Null. Erschwerte Thätigkeit, Gefühl des Widerstan- des und der Schwäche, Zertheilung, Entziehung der Veränderung, Verwirrung, geht überhaupt dahin, das gleichzeitige Gefühl zu mindern, zu schwächen. Es ist unangenehm. Man kann sich mit andern scharfsinni- gen Philosophen vorstellen, der Schmerz entstehe aus zu großer Spannung. Eingeschlossene Wirksamkeit verursacht Unruhe. Sie ist Spannung von innen. Zu starke Spannung von außen erweckt den eigent- lich sogenannten Schmerz. Die Nachlassung, oder Entspannung, dagegen sey angenehm in der Seele, wie in dem Körper. Sie entstehet, wo die Kraft in Thätigkeit sich äußern kann, oder wo sie von außen zur Ruhe kommt. Diese Jdee ist fruchtbar. Es kommt auch darauf an, welche Vorstellung von der Grundkraft man voraussetzet. Hr. Cochius*) sahe sie für eine Ausdehnungskraft an, die sich zu erweitern bestrebet, wornach alles, was mit diesem Triebe über- einstimmt, angenehm, was ihr widerstrebet und sie einschränken will, widrig seyn muß.
Alle diese und noch andere Begriffe von der vergnü- genden Kraft unserer Veränderungen, die ich hier nicht weiter vergleichen will, führen doch endlich zu dieser all- gemeinen Folgerung, oder müssen dazu führen, wenn sie nicht offenbar der Beobachtung zuwider seyn sollen: "daß es in jedem Fall nicht ganz allein von der absoluten "Beschaffenheit der Veränderung, die gefühlet wird, ab- "hange, daß sie angenehm oder widrig ist, sondern daß es "hiebey gleichfalls auf ihre Beziehung, auf den dermaligen "Zustand der Seele ankomme, und folglich zum Theil "auf dem letztern beruhe." Laß das äußere Objekt seine Mannichfaltigkeit und Einheit behalten, die es vorher hatte, da es ergötzte, und laß es dieselbigen Ein-
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*) Preisschrift über die Neigungen.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Null. Erſchwerte Thaͤtigkeit, Gefuͤhl des Widerſtan- des und der Schwaͤche, Zertheilung, Entziehung der Veraͤnderung, Verwirrung, geht uͤberhaupt dahin, das gleichzeitige Gefuͤhl zu mindern, zu ſchwaͤchen. Es iſt unangenehm. Man kann ſich mit andern ſcharfſinni- gen Philoſophen vorſtellen, der Schmerz entſtehe aus zu großer Spannung. Eingeſchloſſene Wirkſamkeit verurſacht Unruhe. Sie iſt Spannung von innen. Zu ſtarke Spannung von außen erweckt den eigent- lich ſogenannten Schmerz. Die Nachlaſſung, oder Entſpannung, dagegen ſey angenehm in der Seele, wie in dem Koͤrper. Sie entſtehet, wo die Kraft in Thaͤtigkeit ſich aͤußern kann, oder wo ſie von außen zur Ruhe kommt. Dieſe Jdee iſt fruchtbar. Es kommt auch darauf an, welche Vorſtellung von der Grundkraft man vorausſetzet. Hr. Cochius*) ſahe ſie fuͤr eine Ausdehnungskraft an, die ſich zu erweitern beſtrebet, wornach alles, was mit dieſem Triebe uͤber- einſtimmt, angenehm, was ihr widerſtrebet und ſie einſchraͤnken will, widrig ſeyn muß.
Alle dieſe und noch andere Begriffe von der vergnuͤ- genden Kraft unſerer Veraͤnderungen, die ich hier nicht weiter vergleichen will, fuͤhren doch endlich zu dieſer all- gemeinen Folgerung, oder muͤſſen dazu fuͤhren, wenn ſie nicht offenbar der Beobachtung zuwider ſeyn ſollen: „daß es in jedem Fall nicht ganz allein von der abſoluten „Beſchaffenheit der Veraͤnderung, die gefuͤhlet wird, ab- „hange, daß ſie angenehm oder widrig iſt, ſondern daß es „hiebey gleichfalls auf ihre Beziehung, auf den dermaligen „Zuſtand der Seele ankomme, und folglich zum Theil „auf dem letztern beruhe.‟ Laß das aͤußere Objekt ſeine Mannichfaltigkeit und Einheit behalten, die es vorher hatte, da es ergoͤtzte, und laß es dieſelbigen Ein-
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*) Preisſchrift uͤber die Neigungen.
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
Null. Erſchwerte Thaͤtigkeit, Gefuͤhl des Widerſtan-
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Veraͤnderung, Verwirrung, geht uͤberhaupt dahin, das
gleichzeitige Gefuͤhl zu mindern, zu ſchwaͤchen. Es iſt
unangenehm. Man kann ſich mit andern ſcharfſinni-
gen Philoſophen vorſtellen, der Schmerz entſtehe aus
zu großer Spannung. Eingeſchloſſene Wirkſamkeit
verurſacht Unruhe. Sie iſt Spannung von innen.
Zu ſtarke Spannung von außen erweckt den eigent-
lich ſogenannten Schmerz. Die Nachlaſſung, oder
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wie in dem Koͤrper. Sie entſtehet, wo die Kraft in
Thaͤtigkeit ſich aͤußern kann, oder wo ſie von außen
zur Ruhe kommt. Dieſe Jdee iſt fruchtbar. Es
kommt auch darauf an, welche Vorſtellung von der
Grundkraft man vorausſetzet. Hr. Cochius *) ſahe
ſie fuͤr eine Ausdehnungskraft an, die ſich zu erweitern
beſtrebet, wornach alles, was mit dieſem Triebe uͤber-
einſtimmt, angenehm, was ihr widerſtrebet und ſie
einſchraͤnken will, widrig ſeyn muß.
Alle dieſe und noch andere Begriffe von der vergnuͤ-
genden Kraft unſerer Veraͤnderungen, die ich hier nicht
weiter vergleichen will, fuͤhren doch endlich zu dieſer all-
gemeinen Folgerung, oder muͤſſen dazu fuͤhren, wenn
ſie nicht offenbar der Beobachtung zuwider ſeyn ſollen:
„daß es in jedem Fall nicht ganz allein von der abſoluten
„Beſchaffenheit der Veraͤnderung, die gefuͤhlet wird, ab-
„hange, daß ſie angenehm oder widrig iſt, ſondern daß es
„hiebey gleichfalls auf ihre Beziehung, auf den dermaligen
„Zuſtand der Seele ankomme, und folglich zum Theil
„auf dem letztern beruhe.‟ Laß das aͤußere Objekt
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 810. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/840>, abgerufen am 23.11.2024.
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