der angenehmen Gefühle für sich vergrößern. Und das alles mehr oder weniger, nachdem sie selbst eine größere oder geringere Realität ist.
9.
Wäre die Glückseligkeit des Menschen von äußern Ursachen unabhängig, so würde sie blos nach der Größe der innern Vollkommenheit zu schätzen, und Vervoll- kommnung und Beglückung einerley, seyn. Dieß ist sie nun zwar in Hinsicht ihrer schätzbarsten Theile in großer Maße; aber sie ist es nicht in Hinsicht aller, und ist es nicht gänzlich in Hinsicht eines einzigen. Auch hie- rinnen giebt es unendlich verschiedene Stufen des mensch- lichen Wohls, so wie sichs bey den einzelnen Personen findet. Wie viel selbstständiger war die Seligkeit des stoischen Weisen, als das fast ganz auf äußern Eindrü- cken beruhende Glück des Sybariten? Und dazwischen liegen viele mittlere Stufen. Eine vollkommene Un- abhängigkeit von außen ist aber keine mögliche Eigen- schaft des Menschen, wenigstens in dieser Welt nicht. Die Vermögen der Seele, als bloße Vermögen be- trachtet, sind das einzige, was unserm Jch so eigen ist, daß außer der Allmacht, die in das Jnnerste dringt, nichts ihm solche entziehen kann. Sollen aber diese Ver- mögen lebendige Kräfte seyn und in Thätigkeiten sich offenbaren, welche gefühlt und genossen werden: so müs- sen schon Reizungen von äußern Ursachen hinzukommen, oder doch Veranlassungen und schickliche Objekte der Kraft vorliegen. "Der Besitz der Vermögen für sich "macht den Menschen nicht glücklich, sondern ihre freye "und ungehinderte Anwendung." Wo die letztere fehlt, da kann nur ein Bestreben zu wirken vorhanden seyn. Wenn dieß ist, so ist freylich auch ein angenehmes Ge- fühl von Stärke da, desto lebhafter, je stärker das Be- streben ist; aber es wird überwogen von dem beglei- tenden Gefühl des Widerstands und des Unvermögens.
Und
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
der angenehmen Gefuͤhle fuͤr ſich vergroͤßern. Und das alles mehr oder weniger, nachdem ſie ſelbſt eine groͤßere oder geringere Realitaͤt iſt.
9.
Waͤre die Gluͤckſeligkeit des Menſchen von aͤußern Urſachen unabhaͤngig, ſo wuͤrde ſie blos nach der Groͤße der innern Vollkommenheit zu ſchaͤtzen, und Vervoll- kommnung und Begluͤckung einerley, ſeyn. Dieß iſt ſie nun zwar in Hinſicht ihrer ſchaͤtzbarſten Theile in großer Maße; aber ſie iſt es nicht in Hinſicht aller, und iſt es nicht gaͤnzlich in Hinſicht eines einzigen. Auch hie- rinnen giebt es unendlich verſchiedene Stufen des menſch- lichen Wohls, ſo wie ſichs bey den einzelnen Perſonen findet. Wie viel ſelbſtſtaͤndiger war die Seligkeit des ſtoiſchen Weiſen, als das faſt ganz auf aͤußern Eindruͤ- cken beruhende Gluͤck des Sybariten? Und dazwiſchen liegen viele mittlere Stufen. Eine vollkommene Un- abhaͤngigkeit von außen iſt aber keine moͤgliche Eigen- ſchaft des Menſchen, wenigſtens in dieſer Welt nicht. Die Vermoͤgen der Seele, als bloße Vermoͤgen be- trachtet, ſind das einzige, was unſerm Jch ſo eigen iſt, daß außer der Allmacht, die in das Jnnerſte dringt, nichts ihm ſolche entziehen kann. Sollen aber dieſe Ver- moͤgen lebendige Kraͤfte ſeyn und in Thaͤtigkeiten ſich offenbaren, welche gefuͤhlt und genoſſen werden: ſo muͤſ- ſen ſchon Reizungen von aͤußern Urſachen hinzukommen, oder doch Veranlaſſungen und ſchickliche Objekte der Kraft vorliegen. „Der Beſitz der Vermoͤgen fuͤr ſich „macht den Menſchen nicht gluͤcklich, ſondern ihre freye „und ungehinderte Anwendung.“ Wo die letztere fehlt, da kann nur ein Beſtreben zu wirken vorhanden ſeyn. Wenn dieß iſt, ſo iſt freylich auch ein angenehmes Ge- fuͤhl von Staͤrke da, deſto lebhafter, je ſtaͤrker das Be- ſtreben iſt; aber es wird uͤberwogen von dem beglei- tenden Gefuͤhl des Widerſtands und des Unvermoͤgens.
Und
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
der angenehmen Gefuͤhle fuͤr ſich vergroͤßern. Und das
alles mehr oder weniger, nachdem ſie ſelbſt eine groͤßere
oder geringere Realitaͤt iſt.
9.
Waͤre die Gluͤckſeligkeit des Menſchen von aͤußern
Urſachen unabhaͤngig, ſo wuͤrde ſie blos nach der Groͤße
der innern Vollkommenheit zu ſchaͤtzen, und Vervoll-
kommnung und Begluͤckung einerley, ſeyn. Dieß iſt ſie
nun zwar in Hinſicht ihrer ſchaͤtzbarſten Theile in großer
Maße; aber ſie iſt es nicht in Hinſicht aller, und iſt
es nicht gaͤnzlich in Hinſicht eines einzigen. Auch hie-
rinnen giebt es unendlich verſchiedene Stufen des menſch-
lichen Wohls, ſo wie ſichs bey den einzelnen Perſonen
findet. Wie viel ſelbſtſtaͤndiger war die Seligkeit des
ſtoiſchen Weiſen, als das faſt ganz auf aͤußern Eindruͤ-
cken beruhende Gluͤck des Sybariten? Und dazwiſchen
liegen viele mittlere Stufen. Eine vollkommene Un-
abhaͤngigkeit von außen iſt aber keine moͤgliche Eigen-
ſchaft des Menſchen, wenigſtens in dieſer Welt nicht.
Die Vermoͤgen der Seele, als bloße Vermoͤgen be-
trachtet, ſind das einzige, was unſerm Jch ſo eigen iſt,
daß außer der Allmacht, die in das Jnnerſte dringt,
nichts ihm ſolche entziehen kann. Sollen aber dieſe Ver-
moͤgen lebendige Kraͤfte ſeyn und in Thaͤtigkeiten ſich
offenbaren, welche gefuͤhlt und genoſſen werden: ſo muͤſ-
ſen ſchon Reizungen von aͤußern Urſachen hinzukommen,
oder doch Veranlaſſungen und ſchickliche Objekte der
Kraft vorliegen. „Der Beſitz der Vermoͤgen fuͤr ſich
„macht den Menſchen nicht gluͤcklich, ſondern ihre freye
„und ungehinderte Anwendung.“ Wo die letztere fehlt,
da kann nur ein Beſtreben zu wirken vorhanden ſeyn.
Wenn dieß iſt, ſo iſt freylich auch ein angenehmes Ge-
fuͤhl von Staͤrke da, deſto lebhafter, je ſtaͤrker das Be-
ſtreben iſt; aber es wird uͤberwogen von dem beglei-
tenden Gefuͤhl des Widerſtands und des Unvermoͤgens.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 816. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/846>, abgerufen am 23.11.2024.
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