Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XII. Versuch. Ueber die Selbstthätigkeit
in andern gegenwärtigen Empfindungen. Also haben
diese letztern Empfindnisse, wenn wir es gleich nicht
bemerken, das innere thätige Princip zu der besondern
Aeußerung bestimmet, zu der es vorher unbestimmt war?

Die Gegner läugnen dieß. Das Selbstgefühl, die
schärfste Beobachtung lehret uns, daß wir nicht zu dieser
besondern Handlung vorher innerlich bestimmt sind, ehe
wir handeln. Aber die erfolgte Handlung hat doch ihre
Eigenheit. Diese bedarf keines zureichenden
Grundes,
warum sie ist, setzen sie hinzu, und hat
auch keinen. Der Gemeinsatz vom zureichenden Grunde
hat seine Einschränkungen. So antworten die Jnde-
terministen.

Da ziehet sich also der Knoten wieder fest zusam-
men. Das Princip des zureichenden Grundes soll seine
Einschränkung haben! Die Vernunft will nicht gerne
daran. Oder soll unser Gefühl irrig seyn, welches uns
so lebhaft saget, daß wir innerlich nicht zum Wollen be-
stimmt werden, wenn wir frey wollen? Jst dieß Ge-
fühl unrichtig, so handeln wir nicht einmal aus so vol-
ler Eigenmacht, wie ein elastischer Körper, oder wie das
ausspringende Wasser.

Einer unter den scharfsinnigsten Jndeterministen,
die mir bekannt geworden sind, der Hr. G. R. Darjes, *)
hat doch geglaubt, der Satz vom zureichenden Grunde
vertrüge sich ohne Einschränkung mit der freyen Wahl,
in solchen Fällen, wo wir uns zu Einem Mittel von meh-
rern entschließen, die uns alle zu unserer Absicht gleich-
gültig
sind, und also das Erste das Beste seyn lassen.
Das innere Princip ist nicht mehr bestimmt zu dem Ei-
nen Mittel, das gewählet wird, als zu dem andern.
Warum wird es denn gewählet, und warum nicht ein
anders? Der genannte Philosoph antwortet, weil es
zu unserer Absicht hinreichet, und mehr suchen wir nicht.

Jch
*) Jn seiner Metaphysik. Psych. Empir. §. CIX.

XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
in andern gegenwaͤrtigen Empfindungen. Alſo haben
dieſe letztern Empfindniſſe, wenn wir es gleich nicht
bemerken, das innere thaͤtige Princip zu der beſondern
Aeußerung beſtimmet, zu der es vorher unbeſtimmt war?

Die Gegner laͤugnen dieß. Das Selbſtgefuͤhl, die
ſchaͤrfſte Beobachtung lehret uns, daß wir nicht zu dieſer
beſondern Handlung vorher innerlich beſtimmt ſind, ehe
wir handeln. Aber die erfolgte Handlung hat doch ihre
Eigenheit. Dieſe bedarf keines zureichenden
Grundes,
warum ſie iſt, ſetzen ſie hinzu, und hat
auch keinen. Der Gemeinſatz vom zureichenden Grunde
hat ſeine Einſchraͤnkungen. So antworten die Jnde-
terminiſten.

Da ziehet ſich alſo der Knoten wieder feſt zuſam-
men. Das Princip des zureichenden Grundes ſoll ſeine
Einſchraͤnkung haben! Die Vernunft will nicht gerne
daran. Oder ſoll unſer Gefuͤhl irrig ſeyn, welches uns
ſo lebhaft ſaget, daß wir innerlich nicht zum Wollen be-
ſtimmt werden, wenn wir frey wollen? Jſt dieß Ge-
fuͤhl unrichtig, ſo handeln wir nicht einmal aus ſo vol-
ler Eigenmacht, wie ein elaſtiſcher Koͤrper, oder wie das
ausſpringende Waſſer.

Einer unter den ſcharfſinnigſten Jndeterminiſten,
die mir bekannt geworden ſind, der Hr. G. R. Darjes, *)
hat doch geglaubt, der Satz vom zureichenden Grunde
vertruͤge ſich ohne Einſchraͤnkung mit der freyen Wahl,
in ſolchen Faͤllen, wo wir uns zu Einem Mittel von meh-
rern entſchließen, die uns alle zu unſerer Abſicht gleich-
guͤltig
ſind, und alſo das Erſte das Beſte ſeyn laſſen.
Das innere Princip iſt nicht mehr beſtimmt zu dem Ei-
nen Mittel, das gewaͤhlet wird, als zu dem andern.
Warum wird es denn gewaͤhlet, und warum nicht ein
anders? Der genannte Philoſoph antwortet, weil es
zu unſerer Abſicht hinreichet, und mehr ſuchen wir nicht.

Jch
*) Jn ſeiner Metaphyſik. Pſych. Empir. §. CIX.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0094" n="64"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber die Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit</hi></fw><lb/>
in andern gegenwa&#x0364;rtigen Empfindungen. Al&#x017F;o haben<lb/>
die&#x017F;e letztern Empfindni&#x017F;&#x017F;e, wenn wir es gleich nicht<lb/>
bemerken, das innere tha&#x0364;tige Princip zu der be&#x017F;ondern<lb/>
Aeußerung be&#x017F;timmet, zu der es vorher unbe&#x017F;timmt war?</p><lb/>
            <p>Die Gegner la&#x0364;ugnen dieß. Das Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl, die<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;te Beobachtung lehret uns, daß wir nicht zu die&#x017F;er<lb/>
be&#x017F;ondern Handlung vorher innerlich be&#x017F;timmt &#x017F;ind, ehe<lb/>
wir handeln. Aber die erfolgte Handlung hat doch ihre<lb/>
Eigenheit. <hi rendition="#fr">Die&#x017F;e bedarf keines zureichenden<lb/>
Grundes,</hi> warum &#x017F;ie i&#x017F;t, &#x017F;etzen &#x017F;ie hinzu, und hat<lb/>
auch keinen. Der Gemein&#x017F;atz vom zureichenden Grunde<lb/>
hat &#x017F;eine Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen. So antworten die <hi rendition="#fr">Jnde-<lb/>
termini&#x017F;ten.</hi></p><lb/>
            <p>Da ziehet &#x017F;ich al&#x017F;o der Knoten wieder fe&#x017F;t zu&#x017F;am-<lb/>
men. Das Princip des zureichenden Grundes &#x017F;oll &#x017F;eine<lb/>
Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung haben! Die Vernunft will nicht gerne<lb/>
daran. Oder &#x017F;oll un&#x017F;er Gefu&#x0364;hl irrig &#x017F;eyn, welches uns<lb/>
&#x017F;o lebhaft &#x017F;aget, daß wir innerlich nicht zum Wollen be-<lb/>
&#x017F;timmt werden, wenn wir frey wollen? J&#x017F;t dieß Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl unrichtig, &#x017F;o handeln wir nicht einmal aus &#x017F;o vol-<lb/>
ler Eigenmacht, wie ein ela&#x017F;ti&#x017F;cher Ko&#x0364;rper, oder wie das<lb/>
aus&#x017F;pringende Wa&#x017F;&#x017F;er.</p><lb/>
            <p>Einer unter den &#x017F;charf&#x017F;innig&#x017F;ten Jndetermini&#x017F;ten,<lb/>
die mir bekannt geworden &#x017F;ind, der Hr. G. R. <hi rendition="#fr">Darjes,</hi> <note place="foot" n="*)">Jn &#x017F;einer Metaphy&#x017F;ik. <hi rendition="#aq">P&#x017F;ych. Empir. §. CIX.</hi></note><lb/>
hat doch geglaubt, der Satz vom zureichenden Grunde<lb/>
vertru&#x0364;ge &#x017F;ich ohne Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung mit der <hi rendition="#fr">freyen</hi> Wahl,<lb/>
in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen, wo wir uns zu Einem Mittel von meh-<lb/>
rern ent&#x017F;chließen, die uns alle zu un&#x017F;erer Ab&#x017F;icht <hi rendition="#fr">gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltig</hi> &#x017F;ind, und al&#x017F;o das Er&#x017F;te das Be&#x017F;te &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Das innere Princip i&#x017F;t nicht mehr be&#x017F;timmt zu dem Ei-<lb/>
nen Mittel, das gewa&#x0364;hlet wird, als zu dem andern.<lb/>
Warum wird es denn gewa&#x0364;hlet, und warum nicht ein<lb/>
anders? Der genannte Philo&#x017F;oph antwortet, weil es<lb/>
zu un&#x017F;erer Ab&#x017F;icht hinreichet, und mehr &#x017F;uchen wir nicht.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0094] XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit in andern gegenwaͤrtigen Empfindungen. Alſo haben dieſe letztern Empfindniſſe, wenn wir es gleich nicht bemerken, das innere thaͤtige Princip zu der beſondern Aeußerung beſtimmet, zu der es vorher unbeſtimmt war? Die Gegner laͤugnen dieß. Das Selbſtgefuͤhl, die ſchaͤrfſte Beobachtung lehret uns, daß wir nicht zu dieſer beſondern Handlung vorher innerlich beſtimmt ſind, ehe wir handeln. Aber die erfolgte Handlung hat doch ihre Eigenheit. Dieſe bedarf keines zureichenden Grundes, warum ſie iſt, ſetzen ſie hinzu, und hat auch keinen. Der Gemeinſatz vom zureichenden Grunde hat ſeine Einſchraͤnkungen. So antworten die Jnde- terminiſten. Da ziehet ſich alſo der Knoten wieder feſt zuſam- men. Das Princip des zureichenden Grundes ſoll ſeine Einſchraͤnkung haben! Die Vernunft will nicht gerne daran. Oder ſoll unſer Gefuͤhl irrig ſeyn, welches uns ſo lebhaft ſaget, daß wir innerlich nicht zum Wollen be- ſtimmt werden, wenn wir frey wollen? Jſt dieß Ge- fuͤhl unrichtig, ſo handeln wir nicht einmal aus ſo vol- ler Eigenmacht, wie ein elaſtiſcher Koͤrper, oder wie das ausſpringende Waſſer. Einer unter den ſcharfſinnigſten Jndeterminiſten, die mir bekannt geworden ſind, der Hr. G. R. Darjes, *) hat doch geglaubt, der Satz vom zureichenden Grunde vertruͤge ſich ohne Einſchraͤnkung mit der freyen Wahl, in ſolchen Faͤllen, wo wir uns zu Einem Mittel von meh- rern entſchließen, die uns alle zu unſerer Abſicht gleich- guͤltig ſind, und alſo das Erſte das Beſte ſeyn laſſen. Das innere Princip iſt nicht mehr beſtimmt zu dem Ei- nen Mittel, das gewaͤhlet wird, als zu dem andern. Warum wird es denn gewaͤhlet, und warum nicht ein anders? Der genannte Philoſoph antwortet, weil es zu unſerer Abſicht hinreichet, und mehr ſuchen wir nicht. Jch *) Jn ſeiner Metaphyſik. Pſych. Empir. §. CIX.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/94
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/94>, abgerufen am 21.11.2024.