kommnung und Ausdehnung bey, ob man gleich bey allen ohne Ausnahme sieht, daß die Natur, indem sie diesem Triebe nachgehet, eingeschränkt, heruntergesetzt und ihrer angenehmen Gefühle beraubet wird, und end- lich, wenn von den Menschen die Rede ist, untergehet. Jene Ausdrücke lassen sich wohl erklären. Allein es scheint doch, als wenn man nicht allemal genug auf den ei- gentlichen ursprünglichen Sinn derselben zurücksehe, und durch das Figürliche in ihnen verleitet werde Neben- ideen hinzuzulegen, wozu man wenigstens alsdenn kei- nen Grund findet, wenn man diese Sätze als unmittel- bare Grundsätze der Erfahrung annimmt. Ein anders ist es, wenn die erwähnten Triebe nur allein der unkör- perlichen Seele zukommen sollen und als solche angege- ben werden, auf welche die Auflösung der Seelenkräfte im System als auf ein letztes Princip hinführet.
Der Naturtrieb des Menschen geht ursprünglich auf Aeußerungen hinaus, die man nicht viel näher charak- terisiren kann, als daß es menschliche, der innern Be- schaffenheit der Natur und ihren Kräften angemessene, Thätigkeiten sind. Fast jede bestimmtere Erklärung giebt sie nur von einer Seite an. *) Der Mensch äus- sert keine Bestrebungen eines Vogels zum Fliegen, noch eines Fisches zum Schwimmen, sondern Bestrebungen der Organisation gemäß zu wirken, zu fühlen, sich et- was vorzustellen, zu denken und sich sonsten zu verän- dern. Die Richtungen aber, welche diese Naturkräfte nehmen und behalten, die Objekte, auf welche sie sich lenken, oder wovon sie sich entfernen, werden durch Em- pfindnisse bestimmet, durch Schmerz und Vergnügen. Sie neigen sich, oder werden gezogen, zu dem hin, was angenehme Gefühle giebt. Aus diesen Gefühlen ent- springen die Vorstellungen, wodurch wir die Gegenstän- de, die uns angenehm sind, kennen lernen; und durch
die
*) Eilfter Versuch. I. 2.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
kommnung und Ausdehnung bey, ob man gleich bey allen ohne Ausnahme ſieht, daß die Natur, indem ſie dieſem Triebe nachgehet, eingeſchraͤnkt, heruntergeſetzt und ihrer angenehmen Gefuͤhle beraubet wird, und end- lich, wenn von den Menſchen die Rede iſt, untergehet. Jene Ausdruͤcke laſſen ſich wohl erklaͤren. Allein es ſcheint doch, als wenn man nicht allemal genug auf den ei- gentlichen urſpruͤnglichen Sinn derſelben zuruͤckſehe, und durch das Figuͤrliche in ihnen verleitet werde Neben- ideen hinzuzulegen, wozu man wenigſtens alsdenn kei- nen Grund findet, wenn man dieſe Saͤtze als unmittel- bare Grundſaͤtze der Erfahrung annimmt. Ein anders iſt es, wenn die erwaͤhnten Triebe nur allein der unkoͤr- perlichen Seele zukommen ſollen und als ſolche angege- ben werden, auf welche die Aufloͤſung der Seelenkraͤfte im Syſtem als auf ein letztes Princip hinfuͤhret.
Der Naturtrieb des Menſchen geht urſpruͤnglich auf Aeußerungen hinaus, die man nicht viel naͤher charak- teriſiren kann, als daß es menſchliche, der innern Be- ſchaffenheit der Natur und ihren Kraͤften angemeſſene, Thaͤtigkeiten ſind. Faſt jede beſtimmtere Erklaͤrung giebt ſie nur von einer Seite an. *) Der Menſch aͤuſ- ſert keine Beſtrebungen eines Vogels zum Fliegen, noch eines Fiſches zum Schwimmen, ſondern Beſtrebungen der Organiſation gemaͤß zu wirken, zu fuͤhlen, ſich et- was vorzuſtellen, zu denken und ſich ſonſten zu veraͤn- dern. Die Richtungen aber, welche dieſe Naturkraͤfte nehmen und behalten, die Objekte, auf welche ſie ſich lenken, oder wovon ſie ſich entfernen, werden durch Em- pfindniſſe beſtimmet, durch Schmerz und Vergnuͤgen. Sie neigen ſich, oder werden gezogen, zu dem hin, was angenehme Gefuͤhle giebt. Aus dieſen Gefuͤhlen ent- ſpringen die Vorſtellungen, wodurch wir die Gegenſtaͤn- de, die uns angenehm ſind, kennen lernen; und durch
die
*) Eilfter Verſuch. I. 2.
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
kommnung und Ausdehnung bey, ob man gleich bey
allen ohne Ausnahme ſieht, daß die Natur, indem ſie
dieſem Triebe nachgehet, eingeſchraͤnkt, heruntergeſetzt
und ihrer angenehmen Gefuͤhle beraubet wird, und end-
lich, wenn von den Menſchen die Rede iſt, untergehet.
Jene Ausdruͤcke laſſen ſich wohl erklaͤren. Allein es ſcheint
doch, als wenn man nicht allemal genug auf den ei-
gentlichen urſpruͤnglichen Sinn derſelben zuruͤckſehe, und
durch das Figuͤrliche in ihnen verleitet werde Neben-
ideen hinzuzulegen, wozu man wenigſtens alsdenn kei-
nen Grund findet, wenn man dieſe Saͤtze als unmittel-
bare Grundſaͤtze der Erfahrung annimmt. Ein anders
iſt es, wenn die erwaͤhnten Triebe nur allein der unkoͤr-
perlichen Seele zukommen ſollen und als ſolche angege-
ben werden, auf welche die Aufloͤſung der Seelenkraͤfte
im Syſtem als auf ein letztes Princip hinfuͤhret.
Der Naturtrieb des Menſchen geht urſpruͤnglich auf
Aeußerungen hinaus, die man nicht viel naͤher charak-
teriſiren kann, als daß es menſchliche, der innern Be-
ſchaffenheit der Natur und ihren Kraͤften angemeſſene,
Thaͤtigkeiten ſind. Faſt jede beſtimmtere Erklaͤrung
giebt ſie nur von einer Seite an. *) Der Menſch aͤuſ-
ſert keine Beſtrebungen eines Vogels zum Fliegen, noch
eines Fiſches zum Schwimmen, ſondern Beſtrebungen
der Organiſation gemaͤß zu wirken, zu fuͤhlen, ſich et-
was vorzuſtellen, zu denken und ſich ſonſten zu veraͤn-
dern. Die Richtungen aber, welche dieſe Naturkraͤfte
nehmen und behalten, die Objekte, auf welche ſie ſich
lenken, oder wovon ſie ſich entfernen, werden durch Em-
pfindniſſe beſtimmet, durch Schmerz und Vergnuͤgen.
Sie neigen ſich, oder werden gezogen, zu dem hin, was
angenehme Gefuͤhle giebt. Aus dieſen Gefuͤhlen ent-
ſpringen die Vorſtellungen, wodurch wir die Gegenſtaͤn-
de, die uns angenehm ſind, kennen lernen; und durch
die
*) Eilfter Verſuch. I. 2.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 822. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/852>, abgerufen am 18.12.2024.
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