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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
IV.
Von der Ermüdung der Seelenkräfte und ihrer
Schwächung aus andern zufälligen Ursa-
chen.

1) Von der Ermüdung der Kräfte.
2) Von ihrer Schwächung aus andern Ur-
sachen.

1.

Die Ermüdung der Kräfte, welche aus einer zu
starken oder zu lang anhaltenden Anwendung der-
selben entstehet, ist ebenfalls eine Art von Schwäche, aber
verschieden von der vorhergehenden, die aus Unthätig-
keit kommt. Wenn man zuerst auf das sieht, was die
Ermüdung in dem Körper ausmacht, so hat man eine
nähere Anleitung das Wesentliche bey der Ermüdung der
Seele zu bemerken. Der ermüdete Taglöhner legt sich
aufs Bett zur Ruhe, und ist so wenig im Stande zu
arbeiten, als ein Kind. Dennoch aber ist er kein Kind.
Er hat nicht mehr Lust zur Arbeit, und will sie nicht,
weil er fühlet, daß, wenn er auch wollen würde, sein
Wollen höchstens ein vergebliches Bestreben seyn würde.
Die Muskeln, als Werkzeuge der Bewegung, haben
weder an Größe noch Stärke abgenommen, und es feh-
let weder an den Vorstellungen von den Handlungen,
noch an dem Vermögen innerlich solche zu reproduciren,
lebhaft zu machen und die Handlung von neuem zu
wollen, welches alles dem schwachen Kinde mangelt.
Aber es fehlet an Vollbringungskraft, an der leben-
digen Kraft, wodurch die Glieder ohne widrige Em-
pfindungen beweget werden. Jst es blos reine sanfte
Ermüdung,
so ist dieser Mangel an thätiger Kraft
dasjenige, was sie ausmacht. Allein gemeiniglich ist sie
mit einer Steifigkeit in den gebrauchten Gliedern

verbun-
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
IV.
Von der Ermuͤdung der Seelenkraͤfte und ihrer
Schwaͤchung aus andern zufaͤlligen Urſa-
chen.

1) Von der Ermuͤdung der Kraͤfte.
2) Von ihrer Schwaͤchung aus andern Ur-
ſachen.

1.

Die Ermuͤdung der Kraͤfte, welche aus einer zu
ſtarken oder zu lang anhaltenden Anwendung der-
ſelben entſtehet, iſt ebenfalls eine Art von Schwaͤche, aber
verſchieden von der vorhergehenden, die aus Unthaͤtig-
keit kommt. Wenn man zuerſt auf das ſieht, was die
Ermuͤdung in dem Koͤrper ausmacht, ſo hat man eine
naͤhere Anleitung das Weſentliche bey der Ermuͤdung der
Seele zu bemerken. Der ermuͤdete Tagloͤhner legt ſich
aufs Bett zur Ruhe, und iſt ſo wenig im Stande zu
arbeiten, als ein Kind. Dennoch aber iſt er kein Kind.
Er hat nicht mehr Luſt zur Arbeit, und will ſie nicht,
weil er fuͤhlet, daß, wenn er auch wollen wuͤrde, ſein
Wollen hoͤchſtens ein vergebliches Beſtreben ſeyn wuͤrde.
Die Muskeln, als Werkzeuge der Bewegung, haben
weder an Groͤße noch Staͤrke abgenommen, und es feh-
let weder an den Vorſtellungen von den Handlungen,
noch an dem Vermoͤgen innerlich ſolche zu reproduciren,
lebhaft zu machen und die Handlung von neuem zu
wollen, welches alles dem ſchwachen Kinde mangelt.
Aber es fehlet an Vollbringungskraft, an der leben-
digen Kraft, wodurch die Glieder ohne widrige Em-
pfindungen beweget werden. Jſt es blos reine ſanfte
Ermuͤdung,
ſo iſt dieſer Mangel an thaͤtiger Kraft
dasjenige, was ſie ausmacht. Allein gemeiniglich iſt ſie
mit einer Steifigkeit in den gebrauchten Gliedern

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[736/0766] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt IV. Von der Ermuͤdung der Seelenkraͤfte und ihrer Schwaͤchung aus andern zufaͤlligen Urſa- chen. 1) Von der Ermuͤdung der Kraͤfte. 2) Von ihrer Schwaͤchung aus andern Ur- ſachen. 1. Die Ermuͤdung der Kraͤfte, welche aus einer zu ſtarken oder zu lang anhaltenden Anwendung der- ſelben entſtehet, iſt ebenfalls eine Art von Schwaͤche, aber verſchieden von der vorhergehenden, die aus Unthaͤtig- keit kommt. Wenn man zuerſt auf das ſieht, was die Ermuͤdung in dem Koͤrper ausmacht, ſo hat man eine naͤhere Anleitung das Weſentliche bey der Ermuͤdung der Seele zu bemerken. Der ermuͤdete Tagloͤhner legt ſich aufs Bett zur Ruhe, und iſt ſo wenig im Stande zu arbeiten, als ein Kind. Dennoch aber iſt er kein Kind. Er hat nicht mehr Luſt zur Arbeit, und will ſie nicht, weil er fuͤhlet, daß, wenn er auch wollen wuͤrde, ſein Wollen hoͤchſtens ein vergebliches Beſtreben ſeyn wuͤrde. Die Muskeln, als Werkzeuge der Bewegung, haben weder an Groͤße noch Staͤrke abgenommen, und es feh- let weder an den Vorſtellungen von den Handlungen, noch an dem Vermoͤgen innerlich ſolche zu reproduciren, lebhaft zu machen und die Handlung von neuem zu wollen, welches alles dem ſchwachen Kinde mangelt. Aber es fehlet an Vollbringungskraft, an der leben- digen Kraft, wodurch die Glieder ohne widrige Em- pfindungen beweget werden. Jſt es blos reine ſanfte Ermuͤdung, ſo iſt dieſer Mangel an thaͤtiger Kraft dasjenige, was ſie ausmacht. Allein gemeiniglich iſt ſie mit einer Steifigkeit in den gebrauchten Gliedern verbun-

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/766>, abgerufen am 21.11.2024.