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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
6.

Wenn man den Menschen durch eine Abstraktion
nur blos von der Seite betrachtet, so fern er ein thäti-
ges Wesen
ist, so wird man bald finden, daß ihn
vervollkommnen eben so viel ist, als ihn glückselig ma-
chen; oder eigentlich, daß nur dadurch der Genuß
seiner Thätigkeit, oder sein Vergnügen aus der-
selben, am größten
wird, wenn er seine Kräfte in
der Maße anwendet, in der sie am meisten vervollkomm-
net werden. So ein blos thätiges Wesen ist der
Mensch zwar nicht. Er hat auch seine leidentlichen Ver-
änderungen, und ist einer Glückseligkeit aus den letztern
fähig, wie die aus den Eindrücken auf die Sinne ist.
Aber dennoch verdienet dieß als ein Grundsatz bemerkt
zu werden, daß er, von einer Seite genommen, nicht
glückseliger werden kann, als nach dem Maße, wie er
vollkommner wird.

Der Genuß einer Thätigkeit besteht in einer ange-
nehmen Empfindung derselben. Wir empfinden nur
leidentliche Veränderungen, welche die Folgen von
den vorhergegangenen Bestrebungen sind. *) Daher
die bekannte Erfahrung, acti labores iucundi. Nicht
so wohl die Arbeit, indem wir thätig sind, als ihre
Nachempfindung und die Wiedervorstellung von dem,
was gethan ist, bringt das angenehme Empfindniß her-
vor, welches ein unthätiger Genuß ist. Die Arbeit für
sich allein ist oft voller Mühe und voll Verdruß.

Dieß ist zwar richtig. Allein es folget hieraus doch
höchstens nicht mehr, "als daß überhaupt die Thätigkeit
"dem Genuß der Thätigkeit hinderlich werden könne."
Nur muß sie es nicht allemal nothwendig seyn. Zuerst sind
die Nachempfindungen unserer Aktionen mit den Aktio-

nen
*) Zweeter Bersuch. II. 5.
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
6.

Wenn man den Menſchen durch eine Abſtraktion
nur blos von der Seite betrachtet, ſo fern er ein thaͤti-
ges Weſen
iſt, ſo wird man bald finden, daß ihn
vervollkommnen eben ſo viel iſt, als ihn gluͤckſelig ma-
chen; oder eigentlich, daß nur dadurch der Genuß
ſeiner Thaͤtigkeit, oder ſein Vergnuͤgen aus der-
ſelben, am groͤßten
wird, wenn er ſeine Kraͤfte in
der Maße anwendet, in der ſie am meiſten vervollkomm-
net werden. So ein blos thaͤtiges Weſen iſt der
Menſch zwar nicht. Er hat auch ſeine leidentlichen Ver-
aͤnderungen, und iſt einer Gluͤckſeligkeit aus den letztern
faͤhig, wie die aus den Eindruͤcken auf die Sinne iſt.
Aber dennoch verdienet dieß als ein Grundſatz bemerkt
zu werden, daß er, von einer Seite genommen, nicht
gluͤckſeliger werden kann, als nach dem Maße, wie er
vollkommner wird.

Der Genuß einer Thaͤtigkeit beſteht in einer ange-
nehmen Empfindung derſelben. Wir empfinden nur
leidentliche Veraͤnderungen, welche die Folgen von
den vorhergegangenen Beſtrebungen ſind. *) Daher
die bekannte Erfahrung, acti labores iucundi. Nicht
ſo wohl die Arbeit, indem wir thaͤtig ſind, als ihre
Nachempfindung und die Wiedervorſtellung von dem,
was gethan iſt, bringt das angenehme Empfindniß her-
vor, welches ein unthaͤtiger Genuß iſt. Die Arbeit fuͤr
ſich allein iſt oft voller Muͤhe und voll Verdruß.

Dieß iſt zwar richtig. Allein es folget hieraus doch
hoͤchſtens nicht mehr, „als daß uͤberhaupt die Thaͤtigkeit
„dem Genuß der Thaͤtigkeit hinderlich werden koͤnne.“
Nur muß ſie es nicht allemal nothwendig ſeyn. Zuerſt ſind
die Nachempfindungen unſerer Aktionen mit den Aktio-

nen
*) Zweeter Berſuch. II. 5.
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[800/0830] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt 6. Wenn man den Menſchen durch eine Abſtraktion nur blos von der Seite betrachtet, ſo fern er ein thaͤti- ges Weſen iſt, ſo wird man bald finden, daß ihn vervollkommnen eben ſo viel iſt, als ihn gluͤckſelig ma- chen; oder eigentlich, daß nur dadurch der Genuß ſeiner Thaͤtigkeit, oder ſein Vergnuͤgen aus der- ſelben, am groͤßten wird, wenn er ſeine Kraͤfte in der Maße anwendet, in der ſie am meiſten vervollkomm- net werden. So ein blos thaͤtiges Weſen iſt der Menſch zwar nicht. Er hat auch ſeine leidentlichen Ver- aͤnderungen, und iſt einer Gluͤckſeligkeit aus den letztern faͤhig, wie die aus den Eindruͤcken auf die Sinne iſt. Aber dennoch verdienet dieß als ein Grundſatz bemerkt zu werden, daß er, von einer Seite genommen, nicht gluͤckſeliger werden kann, als nach dem Maße, wie er vollkommner wird. Der Genuß einer Thaͤtigkeit beſteht in einer ange- nehmen Empfindung derſelben. Wir empfinden nur leidentliche Veraͤnderungen, welche die Folgen von den vorhergegangenen Beſtrebungen ſind. *) Daher die bekannte Erfahrung, acti labores iucundi. Nicht ſo wohl die Arbeit, indem wir thaͤtig ſind, als ihre Nachempfindung und die Wiedervorſtellung von dem, was gethan iſt, bringt das angenehme Empfindniß her- vor, welches ein unthaͤtiger Genuß iſt. Die Arbeit fuͤr ſich allein iſt oft voller Muͤhe und voll Verdruß. Dieß iſt zwar richtig. Allein es folget hieraus doch hoͤchſtens nicht mehr, „als daß uͤberhaupt die Thaͤtigkeit „dem Genuß der Thaͤtigkeit hinderlich werden koͤnne.“ Nur muß ſie es nicht allemal nothwendig ſeyn. Zuerſt ſind die Nachempfindungen unſerer Aktionen mit den Aktio- nen *) Zweeter Berſuch. II. 5.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/830>, abgerufen am 24.11.2024.