provinzen Lehrbegierige herbeizuziehn, — nicht lauter unerfahrne, ſondern ſolche Maͤnner, die ſchon durch laͤngere Uebung und Scharfſinn ſich eine genauere Kenntniß ihrer landuͤblichen Wirthſchaft erworben ha- ben, — um ſo vollkommner wird ſie werden. Denn nichts iſt wirkſamer, um alle Einſeitigkeit der Lehrenden und Lernenden zu verhuͤten, als wenn jene auf die mannig- faltigen mitgebrachten Begriffe Ruͤckſicht nehmen muͤſſen, damit dieſe erkennen, wie die gegebenen allgemeinen Begriffe alles Verſchiedengeſtaltete in ſich faſſen, und gluͤcklich vereinigen. Durch die Zuſammenkunft und das beſtaͤndige Beieinanderſeyn von Maͤnnern aus den verſchiedenſten Klimaten, Laͤndern und Nationen, wo die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/52
Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft01_1809/52>, abgerufen am 27.11.2024.