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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
gebe auch eine Grenze, wo jene stehen bleiben müsse,
wenn sie diese nicht mehr unglücklich als glücklich ma-
chen solle. Dieß ist eine Marime, die, so unbestimmt
hingeworfen, sich wohl erklären läßt, die aber, in ei-
nem andern Verstande genommen, auf sehr falsche
Schlüsse leiten kann. Von welcher Entwickelung des
Menschen ist die Rede? Von der Entwickelung des
Verstandes, und der Aufklärung seiner Kenntnisse?
Von der Verfeinerung des Gefühls und der Empfind-
samkeit? Oder gar nur von einer Verfeinerung der äus-
serlichen Sinnlichkeit und des gesellschaftlichen Zustan-
des, der Sitten, der Lebensart, der Kleidung, Nah-
rung? So bald von der Entwickelung an Einer Seite
allein die Rede ist, so muß man eingestehen, wie oben
erinnert ist, daß solche ihre Grenze habe, über welche
hinaus sie schädlich wird, wenn sie nicht zugleich an den
übrigen fortschreittet. Wird sie aber schädlich, so muß
sie auch, es sey im gleichen oder ungleichen Verhältnis-
se, unglücklicher machen.

Will man so viel sagen, es gebe eine natürliche
Grenze der Vervollkommnung
in dem Geschlechte,
wie in den Jndividuen, die eben darum von dem Urhe-
ber der Natur gesetzt sey, weil ein größeres Maß dem
Menschen schädlich werde, so ist hiebey nichts zu erin-
nern. Jn dem Menschen giebt es ein Aeußerstes, und
weiter wird er nicht entwickelt. Vielleicht konnte er
nicht weiter gebracht werden als Mensch. Vielleicht
war es nicht gut ihn weiter zu treiben, um ihm auch
Zeit zu lassen, zu genießen. Vielleicht mußte der
Mensch
irgendwo stehen bleiben, damit die Seele in
ihm weiter komme, oder die erlangte Bildung tiefer
sich einprägen könne. Wie ihm sey, so ist dieß Ziel
uns doch nirgend andersher bekannt, als aus der Em-
pfindung, daß wirs nicht überschreiten können. So
lange daher noch eine Verbesserung möglich ist, so lange

muß

und Entwickelung des Menſchen.
gebe auch eine Grenze, wo jene ſtehen bleiben muͤſſe,
wenn ſie dieſe nicht mehr ungluͤcklich als gluͤcklich ma-
chen ſolle. Dieß iſt eine Marime, die, ſo unbeſtimmt
hingeworfen, ſich wohl erklaͤren laͤßt, die aber, in ei-
nem andern Verſtande genommen, auf ſehr falſche
Schluͤſſe leiten kann. Von welcher Entwickelung des
Menſchen iſt die Rede? Von der Entwickelung des
Verſtandes, und der Aufklaͤrung ſeiner Kenntniſſe?
Von der Verfeinerung des Gefuͤhls und der Empfind-
ſamkeit? Oder gar nur von einer Verfeinerung der aͤuſ-
ſerlichen Sinnlichkeit und des geſellſchaftlichen Zuſtan-
des, der Sitten, der Lebensart, der Kleidung, Nah-
rung? So bald von der Entwickelung an Einer Seite
allein die Rede iſt, ſo muß man eingeſtehen, wie oben
erinnert iſt, daß ſolche ihre Grenze habe, uͤber welche
hinaus ſie ſchaͤdlich wird, wenn ſie nicht zugleich an den
uͤbrigen fortſchreittet. Wird ſie aber ſchaͤdlich, ſo muß
ſie auch, es ſey im gleichen oder ungleichen Verhaͤltniſ-
ſe, ungluͤcklicher machen.

Will man ſo viel ſagen, es gebe eine natuͤrliche
Grenze der Vervollkommnung
in dem Geſchlechte,
wie in den Jndividuen, die eben darum von dem Urhe-
ber der Natur geſetzt ſey, weil ein groͤßeres Maß dem
Menſchen ſchaͤdlich werde, ſo iſt hiebey nichts zu erin-
nern. Jn dem Menſchen giebt es ein Aeußerſtes, und
weiter wird er nicht entwickelt. Vielleicht konnte er
nicht weiter gebracht werden als Menſch. Vielleicht
war es nicht gut ihn weiter zu treiben, um ihm auch
Zeit zu laſſen, zu genießen. Vielleicht mußte der
Menſch
irgendwo ſtehen bleiben, damit die Seele in
ihm weiter komme, oder die erlangte Bildung tiefer
ſich einpraͤgen koͤnne. Wie ihm ſey, ſo iſt dieß Ziel
uns doch nirgend andersher bekannt, als aus der Em-
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[795/0825] und Entwickelung des Menſchen. gebe auch eine Grenze, wo jene ſtehen bleiben muͤſſe, wenn ſie dieſe nicht mehr ungluͤcklich als gluͤcklich ma- chen ſolle. Dieß iſt eine Marime, die, ſo unbeſtimmt hingeworfen, ſich wohl erklaͤren laͤßt, die aber, in ei- nem andern Verſtande genommen, auf ſehr falſche Schluͤſſe leiten kann. Von welcher Entwickelung des Menſchen iſt die Rede? Von der Entwickelung des Verſtandes, und der Aufklaͤrung ſeiner Kenntniſſe? Von der Verfeinerung des Gefuͤhls und der Empfind- ſamkeit? Oder gar nur von einer Verfeinerung der aͤuſ- ſerlichen Sinnlichkeit und des geſellſchaftlichen Zuſtan- des, der Sitten, der Lebensart, der Kleidung, Nah- rung? So bald von der Entwickelung an Einer Seite allein die Rede iſt, ſo muß man eingeſtehen, wie oben erinnert iſt, daß ſolche ihre Grenze habe, uͤber welche hinaus ſie ſchaͤdlich wird, wenn ſie nicht zugleich an den uͤbrigen fortſchreittet. Wird ſie aber ſchaͤdlich, ſo muß ſie auch, es ſey im gleichen oder ungleichen Verhaͤltniſ- ſe, ungluͤcklicher machen. Will man ſo viel ſagen, es gebe eine natuͤrliche Grenze der Vervollkommnung in dem Geſchlechte, wie in den Jndividuen, die eben darum von dem Urhe- ber der Natur geſetzt ſey, weil ein groͤßeres Maß dem Menſchen ſchaͤdlich werde, ſo iſt hiebey nichts zu erin- nern. Jn dem Menſchen giebt es ein Aeußerſtes, und weiter wird er nicht entwickelt. Vielleicht konnte er nicht weiter gebracht werden als Menſch. Vielleicht war es nicht gut ihn weiter zu treiben, um ihm auch Zeit zu laſſen, zu genießen. Vielleicht mußte der Menſch irgendwo ſtehen bleiben, damit die Seele in ihm weiter komme, oder die erlangte Bildung tiefer ſich einpraͤgen koͤnne. Wie ihm ſey, ſo iſt dieß Ziel uns doch nirgend andersher bekannt, als aus der Em- pfindung, daß wirs nicht uͤberſchreiten koͤnnen. So lange daher noch eine Verbeſſerung moͤglich iſt, ſo lange muß

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/825>, abgerufen am 28.11.2024.