lichen Vergnügen, das dem Sklaven zu Theil werden kann, und ihn, wenns hoch kommt, zu einem glücklichen Thiere, nie aber zu einem glücklichen selbstthätigen Men- schen macht.
Die gänzliche Unabhängigkeit dagegen kann eben so wenig mit der menschlichen Vervollkommnung be- stehen. Ohne einigen Zwang von außen kann wenig- stens der Mensch im Anfange seiner Ausbildung nicht glücklich seyn. Und ehe er dahin kommt, daß er sich selbst regieren lernet, würden Trägheit und Sinnlichkeit die Kräfte der Natur schon zu sehr geschwächt und verdorben haben, als daß sie einen vorzüglichen Grad von einer Stärke und Vollkommenheit mehr annehmen könnten. Die einzelnen Ausnahmen sind allzu selten, als daß sie in Anschlag gebracht werden könnten. Wie viele würden aber auch im Besitze der erlangten Geistesgüter bleiben, wenn alle Einschränkung der Begierden von außen gehoben würde? Völker ohne Gesetze und ohne Obrigkeit, wozu doch auch die Familienregierung zu rechnen ist, müssen durchaus nur einfache Begierden haben, und also auch nur auf eine einfache und niedrige Art sich ausbilden, wie die Geschichte bestätiget. Es ist allenthalben das schwer zu treffende Mittel, das uns zu unserm Besten am anpassendsten ist.
Jndessen ist es überhaupt richtig, daß der Mensch nur da, wo er unabhängig von andern und ohne Zwang handelt, nur insofern als ein selbstthätiges Wesen handele. Die innere Unabhängigkeit von Leidenschaften und Hindernissen der Begierden ist unendlich wichtiger, als die äußere Freyheit. So sehr ist kein Mensch Skla- ve von einem andern, daß nicht auch sogar in seinen äußern Handlungen besondere Bestimmungen und Ein- richtungen genug auf seine Willkür ankommen sollten; desto mehr, je größer seine innere Freyheit des Geistes ist. Uebrigens ist das Bedürfniß selbstthätig handeln
zu
und Entwickelung des Menſchen.
lichen Vergnuͤgen, das dem Sklaven zu Theil werden kann, und ihn, wenns hoch kommt, zu einem gluͤcklichen Thiere, nie aber zu einem gluͤcklichen ſelbſtthaͤtigen Men- ſchen macht.
Die gaͤnzliche Unabhaͤngigkeit dagegen kann eben ſo wenig mit der menſchlichen Vervollkommnung be- ſtehen. Ohne einigen Zwang von außen kann wenig- ſtens der Menſch im Anfange ſeiner Ausbildung nicht gluͤcklich ſeyn. Und ehe er dahin kommt, daß er ſich ſelbſt regieren lernet, wuͤrden Traͤgheit und Sinnlichkeit die Kraͤfte der Natur ſchon zu ſehr geſchwaͤcht und verdorben haben, als daß ſie einen vorzuͤglichen Grad von einer Staͤrke und Vollkommenheit mehr annehmen koͤnnten. Die einzelnen Ausnahmen ſind allzu ſelten, als daß ſie in Anſchlag gebracht werden koͤnnten. Wie viele wuͤrden aber auch im Beſitze der erlangten Geiſtesguͤter bleiben, wenn alle Einſchraͤnkung der Begierden von außen gehoben wuͤrde? Voͤlker ohne Geſetze und ohne Obrigkeit, wozu doch auch die Familienregierung zu rechnen iſt, muͤſſen durchaus nur einfache Begierden haben, und alſo auch nur auf eine einfache und niedrige Art ſich ausbilden, wie die Geſchichte beſtaͤtiget. Es iſt allenthalben das ſchwer zu treffende Mittel, das uns zu unſerm Beſten am anpaſſendſten iſt.
Jndeſſen iſt es uͤberhaupt richtig, daß der Menſch nur da, wo er unabhaͤngig von andern und ohne Zwang handelt, nur inſofern als ein ſelbſtthaͤtiges Weſen handele. Die innere Unabhaͤngigkeit von Leidenſchaften und Hinderniſſen der Begierden iſt unendlich wichtiger, als die aͤußere Freyheit. So ſehr iſt kein Menſch Skla- ve von einem andern, daß nicht auch ſogar in ſeinen aͤußern Handlungen beſondere Beſtimmungen und Ein- richtungen genug auf ſeine Willkuͤr ankommen ſollten; deſto mehr, je groͤßer ſeine innere Freyheit des Geiſtes iſt. Uebrigens iſt das Beduͤrfniß ſelbſtthaͤtig handeln
zu
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und Entwickelung des Menſchen.
lichen Vergnuͤgen, das dem Sklaven zu Theil werden
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Thiere, nie aber zu einem gluͤcklichen ſelbſtthaͤtigen Men-
ſchen macht.
Die gaͤnzliche Unabhaͤngigkeit dagegen kann eben
ſo wenig mit der menſchlichen Vervollkommnung be-
ſtehen. Ohne einigen Zwang von außen kann wenig-
ſtens der Menſch im Anfange ſeiner Ausbildung nicht
gluͤcklich ſeyn. Und ehe er dahin kommt, daß er ſich
ſelbſt regieren lernet, wuͤrden Traͤgheit und Sinnlichkeit
die Kraͤfte der Natur ſchon zu ſehr geſchwaͤcht und
verdorben haben, als daß ſie einen vorzuͤglichen Grad
von einer Staͤrke und Vollkommenheit mehr annehmen
koͤnnten. Die einzelnen Ausnahmen ſind allzu ſelten, als
daß ſie in Anſchlag gebracht werden koͤnnten. Wie viele
wuͤrden aber auch im Beſitze der erlangten Geiſtesguͤter
bleiben, wenn alle Einſchraͤnkung der Begierden von
außen gehoben wuͤrde? Voͤlker ohne Geſetze und ohne
Obrigkeit, wozu doch auch die Familienregierung zu
rechnen iſt, muͤſſen durchaus nur einfache Begierden
haben, und alſo auch nur auf eine einfache und niedrige
Art ſich ausbilden, wie die Geſchichte beſtaͤtiget. Es
iſt allenthalben das ſchwer zu treffende Mittel, das uns
zu unſerm Beſten am anpaſſendſten iſt.
Jndeſſen iſt es uͤberhaupt richtig, daß der Menſch
nur da, wo er unabhaͤngig von andern und ohne Zwang
handelt, nur inſofern als ein ſelbſtthaͤtiges Weſen
handele. Die innere Unabhaͤngigkeit von Leidenſchaften
und Hinderniſſen der Begierden iſt unendlich wichtiger,
als die aͤußere Freyheit. So ſehr iſt kein Menſch Skla-
ve von einem andern, daß nicht auch ſogar in ſeinen
aͤußern Handlungen beſondere Beſtimmungen und Ein-
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iſt. Uebrigens iſt das Beduͤrfniß ſelbſtthaͤtig handeln
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/731>, abgerufen am 24.11.2024.
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