minderung in dem Umfang dessen, was sie an Spuren ehemaliger Fertigkeiten gesammlet hat. Es ist nur eine Einschränkung des Kreises, den die Kraft mit merkba- rer Wirksamkeit durchdringen kann. Die Thätigkeit, welche sie selbst empfinden und worinn sie sich und ihr Daseyn fühlen kann, ist es, welche abnimmt. Daß sie deswegen minder thätig sey in ihren innern unempfind- baren Wirkungen, kann hieraus noch geradezu nicht ge- schlossen werden.
7.
Zuerst verdient noch dieß eine genauere Erwägung, wie weit sich von der Abnahme an wirklicher Thä- tigkeit oder wirkender Kraft auf eine Abnahme an Bestrebungen, worinnen die Kraft gleichfalls wirksam ist, und an Vermögen gefolgert werden kön- ne. *) Wenn sie nichts mehr ausrichtet, so will sie doch vielleicht noch; und wenn sie nicht mehr will, so kann sie vielleicht doch wollen. Die lebendige, das Gehirn bewegende, die Vorstellungen erweckende und wirklich etwas ausrichtende Kraft wird vermindert. Dieß kann allein seinen Grund in einem Widerstande von außen haben, der nicht zu überwältigen ist. Aber auch kann die treibende Kraft selbst geschwächt seyn. Und in diesem letztern Fall ist noch beides möglich, so- wohl daß sie auch als bloßes Vermögen zu wirken und zur Wirksamkeit sich zu bestimmen vermindert ist, als auch daß sie von dieser Seite ihre vorige Beschaffenheit behält. Das Gewicht in einer Wagschale und die Ela- sticität einer Stahlfeder bringen keine Bewegung her- vor, wenn jenem eine größere Last entgegengesetzt und diese zu stark gespannt wird. Aber dennoch behält bei- des die vorige Kraft zu drucken und zu bewegen, und fährt auch fort wie todte Kraft zur Bewegung zu stre- ben. Die Selbstbestimmung der Seele zur Thätigkeit,
das
*) Dreyzehnter Versuch IX. Zwote Abtheilung 2.
B b b 2
und Entwickelung des Menſchen.
minderung in dem Umfang deſſen, was ſie an Spuren ehemaliger Fertigkeiten geſammlet hat. Es iſt nur eine Einſchraͤnkung des Kreiſes, den die Kraft mit merkba- rer Wirkſamkeit durchdringen kann. Die Thaͤtigkeit, welche ſie ſelbſt empfinden und worinn ſie ſich und ihr Daſeyn fuͤhlen kann, iſt es, welche abnimmt. Daß ſie deswegen minder thaͤtig ſey in ihren innern unempfind- baren Wirkungen, kann hieraus noch geradezu nicht ge- ſchloſſen werden.
7.
Zuerſt verdient noch dieß eine genauere Erwaͤgung, wie weit ſich von der Abnahme an wirklicher Thaͤ- tigkeit oder wirkender Kraft auf eine Abnahme an Beſtrebungen, worinnen die Kraft gleichfalls wirkſam iſt, und an Vermoͤgen gefolgert werden koͤn- ne. *) Wenn ſie nichts mehr ausrichtet, ſo will ſie doch vielleicht noch; und wenn ſie nicht mehr will, ſo kann ſie vielleicht doch wollen. Die lebendige, das Gehirn bewegende, die Vorſtellungen erweckende und wirklich etwas ausrichtende Kraft wird vermindert. Dieß kann allein ſeinen Grund in einem Widerſtande von außen haben, der nicht zu uͤberwaͤltigen iſt. Aber auch kann die treibende Kraft ſelbſt geſchwaͤcht ſeyn. Und in dieſem letztern Fall iſt noch beides moͤglich, ſo- wohl daß ſie auch als bloßes Vermoͤgen zu wirken und zur Wirkſamkeit ſich zu beſtimmen vermindert iſt, als auch daß ſie von dieſer Seite ihre vorige Beſchaffenheit behaͤlt. Das Gewicht in einer Wagſchale und die Ela- ſticitaͤt einer Stahlfeder bringen keine Bewegung her- vor, wenn jenem eine groͤßere Laſt entgegengeſetzt und dieſe zu ſtark geſpannt wird. Aber dennoch behaͤlt bei- des die vorige Kraft zu drucken und zu bewegen, und faͤhrt auch fort wie todte Kraft zur Bewegung zu ſtre- ben. Die Selbſtbeſtimmung der Seele zur Thaͤtigkeit,
das
*) Dreyzehnter Verſuch IX. Zwote Abtheilung 2.
B b b 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0785"n="755"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/>
minderung in dem Umfang deſſen, was ſie an Spuren<lb/>
ehemaliger Fertigkeiten geſammlet hat. Es iſt nur eine<lb/>
Einſchraͤnkung des Kreiſes, den die Kraft mit <hirendition="#fr">merkba-<lb/>
rer</hi> Wirkſamkeit durchdringen kann. Die Thaͤtigkeit,<lb/>
welche ſie ſelbſt empfinden und worinn ſie ſich und ihr<lb/>
Daſeyn fuͤhlen kann, iſt es, welche abnimmt. Daß ſie<lb/>
deswegen minder thaͤtig ſey in ihren innern unempfind-<lb/>
baren Wirkungen, kann hieraus noch geradezu nicht ge-<lb/>ſchloſſen werden.</p></div><lb/><divn="4"><head>7.</head><lb/><p>Zuerſt verdient noch dieß eine genauere Erwaͤgung,<lb/>
wie weit ſich von der <hirendition="#fr">Abnahme an wirklicher Thaͤ-<lb/>
tigkeit oder wirkender Kraft</hi> auf eine <hirendition="#fr">Abnahme<lb/>
an Beſtrebungen,</hi> worinnen die Kraft gleichfalls<lb/>
wirkſam iſt, und an <hirendition="#fr">Vermoͤgen</hi> gefolgert werden koͤn-<lb/>
ne. <noteplace="foot"n="*)">Dreyzehnter Verſuch <hirendition="#aq">IX.</hi> Zwote Abtheilung 2.</note> Wenn ſie nichts mehr ausrichtet, ſo <hirendition="#fr">will</hi>ſie<lb/>
doch vielleicht noch; und wenn ſie nicht mehr <hirendition="#fr">will,</hi>ſo<lb/><hirendition="#fr">kann ſie</hi> vielleicht doch <hirendition="#fr">wollen.</hi> Die lebendige, das<lb/>
Gehirn bewegende, die Vorſtellungen erweckende und<lb/>
wirklich etwas ausrichtende Kraft wird vermindert.<lb/>
Dieß kann allein ſeinen Grund in einem Widerſtande<lb/>
von außen haben, der nicht zu uͤberwaͤltigen iſt. Aber<lb/>
auch kann die treibende Kraft ſelbſt geſchwaͤcht ſeyn.<lb/>
Und in dieſem letztern Fall iſt noch beides moͤglich, ſo-<lb/>
wohl daß ſie auch als bloßes Vermoͤgen zu wirken und<lb/>
zur Wirkſamkeit ſich zu beſtimmen vermindert iſt, als<lb/>
auch daß ſie von dieſer Seite ihre vorige Beſchaffenheit<lb/>
behaͤlt. Das Gewicht in einer Wagſchale und die Ela-<lb/>ſticitaͤt einer Stahlfeder bringen keine Bewegung her-<lb/>
vor, wenn jenem eine groͤßere Laſt entgegengeſetzt und<lb/>
dieſe zu ſtark geſpannt wird. Aber dennoch behaͤlt bei-<lb/>
des die vorige Kraft zu drucken und zu bewegen, und<lb/>
faͤhrt auch fort wie todte Kraft zur Bewegung zu ſtre-<lb/>
ben. Die Selbſtbeſtimmung der Seele zur Thaͤtigkeit,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B b b 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">das</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[755/0785]
und Entwickelung des Menſchen.
minderung in dem Umfang deſſen, was ſie an Spuren
ehemaliger Fertigkeiten geſammlet hat. Es iſt nur eine
Einſchraͤnkung des Kreiſes, den die Kraft mit merkba-
rer Wirkſamkeit durchdringen kann. Die Thaͤtigkeit,
welche ſie ſelbſt empfinden und worinn ſie ſich und ihr
Daſeyn fuͤhlen kann, iſt es, welche abnimmt. Daß ſie
deswegen minder thaͤtig ſey in ihren innern unempfind-
baren Wirkungen, kann hieraus noch geradezu nicht ge-
ſchloſſen werden.
7.
Zuerſt verdient noch dieß eine genauere Erwaͤgung,
wie weit ſich von der Abnahme an wirklicher Thaͤ-
tigkeit oder wirkender Kraft auf eine Abnahme
an Beſtrebungen, worinnen die Kraft gleichfalls
wirkſam iſt, und an Vermoͤgen gefolgert werden koͤn-
ne. *) Wenn ſie nichts mehr ausrichtet, ſo will ſie
doch vielleicht noch; und wenn ſie nicht mehr will, ſo
kann ſie vielleicht doch wollen. Die lebendige, das
Gehirn bewegende, die Vorſtellungen erweckende und
wirklich etwas ausrichtende Kraft wird vermindert.
Dieß kann allein ſeinen Grund in einem Widerſtande
von außen haben, der nicht zu uͤberwaͤltigen iſt. Aber
auch kann die treibende Kraft ſelbſt geſchwaͤcht ſeyn.
Und in dieſem letztern Fall iſt noch beides moͤglich, ſo-
wohl daß ſie auch als bloßes Vermoͤgen zu wirken und
zur Wirkſamkeit ſich zu beſtimmen vermindert iſt, als
auch daß ſie von dieſer Seite ihre vorige Beſchaffenheit
behaͤlt. Das Gewicht in einer Wagſchale und die Ela-
ſticitaͤt einer Stahlfeder bringen keine Bewegung her-
vor, wenn jenem eine groͤßere Laſt entgegengeſetzt und
dieſe zu ſtark geſpannt wird. Aber dennoch behaͤlt bei-
des die vorige Kraft zu drucken und zu bewegen, und
faͤhrt auch fort wie todte Kraft zur Bewegung zu ſtre-
ben. Die Selbſtbeſtimmung der Seele zur Thaͤtigkeit,
das
*) Dreyzehnter Verſuch IX. Zwote Abtheilung 2.
B b b 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/785>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.