das Aeußere betrachten, insofern es den Menschen glück- licher, oder insofern es ihn besser, macht. Denn ich sehe diese beiden Gesichtspunkte hier noch als verschieden an, und ich glaube, daß sie zunächst so angesehen wer- den müssen; wenigstens so lange, bis sich aus der Beziehung der Glückseligkeit auf die Vervollkommnung ergeben möchte, daß beides entweder einerley oder doch unzertrennlich beysammen ist.
Die Naturanlage und die äußern Umstände ma- chen beide zusammen die volle Ursache aus, welche die Entwickelung in den Jndividuen bestimmt. Es wird aus den obigen Betrachtungen *) wahrscheinlich, daß jene bey den hervorragenden Menschen die vornehmste sey, von der am meisten abhängt.
Die äußern Umstände können, für sich betrachtet, durchaus keinen Werth haben. Nur allein ihre Rela- tion auf das Jnnere, und insofern sie Mittel sind die- ses vollkommner zu machen oder zu verschlimmern, wenn noch auf die Glückseligkeit nicht gesehn wird, macht ih- ren Werth oder Unwerth aus. Aber wenn nun aus der Geschichte und Erfahrung ihr Werth zu würdigen ist, so muß man die Beywirkung der natürlichen Anlage bey Seite setzen, den Einfluß von dieser, so viel möglich ist, absondern, und dann fragen, wie viel mehr oder weni- ger dieser oder jener äußere Zustand die Entwickelung der Natur befördern oder hindern könne? Es giebt große Seelen unter den Wilden und an der Küste von Afrika, und kleine niedrige Geister in den aufgeklärtesten Ländern. Dieß berechtiget uns nicht zu schließen, daß es für die Vervollkommnung der Menschheit gleichgültig sey, in welcher Verfassung sie leben. Epiktet war ein so großer Mann in der Sklaverey, als Antonin auf
dem
*) Viertet Abschnitt, II. 2. Anhang zum eilften Ver- such, IV.
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und Entwickelung des Menſchen.
das Aeußere betrachten, inſofern es den Menſchen gluͤck- licher, oder inſofern es ihn beſſer, macht. Denn ich ſehe dieſe beiden Geſichtspunkte hier noch als verſchieden an, und ich glaube, daß ſie zunaͤchſt ſo angeſehen wer- den muͤſſen; wenigſtens ſo lange, bis ſich aus der Beziehung der Gluͤckſeligkeit auf die Vervollkommnung ergeben moͤchte, daß beides entweder einerley oder doch unzertrennlich beyſammen iſt.
Die Naturanlage und die aͤußern Umſtaͤnde ma- chen beide zuſammen die volle Urſache aus, welche die Entwickelung in den Jndividuen beſtimmt. Es wird aus den obigen Betrachtungen *) wahrſcheinlich, daß jene bey den hervorragenden Menſchen die vornehmſte ſey, von der am meiſten abhaͤngt.
Die aͤußern Umſtaͤnde koͤnnen, fuͤr ſich betrachtet, durchaus keinen Werth haben. Nur allein ihre Rela- tion auf das Jnnere, und inſofern ſie Mittel ſind die- ſes vollkommner zu machen oder zu verſchlimmern, wenn noch auf die Gluͤckſeligkeit nicht geſehn wird, macht ih- ren Werth oder Unwerth aus. Aber wenn nun aus der Geſchichte und Erfahrung ihr Werth zu wuͤrdigen iſt, ſo muß man die Beywirkung der natuͤrlichen Anlage bey Seite ſetzen, den Einfluß von dieſer, ſo viel moͤglich iſt, abſondern, und dann fragen, wie viel mehr oder weni- ger dieſer oder jener aͤußere Zuſtand die Entwickelung der Natur befoͤrdern oder hindern koͤnne? Es giebt große Seelen unter den Wilden und an der Kuͤſte von Afrika, und kleine niedrige Geiſter in den aufgeklaͤrteſten Laͤndern. Dieß berechtiget uns nicht zu ſchließen, daß es fuͤr die Vervollkommnung der Menſchheit gleichguͤltig ſey, in welcher Verfaſſung ſie leben. Epiktet war ein ſo großer Mann in der Sklaverey, als Antonin auf
dem
*) Viertet Abſchnitt, II. 2. Anhang zum eilften Ver- ſuch, IV.
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und Entwickelung des Menſchen.
das Aeußere betrachten, inſofern es den Menſchen gluͤck-
licher, oder inſofern es ihn beſſer, macht. Denn ich
ſehe dieſe beiden Geſichtspunkte hier noch als verſchieden
an, und ich glaube, daß ſie zunaͤchſt ſo angeſehen wer-
den muͤſſen; wenigſtens ſo lange, bis ſich aus der
Beziehung der Gluͤckſeligkeit auf die Vervollkommnung
ergeben moͤchte, daß beides entweder einerley oder doch
unzertrennlich beyſammen iſt.
Die Naturanlage und die aͤußern Umſtaͤnde ma-
chen beide zuſammen die volle Urſache aus, welche die
Entwickelung in den Jndividuen beſtimmt. Es wird
aus den obigen Betrachtungen *) wahrſcheinlich, daß
jene bey den hervorragenden Menſchen die vornehmſte
ſey, von der am meiſten abhaͤngt.
Die aͤußern Umſtaͤnde koͤnnen, fuͤr ſich betrachtet,
durchaus keinen Werth haben. Nur allein ihre Rela-
tion auf das Jnnere, und inſofern ſie Mittel ſind die-
ſes vollkommner zu machen oder zu verſchlimmern, wenn
noch auf die Gluͤckſeligkeit nicht geſehn wird, macht ih-
ren Werth oder Unwerth aus. Aber wenn nun aus der
Geſchichte und Erfahrung ihr Werth zu wuͤrdigen iſt,
ſo muß man die Beywirkung der natuͤrlichen Anlage bey
Seite ſetzen, den Einfluß von dieſer, ſo viel moͤglich iſt,
abſondern, und dann fragen, wie viel mehr oder weni-
ger dieſer oder jener aͤußere Zuſtand die Entwickelung
der Natur befoͤrdern oder hindern koͤnne? Es giebt
große Seelen unter den Wilden und an der Kuͤſte von
Afrika, und kleine niedrige Geiſter in den aufgeklaͤrteſten
Laͤndern. Dieß berechtiget uns nicht zu ſchließen, daß
es fuͤr die Vervollkommnung der Menſchheit gleichguͤltig
ſey, in welcher Verfaſſung ſie leben. Epiktet war ein
ſo großer Mann in der Sklaverey, als Antonin auf
dem
*) Viertet Abſchnitt, II. 2. Anhang zum eilften Ver-
ſuch, IV.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 693. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/723>, abgerufen am 25.11.2024.
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