menschlichen Vergnügungen auf einen andern, der eben dieselbigen Folgen hat. Einige Vergnügen nämlich er- fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun äuße- rer Wesen, und hangen von den Beziehungen des Men- schen auf äußere Dinge ab. Andere verschaffet er sich selbst aus seiner innern Quelle, durch seine eigene Thä- tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverständnis- sen vorzubeugen. Denn sonsten mag immer jede Unter- haltung der Seele und ihrer Kräfte eine Thätigkeit ge- nennet werden.
Darüber sind die Philosophen unter sich und mit dem gemeinen Verstande einig, daß die Glückseligkeit des Menschen aus der Summe seiner angenehmen Empfin- dungen entspringe, die alsdann aber nur erst so heißen kann, wenn sie die Summe der entgegenstehenden über- wieget; und die als Glückseligkeit nur nach der Größe dieses Uebergewichts geschätzet werden muß. Aber über zwey Punkte gehen sie von einander ab. Der erstere da- von gehöret zur Seelenlehre: "Was ist die eigentliche "Quelle des Vergnügens? oder was ist in jedem ange- "nehmen Gefühl die angenehm rührende, die ver- "gnügende Kraft, die Kausalität des Vergnügens, "nach der Sprache der Alten?" Der zweete gehöret zur Moral: "Wie groß ist der Antheil an dem gesamm- "ten Wohl, den die verschiedenen Arten der angeneh- "men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein- "dildungskraft, den Verstand und die äußere Thätig- "keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig sind "diese Bestandtheile, gegen einander verglichen?" Jede Empfindung hat ihre innere Größe, ihre Länge, Breite, Stärke, Dauer; jede befördert andere ähnliche, oder hin- dert sie. Wie hoch soll jedwede Gattung geschätzet wer- den? Hier ist der Maßstab, den man in den verschiede- nen Systemen gebraucht hat, sehr verschieden, welches zum Theil schon davon abhängt, wie man die erstere
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und Entwickelung des Menſchen.
menſchlichen Vergnuͤgungen auf einen andern, der eben dieſelbigen Folgen hat. Einige Vergnuͤgen naͤmlich er- fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun aͤuße- rer Weſen, und hangen von den Beziehungen des Men- ſchen auf aͤußere Dinge ab. Andere verſchaffet er ſich ſelbſt aus ſeiner innern Quelle, durch ſeine eigene Thaͤ- tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverſtaͤndniſ- ſen vorzubeugen. Denn ſonſten mag immer jede Unter- haltung der Seele und ihrer Kraͤfte eine Thaͤtigkeit ge- nennet werden.
Daruͤber ſind die Philoſophen unter ſich und mit dem gemeinen Verſtande einig, daß die Gluͤckſeligkeit des Menſchen aus der Summe ſeiner angenehmen Empfin- dungen entſpringe, die alsdann aber nur erſt ſo heißen kann, wenn ſie die Summe der entgegenſtehenden uͤber- wieget; und die als Gluͤckſeligkeit nur nach der Groͤße dieſes Uebergewichts geſchaͤtzet werden muß. Aber uͤber zwey Punkte gehen ſie von einander ab. Der erſtere da- von gehoͤret zur Seelenlehre: „Was iſt die eigentliche „Quelle des Vergnuͤgens? oder was iſt in jedem ange- „nehmen Gefuͤhl die angenehm ruͤhrende, die ver- „gnuͤgende Kraft, die Kauſalitaͤt des Vergnuͤgens, „nach der Sprache der Alten?“ Der zweete gehoͤret zur Moral: „Wie groß iſt der Antheil an dem geſamm- „ten Wohl, den die verſchiedenen Arten der angeneh- „men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein- „dildungskraft, den Verſtand und die aͤußere Thaͤtig- „keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig ſind „dieſe Beſtandtheile, gegen einander verglichen?“ Jede Empfindung hat ihre innere Groͤße, ihre Laͤnge, Breite, Staͤrke, Dauer; jede befoͤrdert andere aͤhnliche, oder hin- dert ſie. Wie hoch ſoll jedwede Gattung geſchaͤtzet wer- den? Hier iſt der Maßſtab, den man in den verſchiede- nen Syſtemen gebraucht hat, ſehr verſchieden, welches zum Theil ſchon davon abhaͤngt, wie man die erſtere
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und Entwickelung des Menſchen.
menſchlichen Vergnuͤgungen auf einen andern, der eben
dieſelbigen Folgen hat. Einige Vergnuͤgen naͤmlich er-
fodern durchaus die Einwirkung oder das Zuthun aͤuße-
rer Weſen, und hangen von den Beziehungen des Men-
ſchen auf aͤußere Dinge ab. Andere verſchaffet er ſich
ſelbſt aus ſeiner innern Quelle, durch ſeine eigene Thaͤ-
tigkeit. Dieß habe ich nur erinnert um Mißverſtaͤndniſ-
ſen vorzubeugen. Denn ſonſten mag immer jede Unter-
haltung der Seele und ihrer Kraͤfte eine Thaͤtigkeit ge-
nennet werden.
Daruͤber ſind die Philoſophen unter ſich und mit dem
gemeinen Verſtande einig, daß die Gluͤckſeligkeit des
Menſchen aus der Summe ſeiner angenehmen Empfin-
dungen entſpringe, die alsdann aber nur erſt ſo heißen
kann, wenn ſie die Summe der entgegenſtehenden uͤber-
wieget; und die als Gluͤckſeligkeit nur nach der Groͤße
dieſes Uebergewichts geſchaͤtzet werden muß. Aber uͤber
zwey Punkte gehen ſie von einander ab. Der erſtere da-
von gehoͤret zur Seelenlehre: „Was iſt die eigentliche
„Quelle des Vergnuͤgens? oder was iſt in jedem ange-
„nehmen Gefuͤhl die angenehm ruͤhrende, die ver-
„gnuͤgende Kraft, die Kauſalitaͤt des Vergnuͤgens,
„nach der Sprache der Alten?“ Der zweete gehoͤret
zur Moral: „Wie groß iſt der Antheil an dem geſamm-
„ten Wohl, den die verſchiedenen Arten der angeneh-
„men Empfindungen, welche durch die Sinne, die Ein-
„dildungskraft, den Verſtand und die aͤußere Thaͤtig-
„keit erhalten werden, dazu hergeben? Wie wichtig ſind
„dieſe Beſtandtheile, gegen einander verglichen?“ Jede
Empfindung hat ihre innere Groͤße, ihre Laͤnge, Breite,
Staͤrke, Dauer; jede befoͤrdert andere aͤhnliche, oder hin-
dert ſie. Wie hoch ſoll jedwede Gattung geſchaͤtzet wer-
den? Hier iſt der Maßſtab, den man in den verſchiede-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 805. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/835>, abgerufen am 24.11.2024.
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